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Forschung applaudiert: Ampel will Werbevebot für Abtreibung kippen

Die Ampelkoalition will das Werbeverbot für Abtreibungen kippen. Aus der Forschung kommt Zuspruch.

Frauen demonstrieren gegen den Abtreibungsparagrapfen 219a.
Frauen demonstrieren gegen den Abtreibungsparagrapfen 219a. Foto: BOCKWOLDT/DPA
Frauen demonstrieren gegen den Abtreibungsparagrapfen 219a.
Foto: BOCKWOLDT/DPA

BERLIN. Schwangerschaftsabbrüche sollen mehr Thema werden. Dafür will die neue Ampelregierung sorgen. »Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein. Die Möglichkeit zu kostenfreien Schwangerschaftsabbrüchen gehören zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung. Sogenannten Gehsteig-Belästigungen von Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern setzen wir wirksame gesetzliche Maßnahmen entgegen«, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Wesentlicher Punkt: »Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Daher streichen wir § 219a StGB.«

Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs gilt seit Jahren als umstritten. Er war Anlass zahlreicher Protestkampagnen feministischer Organisationen wie beispielsweise dem Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, bei Aktionstagen gingen in der Vergangenheit Tausende Menschen gegen den Gesetzestext auf die Straße. 219a verbietet Werbung für den Abbruch einer Schwangerschaft: Wer öffentlich »seines eigenen Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise« Dienste oder Verfahren zum Schwangerschaftsabbruch anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen dazu bekanntgibt, dem drohen bis zu zwei Jahren Gefängnis oder eine Geldstrafe. Der strafrechtliche Werbebegriff allerdings unterscheidet sich vom alltagsweltlichen Reklameverständnis. Arztpraxen dürfen auf ihrer Homepage auch keine nur mittelbar mit finanziellen Interessen verknüpften reinen Sachinformationen beispielsweise zur Art solcher Eingriffe liefern, wenn sie diese vornehmen. Das könnte sich nun ändern.

Tabuisierung bekräftigt

»219a zu streichen, verdient volle Zustimmung«, sagt Inga Schuchmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für (Internationales) Strafrecht, Strafprozessrecht und Juristische Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin. »Das Verbot bekräftigt die Tabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und hält sie gegen die gesellschaftliche Entwicklung aufrecht.«

Schuchmann ist Mitglied in der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbunds, ein frauenpolitischer Verband, in dem sich Juristinnen, Volks- und Betriebswirtinnen zusammengeschlossen haben und sich durch eine Fortentwicklung des Rechts für eine geschlechtergerechte Gesellschaft einsetzen. Paragraf 219a hält sie für verfassungswidrig. Er behandle die Werbung für die Gesundheitsleistung eines Schwangerschaftsabbruchs eklatant anders als Werbung für jede andere Gesundheitsleistung und jede andere Form von unerwünschter Werbung.

Laut Schuchmann offenbart der Paragraf ein Auseinanderdriften. Seine Vorgängervorschriften traten 1933 in Kraft – in einer Zeit, in der jegliche Form von Schwangerschaftsabbrüchen verboten war und unter Strafe stand. Abbrüche sind inzwischen in bestimmten Fällen erlaubt. Dieser Entkriminalisierung folgte aber eben keine Entkriminalisierung der Information über die nun erlaubten Abbrüche, so Schuchmann.

Erlaubte Abreibungen greifen Heteronomativität an

Der Juristin zufolge spiegelt das Werbeverbot Geschlechterrollen und Vorstellungen einer sogenannten hetero-normativen Gesellschaft – einer Weltanschauung also, die nur von heterosexuell lebenden Männern und Frauen und einem hierarchischen Verhältnis zueinander ausgeht. Je mehr Informationen diese Grundannahme infrage stellten, desto härter müssten sie offenbar sanktioniert werden, so Schuchmann. Erlaubte Abtreibungen griffen aber einen zentralen Pfeiler von Heteronormativität an: jenen einer natürlichen Reproduktionsordnung, in dem die Frau für die Fortpflanzung zuständig sei. Umgekehrt gebe es kaum Mittel, beispielsweise sexistische Werbung zu unterbinden, die ein hetero-normatives Modell stützten.

Kommerzielle Werbung darf nach den Leitlinien des Deutschen Werberats niemanden etwa wegen seines Geschlechts oder seiner Abstammung diskriminieren, auf seine Sexualität reduzieren oder wegen übertriebener Nacktheit herabwürdigen. Beschwerden kann jeder einreichen, im Jahr 2020 waren es 1 343. Der Werberat ist die Selbstkontrolleinrichtung der Werbewirtschaft, der Deutsche Brauer-Bund gehört ebenso zu den Trägern wie der Deutsche Lottoverband.

Allgemeines Anstandsgefühl

Die Frauenhilfsorganisation Terre des Femmes vergibt jährlich den Negativpreis »Zorniger Kaktus« für frauenfeindliche Werbung – 2021 ging er an den Landhandel Surmühle. Das Unternehmen hatte mit dem aus Sicht der Juroren klischeehaften Bild einer jungen Frau und dem Slogan »Putzsklaven zu verkaufen« Staubsaugerroboter angepriesen.

Rechtswissenschaftlerin Inga Schuchmann war Referentin einer Veranstaltung über »Verbotene Werbung« der Forschungsgruppe »Recht – Geschlecht – Kollektivität« der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Wissenschaftlern zufolge besteht eine Diskrepanz im Umgang mit unerwünschter Reklame. Laut Martin Lücke, Professor für Geschichtsdidaktik an der Freien Universität Berlin, wird Werbung mitunter als bedrohlich und jugendgefährdend dargestellt – seinen Untersuchungen nach ist das teilweise der Fall, wenn Schul- und Lehrpläne liberaler und Themen sexueller und geschlechtlicher Vielfalt davon Gegenstand werden sollen. Lücke verwies auf die Debatten um neue Bildungspläne in Baden-Württemberg 2014, die eine Aufwertung des Themas sexuelle Vielfalt vorsahen, sowie eine Erziehungs-Broschüre des nordrhein-westfälischen Schulministeriums, die die Folgeregierung des Landes als »Werbung für bestimmte Lebensformen« ablehnte, weil dadurch »Schwul- oder Lesbischsein zur Pflicht« werden könne.

Grundlage solcher Vorbehalte sind nach Lückes Einschätzung Verstöße gegen ein »allgemeines Anstandsgefühl«. Während es staatlichen Autoritäten bei kommerzieller Werbung schwerfalle, Verbote auszusprechen, sei es in der Bekämpfung von Pädagogik sexueller Vielfalt dem Staat über Jahrzehnte sehr leichtgefallen, welche zu verhängen, sagt der Historiker. (GEA)