BERLIN. Can Dündar war Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, als er 2015 Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an syrische Islamisten berichtete. Er wurde wegen Geheimdienstverrats zu 20 Jahren Haft verurteilt und lebt seit 2016 in Deutschland. Zuvor war vor dem Istanbuler Gerichtsgebäude auf ihn geschossen worden.
GEA: Herr Dündar, In ihrem Buch »Ich traf meinen Mörder« haben Sie die Hintergründe des Attentats recherchiert, das 2016 auf Sie verübt wurde. Die Erdogan-Regierung arbeitete dafür mit der türkischen Mafia zusammen. Das klingt ungewöhnlich.
Can Dündar: Dass die Regierung mit der Mafia gegen Oppositionelle zusammenarbeitet, ist nicht neu. Die türkische Geschichte ist voll von solchen Geschichten. Ich selbst habe ein Buch darüber geschrieben, wie die türkische Regierung in den 1980er und 1990er Jahren mit kriminellen Organisationen gegen die kurdische Opposition kooperiert hat. Ich hätte damals nur nicht gedacht, dass sie so etwas gegen mich tun würden. Es ist eine alte Geschichte. Ich lebe nächstes Jahr seit zehn Jahren in Deutschland. Aber mir war es wichtig, mehr über die Hintergründe herauszufinden.
Haben Sie immer noch Angst, dass auch hier in Deutschland auf Sie geschossen wird?
Dündar: Es gibt immer ein Risiko für Journalisten, die über Mafia und Geheimdienste berichten. Aber ich hoffe, dass sie es nicht in Deutschland machen
Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation in der Türkei? Ich meine den Friedensschluss mit der kurdischen PKK?
Dündar: Der Deal mit den Kurden hat mit der geänderten Situation nach der Hamas-Attacke auf Israel zu tun. Erdogan wollte den Konflikt beenden, um ein Bündnis zwischen Israel und der PKK zu verhindern. Der zweite Grund ist die neue Situation in Syrien, wo eine Erdogan-freundliche Regierung übernommen hat. Und der dritte Grund ist, dass Erdogan die Stimmen der Kurden braucht. Während er den Kurden Frieden verspricht, verhaftet er weiterhin politische Gegner.
Die Verhaftungen wirken so, als wäre Erdogan unter Druck.
Dündar: Er ist unter Druck, weil die Unterstützung in der Bevölkerung schwindet. Außerdem hat er ein großes Problem, weil die Wirtschaft in der Krise ist. Wenn man die Mehrheit hat, dann braucht man keine solchen Methoden.
Haben Sie Hoffnung auf ein Ende des Erdogan-Regimes?
Dündar: Ich habe immer Hoffnung. Mehr als die Hälfte der Türken hat sich von ihm abgewendet. Die Leute gehen gegen ihn auf die Straße. Aber er hat die Armee, die Polizei und die Mafia. Deshalb ist es schwer zu sagen, wann er stürzt.
Sie waren Chefredakteur einer der größten Tagezeitungen, nun berichten Sie aus dem Exil. Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag verändert?
Dündar: Es ist eine neue Art von Journalismus. Ich kann nicht vor Ort mit Menschen sprechen. Andererseits teilen Whistleblower nur deshalb Dokumente mit mir, weil ich im Exil bin. Ich habe Probleme mit der Finanzierung. Häufig ist es ehrenamtliches Engagement. Ich mache viel auf Youtube und ich drehe Dokumentationen mit dem ZDF, DW und WDR. Aber ich habe eine Mission: Ich will mein Land zurück. Die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus verschwimmt.
Ist das für Sie als langjährigen Journalisten ein Konflikt im Kopf?
Dündar: Den Konflikt gibt es. Ich versuche objektiv zu berichten, aber es ist fast unmöglich neutral zu bleiben. Normalerweise würde ich, wenn ich über die Regierung berichte, gegenrecherchieren und Offizielle konfrontieren, aber die reden nicht mit mir.
Viele Türken in Deutschland haben Erdogan unterstützt. Wie nehmen Sie das wahr?
Dündar: In der deutschtürkischen Community hat sich viel verändert. Es sind in den letzten zehn Jahren viele Türken gekommen, weil sie Gegner Erdogans sind. Andere sehen bei Besuchen in der alten Heimat, dass die Wirtschaft nicht gut funktioniert. Ich glaube, dass die Unterstützung der Deutschtürken für Erdogan bröckelt.
Mit Cem Özdemir könnte im nächsten Jahr der erste Deutschtürke Ministerpräsident werden. Was halten Sie davon?
Dündar: Ich finde es sehr positiv, dass Deutschland für Deutschtürken das Land der Möglichkeiten ist. Es ist ja nicht nur Cem Özdemir, sondern es hat beispielsweise auch in Köln eine Kandidatin mit türkischem Namen als Oberbürgermeisterin kandidiert.
Die Rückkehr der Autokraten ist nicht nur eine türkischer, sondern eine weltweite Tendenz. Woran liegt das?
Dündar: Wir brauchen da Selbstkritik. Wir müssen uns fragen, ob wir genug dafür getan haben, um die Demokratie zu verteidigen oder ob wir sie für selbstverständlich erachtet haben. Wir sehen, wie in Frankreich das Parteiensystem kollabiert. Als die Demokratie ihnen nicht das gab, was die Leute suchten, wandten sie sich an autokratische Parteien. Sicherheit ist vielen wichtiger aus Freiheit. Jeder von uns muss sich fragen, ob er als Journalist, als Bürger oder als Politiker genug für die Demokratie getan hat.
Sie haben erlebt, wie die Türkei immer autokratischer wurde. Was kann Deutschland daraus lernen?
Dündar: Am Anfang seiner Herrschaft hatte Erdogan viele Gegner, die seine Macht begrenzten: die Armee, die Universitäten, die Medien. Außerdem musste er die Europäer bei Laune halten, weil er in die EU wollte. Deshalb gab er sich nett und liberal. Dann hat er nach und nach die Generäle pensioniert und die Hindernisse für seinen Machtanspruch beseitigt. Deutschland kann daraus nur lernen, dass es den autokratischen Tendenzen von Anfang an Widerstand leisten muss.
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hat mit der AfD diskutiert, andere haben protestiert – welchen Ansatz halten Sie für richtig?
Dündar: Als nach den Correctiv-Enthüllungen viele Menschen gegen die AfD demonstriert haben, dachte ich, dass die Leute jetzt begriffen haben, dass sie die Demokratie verteidigen müssen. Das macht mir Mut. Mit Autokraten kann man nicht diskutieren.

