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Paul McCartneys starkes »Rockdown«-Solo

Drei Pop-Legenden haben im Corona-Jahr neue (und sehr gute) Musik abgeliefert: Nach Dylan und Springsteen begeistert nun auch Sir Paul. »McCartney III« ist für den Ex-Beatle ein »Rockdown«-Werk - und es nimmt einen jahrzehntealten Faden wieder auf.

Paul McCartney
Sir Paul McCartney 2018 bei einem Konzert in Glasgow. Foto: Stewart Westwood / Rmv/RMV via ZUMA Press/dpa
Sir Paul McCartney 2018 bei einem Konzert in Glasgow. Foto: Stewart Westwood / Rmv/RMV via ZUMA Press/dpa

BERLIN. Eigentlich wollte Paul McCartney im Frühsommer kurz vor seinem 78. Geburtstag auch in Deutschland große Konzerte geben. Auf dem Programm: die bewährte Stadion-Mixtur aus Beatles-Welthits und kaum weniger berühmten Songs seiner phänomenalem Karriere seit 1970.

Doch wegen der Pandemie kam auch dies anders - zur Enttäuschung vieler Verehrer, die einen der berühmtesten Musiker des 20. Jahrhunderts gern noch einmal live gesehen hätten.

Sir Paul, längst Mitglied der Corona-Risikogruppe, kam in einem Farmhaus im englischen Sussex unter, bei seiner ältesten Tochter Mary und deren Familie. Und er kehrt nun, gut ein halbes Jahr später, mit einem überraschenden, ja überragenden Album zurück aus dem »Rockdown« (so der Musiker in einem Interview des britischen Magazins »Uncut«).

»McCartney III« knüpft an bei zwei frühen, nach anfänglicher Skepsis mittlerweile hochgeschätzten Solowerken, die er ebenfalls in selbstgewählter Isolation geschaffen hatte: dem rustikalen »McCartney« von 1970 - also aus dem Jahr des Beatles-Splits - und dem elektronischen »McCartney II« von 1980. Gemeinsam ist den drei selbstbetitelten Alben, dass der erfolgreichste Songschreiber der Popgeschichte in bescheidener angelegten Unternehmungen so reduziert, lässig und kühn klingt wie sonst nur selten.

»Bei allen dreien war eigentlich nur die Absicht, ein bisschen im Haus herumzumusizieren«, sagt der 18-fache Grammy-Gewinner im »Uncut«-Interview zur Ausgangslage. Und er fährt mit Blick auf »McCartney III« fort: »Dass ich dieses neue Album zum Vergnügen gemacht habe, nahm eine Menge Druck von mir. Ich bin dann wie ein verrückter Professor, der in seinem Labor herumexperimentiert.«

Statt sich Theaterprojekten zu widmen und als lebende Legende beim geplanten Glastonbury-Festival 2020 aufzutreten, ließ sich der trotz Falten immer noch irgendwie jungenhaft wirkende Brite beim Komponieren und Solo-Aufnehmen im Lockdown einfach treiben. Der BBC sagte er: »Nicht für eine Sekunde habe ich daran gedacht, dass das ein Album werden könnte.«

Im »Uncut«-Magazin erläutert McCartney, immerhin einer der größten Melodienerfinder des Pop: »Wenn ich Lieder schreibe, dann weiß ich nicht, wo es hinführt.« Ein »Songwriter-Navi« habe er nämlich nicht. »Ich folge der Route und schaue einfach mal, wo ich lande.«

Gelandet ist McCartney bei einigen der faszinierendsten Liedern eines ohnehin reichen Spätwerks. Die Pianoballade »Women And Wives« etwa: traumhaft schön. »Seize The Day«: gehobene Beatles-Qualität. Oder gar das geniale »Deep Deep Feeling«: eine achtminütige, garantiert nicht locker mitsingbare Exkursion in vorher selten betretene Soundregionen - wieder viel Klavier, vertrackte Trip-Hop-Rhythmen, Falsettgesang, ein herrlich dezentes Gitarrensolo und Lagerfeuer-Ausklang inklusive.

Der Musiker nennt diesen Song selbst etwas verrückt: »Er geht einfach immer weiter, da sind Millionen kleine Veränderungen drin.« Aber: »Wenn Du Dich traust, ein bisschen zu experimentieren, ist das gut für Dich. Ich habe das immer geliebt. «Es ist erlaubt» - das ist eine Art ewige Philosophie für mich.«

Deshalb lässt sich dieser einst für seinen - im Vergleich zum nasalen John Lennon - einschmeichelnden Gesang bekannte Musiker auch nicht davon unterkriegen, dass die Stimme wie schon auf dem Vorgänger »Egypt Station« (2018) nicht mehr ganz so geschmeidig ist. McCartney singt jetzt eben anders als früher, auch mal höher, gepresster, rauer - es hört sich gerade deswegen wunderbar würdevoll an.

Textlich hat die Pandemie in »Find My Way« ihren Niederschlag gefunden - mit dem Ausdruck eigener Ängste. Der Song wurde »zu Beginn des Lockdowns geschrieben, es war eine sehr furchterregende Zeit«. McCartney, gern als Sonnyboy beschrieben, akzeptiert gleichwohl sein Image: »Ich habe immer versucht, den meisten Dingen eine positive Richtung zu geben.« Und er sei auch stolz, dass die Musik der Beatles »diese Wirkung bei Menschen hatte und wohl auch noch hat. Das sollte doch nur eine kleine Rock'n'Roll-Band sein, die ein paar Jahre überdauert. Es ist so irre!«

Mit der Pop-Ära der Sixties, auf die McCartney gern zurückblickt, verknüpft er nun auch das erstaunliche Album »McCartney III«. Erstens enthält es mit »When Winter Comes« ein Lied von 1992, das ursprünglich von Beatles-Studiozauberer George Martin produziert worden war. Zweitens ist das neue Albumcover nach Worten des stolzen Vaters von der Fotografin Mary McCartney gestaltet - sie wurde 1969, kurz vor dem Ende der Fab Four, als sein erstes Kind geboren.

Mit einer tatsächlich an das Beatles-Meisterstück »Abbey Road« von 1969 erinnernden Akustikgitarren-Ballade endet Paul McCartneys eindrucksvolle Songwriter-Lehrstunde. Nach grandiosen Platten zweier anderer Ü70-Superstars in diesem Jahr - Bob Dylan mit »Rough And Rowdy Ways«, Bruce Springsteen & The E Street Band mit »Letter To You« - erweist sich auch diese Pop-Ikone als unantastbar. (dpa)

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