Mit einer wahrhaft poetischen Poetik-Vorlesung hat Judith Hermann an der Frankfurter Goethe-Universität die traditionsreiche Reihe nach der Corona-Pause zu neuem Leben erweckt.
Den ersten Vortrag widmete die Berliner Autorin (»Sommerhaus, später«, zuletzt: »Daheim«) am Dienstagabend dem autobiografischen Kern im fiktionalen Erzählen.
»Ich schreibe am eigenen Leben entlang. Ein anderes Schreiben kenne ich nicht«, sagte die 1970 geborene Autorin zu Beginn ihrer Vorlesung, in der sie von ihrem früheren Psychoanalytiker, einer ehemaligen Freundin mit dem gleichen Psychoanalytiker und der gemeinsamen Clique aus dieser Zeit erzählte. All diese Personen kommen in ihren Büchern vor sind doch andere als im wahren Leben: »Die Geschichte ist ein Schutzraum für die Erzählerin. Ein Gehäuse wie die Schale einer Nuss. Die Erzählerin ist die kleinste Puppe in der russischen Matroschka, die Geschichte der Kokon um sie herum.«
»Die Erzählung lenkt den Leser vom Eigentlichen ab. Sie lenkt ihn von mir ab«, sagte Hermann. »Ein Zaubertrick: Der Leser sieht den Hokuspokus des Zauberers zu und verpasst den Trick.« Hermanns Poetik-Vorlesung, die pandemiebedingt zwei Mal verschoben werden musste, trägt den Titel »Wir hätten uns alles gesagt - vom Schweigen und Verschweigen im Schreiben«. Die weiteren Teile folgen am 10. und 17. Mai an der Goethe-Universität und enden am 18. Mai mit einer Lesung im Frankfurter Literaturhaus.
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