Sich ohne Wenn und Aber zu freuen – das ist nicht die Sache der Deutschen. Ihr Glas ist halb leer, nicht halb voll, ständig herrscht Untergangsstimmung, fühlt sich irgendwer schlecht behandelt oder glaubt, er komme zu kurz. Deutschland ist länger wiedervereint, als die Mauer der Schande Berlin teilte. Dennoch war die Feierlaune gestern selbst nach 33 Jahren deutlich getrübt. Dabei haben die Deutschen etwas Einmaliges geschafft. Aber die Löhne, die Renten, die Ausländer!
Nach vier Jahrzehnten Trennung ist das Zusammenwachsen nicht so leicht, wie man in der Wende-Euphorie gehofft hatte. Die Unzufriedenheit und die Sorgen in der Gesellschaft insgesamt, gerade aber in Ostdeutschland, wo die Menschen weniger Reserven haben, weil die Erwerbsbiografien brüchiger sind und weniger Vermögen vererbt wird, nehmen zu. Die Erzählung, dem Osten sei übel mitgespielt worden, Zuwanderung bedrohe Volk und Nation, fällt vielfach auf fruchtbaren Boden.
Was kann getan werden, um die Menschen, die sich Populisten zugewandt haben – und sei es nur, um den anderen Parteien eins auszuwischen – zurückzugewinnen? Das ist eine der großen Herausforderungen. Würden mehr »Wessis« über das platte Land im Osten fahren, sich mehr Ossis mal ins Ruhrgebiet ver-irren – mancher würde sich wundern. Abgesehen von Metropolen und touristischen Zentren lebt man aneinander vorbei. Hier wir, dort die. Umso wichtiger ist es Begegnungen zu schaffen. Vielleicht schaffen es die Deutschen dann ja am 44. Jahrestag zu sagen: Das haben wir richtig gut gemacht. Nicht perfekt. Aber viel besser, als es die meisten anderen hinbekommen hätten.

