DANZIG. Wer verstehen will, wie eng Kirche und Politik in Polen miteinander verzahnt sind, der muss die Brigittenkirche in der Altstadt von Danzig besuchen. Die Brigittenkirche ist deutlich kleiner als die zentrale Marienkirche und sie wurde erst 1970 nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut. Die Geschichte die diese Kirche und ihr elf Meter hoher Bernsteinaltar erzählen, ist eng mit der Gewerkschaft Solidarnosc und dem Priester Henryk Jankowski verbunden. Es ist eine Geschichte von der Doppelmoral und vom Aufstieg und Fall eines katholischen Nationalhelden. Doch in der Kirche liest man kein Wort davon. Dort hängen immer noch in einer Art patriotischer Ausstellung die Fahnen der ersten freien Gewerkschaft Solidarnosc.
Die Kirche wurde als Treffpunkt und Aktionszentrum der Solidarnosc bekannt. Der ehrgeizige Pfarrer von St. Brigitta, Henryk Jankowski war Lech Walesas Beichtvater. Er zelebrierte 1980 die Messe vor streikenden Werftarbeitern. Jankowski war Walesas Sprachrohr und verlas dessen Reden, als der Gewerkschaftsführer unter Hausarrest der kommunistischen Behörden stand. Jankowski war ein Held der demokratischen Wende in Polen, auch wenn sein Hang zu Luxus, Reichtum und Ehrungen – Jankowski fuhr bereits in den 1980er-Jahren Mercedes – bei einigen für Kritik sorgte. 1992 war Jankowski auf dem Zenit seines Ruhms als der polnische Papst Johannes Paul II. seine Brigittenkirche zur Basilika minor erhob. Jankowski galt als kirchlicher Freiheitsheld, ähnlich wie Desmond Tutu in Südafrika und Martin Luther King in den USA.
Patriotischer Bernsteinaltar
Auf Jankowskis Initiative entstand in St. Brigitta der größte Bernsteinaltar der Welt. Der Altar ist den 28 streikenden Werftarbeitern gewidmet, die bei den Protesten 1970 von den kommunistischen Sicherheitsbehörden erschossen wurden. Zu sehen ist die Jungfrau von Tschenstochau und ein Adler, der die Umrisse Polens hält. In der Krypta der Kirche liegen die Schädel von Dutzenden von Nonnen, die bei Ausgrabungen gefunden wurden.
Doch der Ruf Henryk Jankowskis, dessen Sarkophag in der Kirche immer noch ausgestellt ist, hat Schaden genommen. Zunächst sorgte Jankowski ab Mitte der 1990er-Jahre – also in der Zeit als der gigantische Bernsteinaltar in seiner Kirche entstand – mit antisemitischen und nationalistischen Predigten für Aufsehen. Die Freundschaft mit Lech Walesa zerbrach. 1995 teilten US-Diplomaten dem damaligen Präsidenten Walesa mit, dass ein Staatsbesuch von US-Präsident Bill Clinton nur zustande käme, wenn sich Walesa von Jankowski distanziere. Walesa kam der Aufforderung nach. 1997 verhängte der Erzbischof ein einjähriges Predigtverbot über Jankowski. 2004 sprach sich Jankowski gegen den Beitritt Polens zur Europäischen Union aus. Im gleichen Jahr kam heraus, dass Jankowski Ministranten sexuell belästigt hatte. Ende 2004 wurde Jankowski als Pfarrer der Brigittenkirche vom Erzbischof abgesetzt.
Spitzel der Geheimdienste
2007 kam dann heraus, dass Jankowski mit Informationen über seinen sexuellen Missbrauch Minderjähriger vom kommunistischen Geheimdienst SB (Sluzba Bezpieczenstwa) erpresst worden war und jahrelang Informationen über Lech Walesa und die internen Beratungen der Solidarnosc an den Geheimdienst weitergab. Der SB führte Jankowski als Mitarbeiter unter den Decknamen »Delegat« und »Libella«. Auch an die DDR-Stasi berichtete Jankowski. Diese führt ihn unter dem Decknamen »Mercedes«.
Am 21. Februar 2019 zogen drei Aktivisten nachts das Denkmal des 2010 verstorbenen Jankowski von seinem Sockel. Anschließend legten sie ein Ministrantengewand und Kinderunterwäsche auf die Statue die unbeschädigt blieb. Zwei Wochen später beschloss der Stadtrat von Danzig die Statue dauerhaft zu entfernen, den Jankowski-Platz umzubenennen und Jankowski posthum die Ehrenbürgerschaft, die ihm 2000 verliehen worden war abzuerkennen. (GEA)

