BERLIN. Das Wesen der Diplomatie besteht darin, kunstvoll um die Wahrheit herumzureden. Jo Wadephul ist Deutschlands oberster Diplomat und hat mit seinem Satz über syrische Flüchtlinge gegen den Grundsatz verstoßen. Damit hat der Außenminister politische Verstimmungen ausgelöst, nicht etwa im Ausland, sondern daheim in Deutschland. Es war ein kurzer Satz, den der CDU-Mann im Herzen der syrischen Hauptstadt sagte, nachdem er das zerbombte Damaskus gesehen hatte: »Kurzfristig können sie nicht zurückkehren.«
Fünf Worte, die seine Partei aufregen, ihre bayerische Schwester CSU sowieso, den Spalt zum Koalitionspartner vergrößern, und der Opposition rechts wie links von der Union Munition liefern. Fünf Worte, die auch den Kanzler und sein zentrales Wahlversprechen infrage stellen: Weniger Flüchtlinge, mehr Abschiebungen – das hatte Friedrich Merz den Wählern zugesagt.
AfD-Chefin Alice Weidel hat Wadephul damit ein Geschenk gemacht. »Das ist die CDU: 40 Millionen Euro für den ›Wiederaufbau‹ in Syrien verschenken, aber in ihre Heimat ›können‹ Syrer nicht zurückkehren«, erklärte Weidel.
»Die Sicherheitslage hat sich nach dem Sturz des Assad-Regimes grundlegend geändert«
Die Flüchtlingspolitik ist die Trumpfkarte der AfD, die nirgends besser sticht als bei CDU und CSU. Die Konservativen plagt ein schlechtes Gewissen, seit Alt-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor zehn Jahren die Grenzen offengelassen hat. Merz wollte das wiedergutmachen, CDU und CSU mit sich selbst versöhnen. Und damit verloren gegangene Wähler von der AfD zurückholen. Ausweislich der Umfragen ist das nicht gelungen, die AfD liegt mindestens gleichauf.
In der Migrationspolitik sendet die Union diese Tage ungewollt gemischte Signale. Erst die verunglückte Stadtbild-Debatte des Bundeskanzlers, nun die fünf Worte Wadephuls. Die CSU reagierte rasch. »Die Sicherheitslage in Syrien hat sich nach dem Sturz des Assad-Regimes grundlegend geändert, darauf muss die Politik in Deutschland reagieren«, hatte Landesgruppenchef Alexander Hoffmann unserer Redaktion gesagt. In der CDU versuchte Generalsekretär Carsten Linnemann, den Schaden zu begrenzen. »Wer soll denn das Land wieder aufbauen? Es sind doch die Syrer – die, die vor Ort sind, und diejenigen, die hier sind und zurückkehren müssen.«
Es ist nicht das erste Mal, dass der Außenminister die Schwesterpartei verärgert und die eigenen Reihen irritiert. Wadephul hatte Israel im Sommer für die Härte des Militäreinsatzes im Gaza-Streifen offen kritisiert und sich damit den Unmut zugezogen. Der Kanzler zog später nach, stoppte einen Teil der Waffenhilfe für Israel. Merz und Wadephul haben ein enges Verhältnis, der Außenminister sondiert das Terrain für seinen Chef, der dann die Beschlüsse fasst. Doch die Abstimmung in der Kommunikation nach draußen geht manchmal schief. Merz wird wohl bei nächster Gelegenheit erklären müssen, wie er zu Abschiebungen nach Syrien steht.
Binnen kurzer Zeit hat der CDU-Parteichef das emotionale Thema Migration ein zweites Mal auf dem Tapet. In beiden Fällen ungeplant und ohne Abstimmung. Dabei gibt es langfristige Überlegungen, wie es mit den syrischen Flüchtlingen weitergehen soll.
Vor wenigen Tagen erst besuchte Bundeskanzler Friedrich Merz den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Ihm hat er vorgeschlagen, dass beide Länder als Mittelmächte eng zusammenarbeiten, um der Weltmachtpolitik von China, Russland und den USA trotzen zu können.
In Erdogans Plan ist die Türkei die Ordnungsmacht für den Wiederaufbau Syriens. Schon heute werden syrische Flüchtlinge in das Nachbarland zurückgeschickt. Die türkischen Konzerne stehen bereit, Straßen, Häuser und Schulen zu bauen. Allein bezahlen kann das Ankara aber nicht, weshalb die reichen Golf-Mo-narchien und die Europäer ebenfalls Geld geben sollen.
»Jeder, der nach Syrien zurückkehren will, wird von uns mit einer Träne verabschiedet«
In eine stabilisierte Türkei könnten dann auch Syrer aus Deutschland zurückkehren. Die langfristige Perspektive korrespondiert mit der rauen Wirklichkeit eines vom Bürgerkrieg zerstörten Landes, kollidiert aber mit der deutschen Innenpolitik. Rund eine Million Syrer leben in der Bundesrepublik. Laut Bundesinnenministerium sind derzeit 920 ausreisepflichtig, müssen ohne Duldung das Land verlassen. Kurzfristig geht es um wenige Hunderte, langfristig nach dem Willen von CDU und CSU um Hunderttausende. »Jede und jeder, der nach Syrien zurückkehren will, wird von uns mit einer Träne verabschiedet werden«, sagte Wadephul in Damaskus. In seiner Partei ist man in dieser Frage allerdings nicht so nah am Wasser gebaut. (GEA)
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