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Lichtshow statt Geböller? Reutlingen nimmt Stellung

Ein Glas Sekt in der Hand, gutes Essen im Bauch, Silvesterraketen am Himmel - so wünschen viele sich den Start ins neue Jahr. Andere fürchten sinnloses, gefährliches Geballer, sorgen sich um Tiere und Brandgefahr. Lässt sich da ein Kompromiss finden?

Für viele Menschen ist ein Feuerwerk Ausdruck der Lebensfreude. Doch die Kritik an dem Spektakel wächst. foto: dpa
Für viele Menschen ist ein Feuerwerk Ausdruck der Lebensfreude. Doch die Kritik an dem Spektakel wächst. foto: dpa
Für viele Menschen ist ein Feuerwerk Ausdruck der Lebensfreude. Doch die Kritik an dem Spektakel wächst. foto: dpa

BERLIN. Keine zehn Wochen mehr, dann beginnt das Jahr 2020 - und wenn es nach Umweltschützern geht, begrüßen die Deutschen es mit möglichst wenig Silvesterkrachern und -raketen. Die Umwelthilfe macht Druck auf bisher 98 Städte, darunter auch Reutlingen und Tübingen, im Kampf gegen gefährlichen Feinstaub die private Böllerei zum Jahreswechsel zu verbieten.

Die Bundesregierung müsse solche Verbote erleichtern, forderte Umwelthilfe-Chef Jürgen Resch am Mittwoch in Berlin. Als Spaßbremse wollte er aber nicht dastehen - und warb stattdessen für große Licht-Shows zu Musik als alternativen Start ins neue Jahr.

Auf GEA-Anfrage äußerte sich jetzt die Reutlinger Stadtverwaltung dazu. In einer schriftlichen Stellungnahme hieß es: »Die Feinstaubbelastung liegt in Reutlingen seit mehreren Jahren deutlich unter den vorgegebenen Grenzwerten. Diese liegen beim PM10-Tageswert bei 50 µg/m³ bei max 35 Überschreitungen pro Jahr, beim PM10-Jahreswert bei 40 µg/m³ und beim PM2,5-Jahreswert bei 25 µg/m³«. Reutlingen habe sämtliche Grenzwerte unterschritten, deshalb sehe die Stadt in Reutlingen keinen Handlungsdruck hinsichtlich eines Verbots privater Feuerwerke.

Umfrage (beendet)

Silvester ohne privates Feuerwerk - was halten Sie davon?

Die Umwelthilfe macht Druck auf bisher 98 Städte, darunter auch Reutlingen und Tübingen, im Kampf gegen gefährlichen Feinstaub die private Böllerei zum Jahreswechsel zu verbieten.

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Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) solle sich für eine Änderung der Sprengstoffverordnung einsetzen oder des Gesetzes gegen Luftverschmutzung, sagte Resch. Zwar wolle er auch ausgelassen feiern. »Die Frage ist nur: Muss diese Feier zwingend damit verbunden sein, dass wir die Luft belasten, dass wir Menschen gefährden, und dass Häuser und Wohnungen abbrennen?« Zumindest in dicht besiedelten Innenstädten solle mit der Böllerei Schluss sein.

Neu ist die Debatte nicht - der Streit flammt jedes Jahr um Silvester herum auf. Tierschützer warnen vor Stress für Hunde und Katzen, Pferde und Wildtiere. Feuerwehr und Notärzte richten sich auf Brände und Verletzte ein. Umweltschützer warnen vor Feinstaub und tonnenweise Müll. Und Hilfsorganisationen regen an, statt Raketen und Krachern doch lieber zu spenden - das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt etwa unter dem Stichwort »Brot statt Böller«.

Ende vergangenen Jahres fragte das Meinungsforschungsinstitut YouGov nach: Demnach sagen 61 Prozent, Silvesterknaller sollten in Innenstädten verboten werden. 60 Prozent fänden es richtig, wenn es in großen Städten nur noch offizielle Feuerwerke gäbe. Silvesterknaller komplett verbieten lassen wollen demnach etwa zwei von fünf Deutschen (43 Prozent).

Als die Umwelthilfe im Sommer die ersten 31 Städte zu einem Verbot der privaten Böllerei aufforderte, befürworteten das YouGov zufolge 38 Prozent »voll und ganz«, weitere 20 Prozent »eher«. Nun appelliert Resch an Böller-Kritiker, Petitionen zu starten, um sich Gehör zu verschaffen.

