REUTLINGEN. Einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie forderte die Reutlinger Bundestagsabgeordnete Jessica Tatti (Bündnis Sahra Wagenknecht) in einer Aktuellen Stunde zur Corona-Maskenbeschaffung. Im Gespräch mit dem GEA bekräftigte und begründete sie diese Forderung. Bisher hatte man angenommen, dass diese den Staat 2,3 Milliarden Euro gekostet hätten. Nun enthüllte ein Bericht, dass die Masken wegen der von Spahn geschlossenen Verträge bis zu 8 Milliarden Euro kosten könnten.
Tatti sagte, es sei unglaubwürdig, dass die Ampel-Fraktionen eine Aktuelle Stunde ausschließlich zur Maskenbeschaffung unter Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) beantragt hätten: »Das ist keine Aufarbeitung.« Auch die RKI-Protokolle seien nur für die Zeit unter Spahn entschwärzt worden und nicht für die Zeit seines Nachfolgers Karl Lauterbach (SPD). Dies zeige deutlich, dass die Ampel kein wirkliches Interesse an der Aufarbeitung der Pandemie habe, so Tatti.
Ablenkungsmanöver von Aufarbeitung
Eine glaubwürdige Aufarbeitung der Pandemiemaßnahmen könne nicht in einem Bürgerrat oder einer Enquete-Kommision geschehen. Diese Vorschläge seien nur ein »Ablenkungsmanöver«, um die Aufarbeitung unter den Tisch fallen zu lassen. Ein Untersuchungsausschuss habe – anders als ein zufällig ausgewählter Bürgerrat – die Möglichkeit, Politiker vorzuladen, die zur Pandemiezeit in der Verantwortung waren. »Mir geht es nicht um ein Tribunal, sondern um eine ehrliche Aufarbeitung«, sagt Tatti. Denen, die eine Aufarbeitung mit dem Argument verhinderten, dass politischer Schaden entstehen könne, hält sie entgegen: »Der politische Schaden ist doch bereits entstanden.«
Die RKI-Protokolle zeigten deutlich, dass es innerhalb des Expertengremiums unterschiedliche Ansichten zur Sinnhaftigkeit etwa des ersten Lockdown gab und dass die Koppelung der Maßnahmen an bestimmte Inzidenzwerte nicht von allen Wissenschaftlern empfohlen wurde. Dabei seien die gesellschaftlichen Schäden, die durch die Maßnahmen entstanden sind, nicht ausreichend berücksichtigt worden. Tatti nennt den Anstieg der psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen als Beispiel. Auch gäbe es Menschen, die sterbende Angehörige nicht begleiten konnten und noch heute darunter leiden. »Manche Dinge sind irreversibel, andere kann man wiedergutmachen«, sagt Tatti.
Firmen sollen in Fonds einzahlen
Zu den Dingen, die man nachholen könne, zähle ein Fonds für die Impfgeschädigten. Hierzu müsse eine Stiftung gegründet werden, in die nicht nur der Staat, sondern auch Firmen einzahlen, die wie Biontech mit den Impfstoffen viel Geld verdient hätten. Für die Impfgeschädigten fordert Tatti auch die Anerkennung ihrer Krankheit und weitere Forschungen für Therapieansätze. Momentan müssten Betroffene oft auf eigene Rechnung Medikamente kaufen. »Das empört mich«, sagt Tatti.
Durch die Pandemie-Maßnahmen sei auch »ein Kipppunkt in unserer Gesellschaft« entstanden. »Man hat so getan, als gebe es nur eine richtige Handlungsweise.« Wer anderer Meinung war, sei als Schwurbler oder Rechter dargestellt worden. Diese gelte auch für Ärzte, die abweichende Meinungen vertraten. »Die Politik hat mitgemacht, Leute an den Pranger zu stellen. Deshalb wäre eine ehrliche Fehleranalyse notwendig«, so Tatti.
»Manche Dinge sind irreversibel, andere kann man wieder gutmachen«
Nicht nur bei der Diskussion über die Pandemie-Maßnahmen, auch in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland oder den Nahen Osten sei es »Methode geworden, politisch Andersdenkende in die Ecke zu stellen«, kritisiert Tatti. Als Beispiel nennt sie die unsachliche Kritik am Reutlinger VHS-Geschäftsführer Ulrich Bausch, nachdem die Volkshochschule die Journalistin Gabriele Krone-Schmalz zu einem Vortrag eingeladen habe. »Wer für Friedensverhandlungen eintritt, ist dann gleich ein Putin-Troll«, sagt Tatti. Dies habe die Auswirkung, dass viele Menschen nicht mehr sagen, was sie denken.
25 Prozent der Bundestagsabgeordneten für Untersuchungsausschuss nötig
Tatti hofft, dass dieser Riss, der durch die Gesellschaft geht, noch zu kitten ist. Dafür müsse es allerdings nun eine ehrliche Aufarbeitung der Pandemie geben. Es mache auch keinen Sinn, auf der Ebene der Weltgesundheitsorganisation Pandemieverträge abzuschließen, bevor die Aufarbeitung abgeschlossen sei, sagt Bundestagsabgeordnete Tatti.
Für den von Tatti geforderten Untersuchungsausschuss wären 25 Prozent der Bundestagsabgeordneten notwendig, zurzeit sind das 184. »Nur die Union hat als Oppositionspartei alleine genügend Stimmen dafür«, sagt Tatti. Ihr gehe es darum, genügend politischen Druck aufzubauen, damit eine ehrliche Aufarbeitung der Pandemie stattfindet. Und schließlich: »Politik findet nicht nur in der Regierung statt.« (GEA)