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Scholz verspricht Bürgern: »Lassen niemanden allein«

Knapp drei Monate ist es her, dass Kanzler Scholz kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs im Bundestag die Zeitenwende ausgerufen hat. Jetzt gibt er wieder eine Regierungserklärung ab, in der er seinen Kurs bekräftigt und den Menschen in Deutschland ein Versprechen macht.

Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz gibt im Bundestag eine Regierungserklärung ab. Foto: Michael Kappeler
Bundeskanzler Olaf Scholz gibt im Bundestag eine Regierungserklärung ab.
Foto: Michael Kappeler

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat vor allem Menschen mit geringem Einkommen zugesichert, den Preisanstieg im Zuge des Ukraine-Kriegs abzufedern.

»Wir lassen niemanden allein«, versprach er am Donnerstag in seiner Regierungserklärung im Bundestag. Die umstrittenen Waffenlieferungen an die Ukraine verteidigte er mit deutlichen Worten: »Einem brutal angegriffenen Land bei der Verteidigung zu helfen, darin liegt keine Eskalation. Sondern ein Beitrag dazu, den Angriff abzuwehren und damit schnellstmöglich die Gewalt zu beenden.«

Scholz sagte der Ukraine weitere Unterstützung mit militärischer Ausrüstung und beim Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg zu, trat in Sachen EU-Beitritt des von Russland angegriffenen Lands aber auf die Bremse. An den russischen Präsidenten Wladimir Putin richtete er die Botschaft, dass die Ukraine sich die Bedingungen für ein Ende des Krieges nicht vorschreiben lassen werde: »Einen Diktatfrieden wird es nicht geben.«

Merz fordert Entlassung der Verteidigungsministerin

Oppositionsführer Friedrich Merz warf Scholz eine Verschleppung der Waffenlieferungen vor und forderte ihn zur Entlassung seiner Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) auf. Lambrecht sei seit Wochen »mehr mit Selbstverteidigung als mit Verteidigungspolitik beschäftigt«, sagte der CDU-Chef mit Blick auf den umstrittenen Mitflug von Lambrechts Sohn in einem Bundeswehr-Hubschrauber. »Trennen Sie sich von dieser Ministerin so schnell wie möglich. Sie werden es sowieso irgendwann in den nächsten Wochen und Monaten machen müssen. Also machen Sie es bald.«

Es war die erste Regierungserklärung des Kanzlers seit seiner Zeitenwende-Rede drei Tage nach Beginn des Ukraine-Kriegs Ende Februar, in der Scholz Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet angekündigt hatte - ein Tabubruch. Anlass für die Regierungserklärung zum jetzigen Zeitpunkt war der EU-Gipfel am 30. und 31. Mai in Brüssel, bei dem die Ukraine-Krise wieder im Mittelpunkt stehen wird.

Noch keine schweren Waffen aus Deutschland in der Ukraine

Inzwischen hat die Bundesregierung sogar die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine genehmigt. Kritiker meinen, das könnte zur Eskalation des Krieges beitragen. Scholz widersprach solchen Thesen. Die Bundesregierung stärke der Ukraine »überlegt, abgewogen und international eng abgestimmt« den Rücken, betonte er.

Merz kritisierte, das bisher zu wenige Waffen aus Deutschland in der Ukraine angekommen seien. »Es wird praktisch nichts geliefert«, sagte er. »Was treiben Sie denn da für ein Spiel, auch mit der deutschen Öffentlichkeit, wenn es um diese Waffenlieferungen geht?«

Leichte Waffen wie Panzerfäuste und Flugabwehrraketen sind bereits in größerem Umfang in die Ukraine geschickt worden, die versprochenen Gepard-Flugabwehrpanzer und Artilleriegeschütze sind nach ukrainischen Angaben aber noch nicht bei den Streitkräften angekommen.

EU-Beitritt: Zuerst Westbalkan, dann Ukraine

Zu einer EU-Beitrittsperspektive der Ukraine äußerte Scholz sich erneut zurückhaltend. »Dass es auf dem Weg in die EU keine Abkürzungen gibt, ist auch ein Gebot der Fairness gegenüber den sechs Ländern des westlichen Balkans«, sagte er. Montenegro, Serbien, Nordmazedonien und Albanien sind seit vielen Jahren EU-Beitrittskandidaten, Nordmazedonien schon seit 2005. Kosovo und Bosnien-Herzegowina sind potenzielle Bewerber. Scholz betonte, dass die EU jetzt liefern müsse, was den Beitrittsprozess dieser Länder angeht. Für Juni kündigte er eine Reise in die Region mit der Botschaft an: »Der westliche Balkan gehört in die Europäische Union.«

Für die Ukraine will die EU-Kommission im Juni eine Empfehlung über den Kandidatenstatus abgeben. Alle Mitgliedstaaten müssen zustimmen. Scholz betonte, dass auch die Ukraine »Teil unserer europäischen Familie« sei. Er sprach sich für einen milliardenschweren Solidaritätsfonds der EU und ihrer Partner für den Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg aus. Er wies aber auch darauf hin, dass der EU-Beitrittsprozess »keine Sache von ein paar Monaten oder einigen Jahren« sei. »Deshalb wollen wir uns jetzt darauf konzentrieren, die Ukraine schnell und pragmatisch zu unterstützen.«

Scholz kündigt noch keine neuen Entlastungen an

Auch nach innen richtete Scholz die Botschaft, dass er sich um die Kriegsfolgen kümmern werde - speziell um die gestiegenen Energiepreise. Sein Versprechen, da niemanden allein zu lassen, gelte vor allem für Bürger mit niedrigem Einkommen. »Sie spüren tagtäglich, dass durch den Krieg nicht nur der Sprit an der Zapfsäule teurer geworden ist, sondern auch Lebensmittel - vom Brot bis zum Speiseöl.« Der Kanzler verwies darauf, dass bereits zahlreiche Entlastungsmaßnahmen vom 9-Euro-Ticket bis zur Energiepauschale von 300 Euro beschlossen worden seien. Neue Maßnahmen kündigte er zunächst nicht an.

Scholz zeigte sich optimistisch, dass es zu einer Einigung mit der Union über die Einrichtung des von ihm angekündigten Sondervermögens in Höhe von 100-Milliarden-Euro für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr kommen wird. »Wir sind dazu in guten Gesprächen«, sagte er. »Das Sondervermögen garantiert die Freiheit und Sicherheit unseres Landes in dieser Zeit.«

EU-Vertragsänderungen für Scholz kein Tabu

Der Kanzler sprach sich mit Blick auf den EU-Gipfel auch für eine Weiterentwicklung der Union aus und schloss Vertragsänderungen nicht aus. »Wenn die Sache es erfordert, dann können wir über eine Änderung der Verträge reden, auch über einen Konvent«, sagte Scholz. Das sei kein Tabu. Er betonte aber auch, dass viele Veränderungen ohne einen langwierigen Eingriff in die EU-Verträge möglich seien, etwa beim Klimaschutz oder bei der europäischen Verteidigung.

© dpa-infocom, dpa:220519-99-348715/6