Wie kann man die Traumkarriere von Serena und Venus Williams filmisch am besten erzählen? Der Aufstieg der beiden Schwestern aus dem ärmlichen kalifornischen Compton an die Spitze des Damentennis ist idealer Stoff für ein Hollywood-Märchen. Doch »King Richard« stellt nicht die Power-Frauen, sondern deren Vater Richard Williams in den Mittelpunkt.
Die Mädchen waren noch nicht einmal geboren, als sich Williams bereits einen 78-seitigen Karriereplan für seine Töchter ausgedacht haben soll. Mit seiner zweiten Ehefrau, Oracene Price, zog er fünf Töchter auf. Sie jobbten als Nachtwächter und Krankenschwesterin, Geld war knapp. Ihre Töchter Serena und Venus sollten als Tennisprofis reich und berühmt werden, so der Plan des Vaters. Er wurde der erste Trainer der jungen Williams-Schwestern, auf einem abgewrackten Tennisplatz in Compton. Der Vorort von Los Angeles war damals für Bandenkriege und Verbrechen bekannt.
Mit fanatischem Ehrgeiz verfolgt der Vater sein Ziel, trainierte die Mädchen und setzte sich allen Widrigkeiten zum Trotz in der überwiegend weißen, wohlhabenden Tennis-Welt durch. Richard Williams ist eine schwierige und gleichzeitig fesselnde Figur. In »King Richard« wird er nicht etwa als rücksichtsloser, vom Erfolg getriebener Vater dargestellt. Hollywood-Star Will Smith (53, »Ali«, »Das Streben nach Glück«) spielt den Mann mit allen Facetten, vor allem als Familienvater, der seine Mädchen mit Liebe und Kampfgeist zu Größerem anspornt. »Die Welt hatte nie Respekt vor Richard Williams, aber euch werden sie respektieren«, schärft er seinen Kindern ein.
»King Richard« ist weit mehr als ein Sportdrama. US-Regisseur Reinaldo Marcus Green (»Monsters and Men«) erzählt in seinem ersten größeren Hollywood-Film eine einzigartige, fesselnde Familiengeschichte, die selbst Tennis-Banausen in den Bann ziehen wird. Auch die Oscar-Akademie zeigte sich beeindruckt. Mit sechs Oscar-Nominierungen, darunter in der Top-Sparte Bester Film, für Originaldrehbuch, Hauptdarsteller Smith und Nebendarstellerin Aunjanue Ellis, geht das Biopic Ende März ins Rennen um die 94. Academy Awards.
Venus und Serena Williams und deren Schwester Isha Price waren als ausführende Produzentinnen mit an Bord. Es sei völlig »surreal« und »sehr emotional«, ihre Geschichte auf der Leinwand zu sehen, sagte Venus (41) vor dem US-Kinostart in einem Pressegespräch. »Sie haben unsere Familie wirklich verstanden«, lobte die Tennisspielerin die Macher des Films.
Gefilmt wurde teilweise an Originalschauplätzen in Compton, wo die Familie in den 1980er Jahren in einem kleinen Haus wohnte. Die fünf Mädchen teilten sich ein Zimmer. In einem roten, klapprigen VW-Bus chauffiert der Vater die Familie herum. Von der Schule geht es gleich zum Training. Er wolle seine Kinder von der Straße fernhalten, raunzt er eine Sozialarbeiterin an, die beim Hausbesuch nachprüft, ob die Mädchen beim Training zu hart rangenommen werden. Später gelingt es Williams, die Schwestern bei Profi-Trainern unterzubringen. Die Familie zieht nach Florida um, wo Venus und Serena von dem Star-Coach Rick Macci (Jon Bernthal) den sportlichen Feinschliff bekommen.
Die beiden Jungstars Saniyya Sidney als Venus und Demi Singleton als Serena überzeugen vor der Kamera und auf dem Tennisplatz als die zukünftigen Weltklassesportlerinnen. »Saniyya musste nicht nur Tennis von Grund auf lernen, um wie Venus zu spielen, sie ist zudem Linkshänderin und musste mit ihrer schwächeren Hand spielen«, begeisterte sich Will Smith im Interview über die 15-jährige Darstellerin.
Einen starken Auftritt hatte auch Aunjanue Ellis (52, »Beale Street«) als Oracene Price, die den Traum ihres Mannes teilt, den ehrgeizigen Vater aber auch immer wieder in seine Schranken weist.
Doch »King Richard« besticht vor allem durch die Nuancen von Will Smith in einer seiner besten Hollywood-Rollen, die bereits mit einem Golden Globe als bester Drama-Darsteller honoriert wurde. In den 1990er Jahren habe er ein Fernsehinterview mit der damals 14-jährigen Venus gesehen, in dem ihr Vater den bohrenden Reporter unterbricht und seine Tochter in Schutz nimmt. Der dankbare Blick von Venus habe ihn damals total beeindruckt, sagte Smith im Pressegespräch. »Richard Williams war wie ein Löwe, der seine Tochter beschützt, genau das will ich nun der Welt zeigen«.
Fast zweieinhalb Stunden ist das Familiendrama lang, doch bis zur letzten Minute packend. Der Film endet damit, dass Venus 1994 als 14-Jährige ihr erstes Profi-Match bestreitet. Das war der Beginn einer legendären Karriere mit Olympia-Gold und Grand-Slam-Titeln. Und nun kommt vielleicht noch Oscar-Ruhm dazu. Nach Bekanntgabe der Oscar-Nominierungen jubelte Serena Williams auf Instagram: »Das ist verrückt. Von Compton nach Wimbledon zu den Academy Awards. Jeder kann träumen. Und deine Träume können wahr werden.«
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