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Künast-Klage scheitert: »Stück Scheiße« keine Beleidigung

Muss sich eine Politikerin Beschimpfungen wie »Geisteskranke« und »Dreckschwein« gefallen lassen? Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast meint: Nein. Ein Gericht sieht das unter bestehenden Umständen anders.

BERLIN. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast ist vor Gericht mit dem Versuch gescheitert, gegen Beschimpfungen wie »Geisteskranke« auf Facebook gegen sie vorzugehen.

Laut einem Beschluss des Landgerichts Berlin, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, stellen entsprechende Kommentare »keine Diffamierung der Person der Antragstellerin und damit keine Beleidigungen« dar.

Unbekannte hatten Künast unter anderem als »Stück Scheisse« und »altes grünes Dreckschwein« bezeichnet und noch drastischere und auch sexistische Posts geschrieben. Die »Berliner Morgenpost« berichtete zuerst darüber.

Künast kündigte an, sie werde gegen den Beschluss vorgehen. »Der Beschluss des Landgerichts sendet ein katastrophales Zeichen, insbesondere an alle Frauen im Netz, welchen Umgang Frauen sich dort gefallen lassen sollen«, sagte sie der dpa.

Grünen-Chef Robert Habeck sagte der dpa: »Wir wissen inzwischen, dass eine verrohte Sprache den Weg zu realer Gewalt ebnet.« Nicht zugelassen werden dürfe, »dass sie Normalität wird, in unseren Alltag einsickert und das Böse selbstverständlich wird«.

Die Politikerin hatte erreichen wollen, dass Facebook die personenbezogenen Daten von 22 Nutzern herausgeben darf. Sie wollte zivilrechtliche Schritte gegen sie einleiten, wie ihr Anwalt Severin Riemenschneider der dpa sagte. Laut Gericht handelt es sich aber um zulässige Meinungsäußerungen.

Hintergrund ist ein Zwischenruf von Künast aus dem Jahr 1986 im Berliner Abgeordnetenhaus im Zusammenhang mit der damaligen Pädophilie-Debatte bei den Grünen. Ihr wurde unterstellt, sich hinter Forderungen nach Straffreiheit für Sex mit Kindern zu stellen. Dies hatte sie zurückgewiesen.

In einem Artikel der »Welt am Sonntag« vom Mai 2015 wurde der Zwischenruf zitiert. Demnach sprach eine grüne Abgeordnete im Berliner Landesparlament über häusliche Gewalt. Ein CDU-Abgeordneter stellte die Zwischenfrage, wie die Rednerin zu einem Beschluss der Grünen in Nordrhein-Westfalen stehe, die Strafandrohung wegen sexuellen Handlungen an Kindern solle aufgehoben werden. Künast rief dazwischen: »Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist!«

Bereits die »Welt am Sonntag« stellte die Frage: »Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt okay?« Künast hatte das als Missverständnis zurückgewiesen. Auch ihr Anwalt betonte, mit ihrem damaligen Zwischenruf habe Künast nur die falsche Wiedergabe des NRW-Beschlusses der Grünen richtigstellen wollen.

Laut »Berliner Morgenpost« nahm der rechte Netzaktivist Sven Liebich in einem mittlerweile gelöschten Beitrag Bezug auf den Zwischenruf und postete den Künast-Zwischenruf mit einer eigenen Ergänzung: »Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt.«

Die weiteren Kommentare mit den Beschimpfungen posteten User auf Liebichs Seite. Das Berliner Landgericht begründete seinen Beschluss auch damit, dass die Öffentlichkeit Künasts Einwurf als Zustimmung zu dem Beschluss der NRW-Grünen wahrgenommen habe. »Von einer Schmähung kann nicht ausgegangen werden, wenn die Äußerung in dem Kontext einer Sachauseinandersetzung steht.« Riemenschneider sagte, unter den Posts seien »schwerste Beleidigungen, die jedes Maß überschreiten«.

Künast stellte die Frage: »Wohin geht die Gesellschaft, wenn all solche Äußerungen als zulässige Meinungsäußerung ertragen und erlitten werden müssen?« Solche massiven Abwertungen gefährdeten die Demokratie. »Denn wer soll sich angesichts dessen noch ehrenamtlich oder politisch engagieren?« Habeck meinte: Die Grenzen des Sagbaren seien schon weit verschoben. »Höchste Zeit, dem entschieden entgegenzutreten.«

Selbst wenn das nächstzuständige Kammergericht Berlin den Beschluss aufhebt, heißt das laut Riemenschneider nicht, dass Künast gegen die Personen vorgehen kann. Denn Facebook könnte die Daten dann lediglich herausgeben dürfen. Um dies aber zu erzwingen, sei eine weitere Klage mit einem aufwendigen Verfahren nötig. (dpa)

Bericht »Berliner Morgenpost«

Bericht »Welt« 2015