Der Deutsche Städtetag gibt zu dem Thema keine Empfehlung ab: Das werde unterschiedlich diskutiert, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der Deutschen Presse-Agentur, auch die baulichen Gegebenheiten in den Innenstädten seien verschieden. »Zutreffend ist, dass Verbote auf rechtliche Hürden stoßen«, sagte er. Daher sei man offen für rechtliche Änderungen. Dedy verwies auf einen Beschluss des rot-rot-grünen Berliner Senats, einen entsprechenden Vorstoß im Bundesrat einzubringen.

Die Umwelthilfe ist unter anderem dafür bekannt, dass sie per Klage für saubere Luft Städte zu Diesel-Fahrverboten zwingt. Bei Silvesterböllern steht so etwas aber eher nicht an. Es werde kein geltender Grenzwert überschritten, sagte Resch - es gehe bisher um »vorausschauende Umweltpolitik«, nicht um Gesetzesbruch. Die Umwelthilfe drohe den Städten nicht mit Klagen.

Grenzwerte für Feinstaub vom Typ PM10 gibt es fürs Jahresmittel und das Tagesmittel, an 35 Tagen im Jahr darf der Tagesmittelwert aber überschritten werden. Laut Umweltbundesamt werden Stand 2016 zum Jahreswechsel rund 4500 Tonnen Feinstaub freigesetzt - rund ein Sechstel der im kompletten Jahr im Straßenverkehr abgegebenen Feinstaubmenge.

Viele Städte haben auch schon Einschränkungen, etwa um alte Fachwerkhäuser vor Bränden an Silvester zu schützen. Als Vorbild für das »Silvester der Zukunft« sieht die Umwelthilfe etwa Landshut in Bayern, wo man den Jahreswechsel mit einer Lasershow zu Musik statt mit einem Feuerwerk feiert.

Das Umweltministerium (BMU) in Berlin teilte am Abend mit: "Die Bundesregierung beabsichtigt, mittelfristig das Sprengstoffrecht zu novellieren, dabei werden auch weitere Einschränkungen im Hinblick auf Feuerwerkskörper geprüft." Innerhalb der Regierung sei "das Bundesinnenministerium federführend zuständig, Vollzug und Kontrolle des Sprengstoffrechts seien in Deutschland Länder-Aufgabe.

»Mit Blick auf die gesundheitliche Schadwirkung von Feinstaub sind aus Sicht des BMU weiterhin Anstrengungen erforderlich, um Verringerungen des Belastungsniveaus zu erzielen«, hieß es weiter aus dem Schulze-Ressort. »Im Vordergrund stehen hier Maßnahmen, die ganzjährig und überregional zur Senkung der Feinstaubbelastung beitragen.« (GEA)

Betroffene Städte: Betroffene Städte: Aachen, Aschersleben, Augsburg, Bayreuth, Berlin, Bernau, Bielefeld, Blankenfelde, Bottrop, Brandenburg, Braunschweig, Bremen, Bremerhaven, Brunsbüttel, Chemnitz, Cottbus, Darmstadt, Datteln, Dortmund, Dresden, Duisburg, Düsseldorf, Eberswalde, Elsdorf, Elsterwerda, Erfurt, Essen, Esslingen, Flensburg, Frankfurt (Main), Frankfurt (Oder), Fulda, Fürth, Gelsenkirchen, Gera, Gießen, Gladbeck, Göhlen, Görlitz, Göttingen, Grevenbroich, Hagen, Halberstadt, Halle, Hamburg, Hannover, Heilbronn. Jackerath (OT der Gemeinde Titz), Jüchen, Kassel, Kiel, Köln, Krefeld, Leipzig, Limburg, Ludwigsburg, Ludwigshafen, Lünen, Magdeburg, Mainz, Mannheim, Marburg, Markgröningen, Mönchengladbach, Mühlhausen, München, Münster, Nauen, Neuwied, Niederzier, Nürnberg, Oberhausen, Offenbach, Oldenburg, Osnabrück, Passau, Potsdam, Regensburg, Reutlingen, Rostock, Saarbrücken, Schwerin, Solingen, Spremberg, Stuttgart, Tübingen, Warstein, Weimar, Wesel, Wetzlar, Witten, Wittenberg, Wolfsburg, Worms, Wuppertal, Würzburg, Zittau, Zwickau