Einen Tag später schreiten sie dann - im Regen - gemeinsam mit rund 70 anderen Staats- und Regierungschefs zum Pariser Triumphbogen. Dort liegt einer der mehr als neun Millionen gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs begraben.
US-Präsident Donald Trump ist dabei, der russische Staatschef Wladimir Putin und auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Gemeinsam verfolgen sie ein rund einstündiges, bewegendes Programm, das an das unfassbare, durch Großmachtstreben und extremen Nationalismus ausgelöste Grauen des Krieges erinnert.
Jugendliche lesen auf Englisch, Französisch und Chinesisch Erlebnisberichte von Kriegsteilnehmern vor. »Das war eine furchtbare Welt und ein schweres Leben«, zitiert eine Schülerin auf Deutsch aus einem Werk des deutschen Soldaten und Schriftstellers Erich Maria Remarque (1898-1970).
Das Töten auf dem Schlachtfeld hatte in dem 1914 begonnenen Krieg erstmals industrielle Ausmaße angenommen. Neuerungen wie die Eisenbahn, das Maschinengewehr und schnell feuernde Artillerie beschleunigten und intensivierten die Kriegsführung in einer Weise, wie man sie bisher nie erfahren hatte. Auch Giftgas wurde erstmals eingesetzt. Der Krieg wird von Historikern auch als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet.
Doch haben die Lehren aus dem Ersten Weltkrieg für Politiker wie Trump, Putin oder Erdogan überhaupt irgendeine Bedeutung?
Mit Wladimir Putin sitzt da jemand bei der Zeremonie, der den syrischen Machthaber Baschar al-Assad und die Separatisten in der Ukraine unterstützt. Mehr als 400 000 Tote und Millionen Vertriebene: das ist die bisherige Bilanz des Bürgerkriegs in Syrien. Mehr als 10 000 Menschen kamen bereits im Krieg in der Ostukraine um.
Da ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, unter dem die Türkei eklatante Rückschritte bei Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit verzeichnet.
Und da ist nicht zuletzt auch Donald Trump. Ein Präsident, der sich selbst stolz als Nationalist bezeichnet und per Twitter-Nachricht mit seinem Startknopf für Atomwaffen prahlt. Der auf Konfrontationskurs zu den europäischen Verbündeten geht und mit dem INF-Vertrag eines der wichtigsten Abrüstungsabkommen der letzten Jahrzehnte aufkündigen will.
»Zum ersten Mal in der Geschichte haben wir ein Amerika, das der Idee eines vereinten Europas nicht wohlgesonnen ist«, kommentierte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Wochenende verbittert. Trump habe sich dafür entschieden, die Welt zu spalten: auf der einen Seite Amerika und auf der anderen Seite lauter geschwächte Einzelstaaten.
Der Pole Tusk spielt damit wohl auch darauf an, dass Trump gleich zum Start seines Besuches erst einmal provoziert hatte. Er empfinde es als kränkend, dass Macron eine europäische Armee aufbauen wolle, ließ er per Twitter wissen. Europa solle doch vielleicht erst einmal »seinen gerechten Anteil an der Nato« bezahlen.
Dass es etwas widersprüchlich wirkt, mehr europäisches Engagement im Bereich der Verteidigung zu fordern und gleichzeitig eine europäische Armee abzulehnen, stört Trump dabei offensichtlich nicht. Manch einer in Europa ist auch überzeugt, dass der Republikaner mit seinen Forderungen nach höheren Verteidigungsausgaben vor allem der US-amerikanischen Rüstungsindustrie zu neuen Milliardenaufträgen verhelfen will.
Doch große politische Diskussionen gibt es am Wochenende nicht. Öffentlichkeitswirksame Kritik an den zweitägigen Feiern kommt lediglich von der Frauen-Aktivistengruppe Femen. Drei Mitglieder laufen am Samstag mit nackten Oberkörpern über den Platz vor dem Triumphbogen und zeigen Plakate mit Aufschriften wie »Willkommen Kriegsverbrecher«. Einen Tag später gelingt es ihnen sogar kurzzeitig, den Konvoi von US-Präsident Trump zu stören. Die Veranstaltung sei eine riesige Heuchelei, kritisierte die Organisation. Unter den Gäste seien solche, die für eine Politik verantwortlich seien, die die Welt in den Dritten Weltkrieg stürzen könnte.
Ob Frankreichs Präsident Macron an solche Art von Kritik gedacht hat, als er die riesige Gedenkzeremonie organisierten ließ? Wenn ja, gibt es zwei mögliche Erklärungen, warum er es trotzdem tat. Entweder ging es ihm darum zu zeigen, dass er es schafft, die mächtigsten Politiker der Welt bei einer einzigartigen Zeremonie um sich zu versammeln. Oder er hat die Hoffnung, dass Gedenkveranstaltungen wie die am Wochenende am Ende doch etwas in den Köpfen bewegen können. Es wäre vermutlich eine fromme Hoffnung.
Zu fragen bleibt auch, ob denn zumindest die Europäer ihre Lektionen aus dem Ersten Weltkrieg gelernt haben. Dagegen sprechen das Erstarken nationalistischer und populistischer Kräfte in Ländern wie Polen und Ungarn, die britischen Pläne für einen EU-Austritt und vielleicht sogar auch der aktuelle Kurs der Bundeskanzlerin und Macrons.
Projekte wie die von Macron angestrebte Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion kommen wegen deutscher Sorgen vor einer Vergemeinschaftung von Schulden nicht voran. Und selbst in der Verteidigungspolitik haben Deutschland und Frankreich sehr unterschiedliche Vorstellungen. So will Frankreich außerhalb des EU-Rahmens eine kleine schlagkräftige Interventionstruppe für Einsätze zum Beispiel in Afrika einrichten. Deutschland hingegen möchte ein solches Vorhaben nur als Projekt der Europäischen Union akzeptieren.
Macron rief seine Gäste am Sonntag eindringlich dazu auf, nicht einzig und allein an die Interessen des eigenen Landes zu denken. Nationalismus sei das genaue Gegenteil von Patriotismus, sagte er. »Lasst uns unsere Hoffnungen zusammennehmen anstatt uns unsere Ängste entgegenzuhalten.«