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Corona-Krise: Ministeriums-Mitarbeiter meldete intern früh Zweifel an

Die Maßnahmen gegen das Coronavirus sind eine Belastung für die Menschen. Sind sie angemessen?, fragt ein Mitarbeiter im Innenministerium. Er geht der Frage nach, mit Kenntnis von Kollegen. Ärger gibt es, als er seine Analyse von der Dienstadresse verschickt.

Horst Seehofer (CSU), Bundesinnenminister
Horst Seehofer (CSU), Bundesinnenminister. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa/Archivbild
Horst Seehofer (CSU), Bundesinnenminister. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa/Archivbild
BERLIN. Ein Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums ist mit einem Dienstverbot belegt worden, weil er in seiner offiziellen Funktion die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung massiv kritisiert hat – auch gegenüber Beamten in den Ländern. Die Affäre hat im Haus von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) reichlich Staub aufgewirbelt. Sie hat einen langen Vorlauf. Denn bereits Mitte März meldete der Oberregierungsrat erste Zweifel bei Kollegen und Vorgesetzten an und begann zu recherchieren.

Das geht aus internen Unterlagen hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen: eine 93-seitige Kurzfassung sowie eine 192 Seiten umfassende Langfassung, die neben Analysen des Mitarbeiters auch Mailverkehr mit Kollegen und Vorgesetzten umfasst. Zu Details dieser internen Kommunikation wollte sich das Ministerium mit Verweis auf die laufende Aufklärung nicht äußern. Der Sprecher des Ministeriums, Steve Alter, sagte am Dienstag, der Mitarbeiter habe »ohne dienstlichen Auftrag, außerhalb seiner Zuständigkeit und ohne jede Autorisierung« gehandelt.

Der Mitarbeiter schickte am vergangenen Freitag zunächst eine E-Mail an führende Mitarbeiter des Innenministeriums, darunter einen Staatssekretär. Darin heißt es, eine interne Analyse seines Referats ergebe »gravierende Fehlleistungen des Krisenmanagements«, »Defizite im Regelungsrahmen für Pandemien« und »Coronakrise erweist sich wohl als Fehlalarm«. Das gleiche Papier hat er dann eine Stunde später offenbar an Mitarbeiter der Landesinnenministerien verschickt – er verweist nämlich auf die erste Mail: »in der Annahme Ihres Interesses gebe ich Ihnen unten stehende eMail als fachliche Information zur Kenntnis.«

Der Mitarbeiter gehört dem Referat KM4 des Innenministeriums an. Das ist für den Schutz der kritischen Infrastruktur zuständig. Dazu gehören zum Beispiel Kraftwerke, Wasserversorgung oder auch die medizinische Versorgung. Am 19. März schlug der Mann seinem Referatsleiter vor, Wirtschafts- und Finanzministerium nach erwarteten Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Wirtschaft und Staatsfinanzen zu fragen. »Zur Wahrnehmung der hiesigen Grundsatzaufgabe «Schutz Kritischer Infrastrukturen» benötigen wir aktuelle einschlägige Informationen über zu erwartende längerfristige Auswirkungen der Corona-Pandemie«, schrieb er zur Begründung.

Am 23. März bemängelte er dann in einem »Zwischenbericht«, den er unter anderem an Vorgesetzte schickte: »Es erscheint derzeit so, als würden wir unser Gemeinwesen zerlegen, um Schlimmeres zu verhindern. Aber was kann es Schlimmeres geben, als dass unser Gemeinwesen zerlegt ist?« Grundsatzfragen der Pandemie würden zu wenig beachtet, wichtige Daten fehlten. Er warnte unter anderem vor Panik und Depressionen in der Bevölkerung sowie vor Arbeitslosigkeit und stellte die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. »Das hört sich nach einem multiplen Organversagen unserer Gesellschaft an«, schrieb der Mitarbeiter. Die Schutzmaßnahmen gegen das Virus schützten nicht etwa vor Todesfällen sondern verschöben diese nur – doch wenn diese dann einträten, sei die Gesellschaft durch Schutzmaßnahmen schon geschwächt. »Der Zeitgewinn ist dann kein Vorteil sondern ein zusätzlicher Nachteil.«

Er merkte auch an: »Todesopfer sind vor allem unter Alten, Schwachen, Kranken zu befürchten, die arbeitende Bevölkerung wird voraussichtlich weniger betroffen sein. Das heißt: Selbst bei hohen Zahlen von Todesopfern der Viruserkrankung werden die gesellschaftlich vitalen Bereiche unvermindert weiter arbeiten können; wir müssten nicht auf einen Zusammenbruch des Wirtschaftssystems hinwirken.« Um seine Thesen zu untermauern, führt der Beamte sowohl Daten staatlicher Institutionen wie des Robert Koch-Instituts an, als auch Videos von Krankenpflegern aus den USA oder Interviews mit Ärzten aus dem Ausland, die sich gegen strenge Schutzmaßnahmen aussprechen.

Sein Referatsleiter leitete das Papier an Kollegen weiter mit der Bitte um »ggf. beratendes Feedback«. Einer von ihnen lobte den Text als »sehr gelungen und zutreffend«.

Dann bekam der Mitarbeiter einen Dämpfer von seinem Referatsleiter. Zwei Tage später schrieb er, dieser habe ihn gebeten, »mit diesem Anliegen unter meinem Namen und nicht im Namen von KM4 zu agieren, da er den dienstlichen Bezug nicht sieht.«

Das Bundesinnenministerium hat mittlerweile ein Dienstverbot gegen den Mitarbeiter verhängt. Es gebe nun ein »Verbot zur Führung der Dienstgeschäfte« nach dem Bundesbeamtengesetz, hieß es.

Ein Sprecher erklärte: »Es geht nicht darum, dass ein Mitarbeiter eine kritische Meinung äußert, sondern darum, dass er das unter dem Briefkopf des Bundesinnenministeriums tut und dadurch den Anschein erweckt, es handle sich um die Position des Hauses.« Das Ministerium hatte sich schon am Sonntag öffentlich von dem Vorgang distanziert. Zuvor hatte das Online-Portal »Tichys Einblick« Teile des Papiers öffentlich gemacht. (dpa)