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Nida-Rümelin gegen »Gesinnungsprüfungen«

Der Fall des russischen Dirigenten Gergijew erhitzt nicht nur in der Kulturszene die Gemüter. Darf man solchen Künstlern wegen Putin-Nähe kündigen? Einen wichtigen deutschen Intellektuellen erinnert das an die McCarthy-Ära in den USA.

Früherer Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin
Julian Nida-Rümelin fühlt sich derzeit an die McCarthy-Ära der 50er Jahre erinnert. Foto: Sebastian Gollnow
Julian Nida-Rümelin fühlt sich derzeit an die McCarthy-Ära der 50er Jahre erinnert.
Foto: Sebastian Gollnow

Ex-Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin hat sich dagegen ausgesprochen, wegen des Angriffs auf die Ukraine russischen Künstler ihre Engagements zu entziehen.

Es dürfe in Deutschland keine »Gesinnungsprüfungen« von Künstlern und Wissenschaftlern geben, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats der »Welt am Sonntag«. Es sei auch falsch, ein Bekenntnis gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu fordern, so der Philosophie-Professor mit Blick auf den Fall des Dirigenten Waleri Gergijew.

"Wohin das führen kann, sehen wir doch an der Geschichte der USA mit der McCarthy-Ära, als Künstler gecancelt und politisch verfolgt wurden, wenn sie sich nicht öffentlich vor der
McCarthy-Kommission vom Kommunismus distanziert haben", sagte Nida-Rümelin. Man lege damit die Axt an die Grundwerte einer freiheitlichen Demokratie. Die McCarthy-Ära bezeichnet eine nach dem Senator Joseph McCarthy benannte Kampagne in den USA gegen vermeintlich kommunistische Umtriebe in den 1950er Jahren.

Der Fall Gergijew

Nida-Rümelin kritisierte konkret den Gergijew-Rauswurf bei den Münchner Philharmonikern. »Warum hat sich die Stadt München Gergijew als Dirigent der Münchner Philharmoniker geholt? Weil er ein genialer Musiker ist und nicht, weil er als Putin-nah galt.« Nida-Rümelin war 2001/2002 Kulturstaatsminister unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD).

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte die Trennung von dem Dirigenten Anfang März damit begründet, dass dieser sich trotz Aufforderung nicht vom Angriff Russlands auf die Ukraine distanziert hatte. Der Münchner Stadtrat unterstützte inzwischen den Rauswurf. »Dies ist kein Misstrauensvotum gegen die gesamte russische Bevölkerung und keine Einschränkung der künstlerischen Freiheit«, teilten alle Stadtratsfraktionen außer der AfD am Freitag in einem gemeinsamen Statement mit. Gergijew habe aber als Repräsentant der Stadt eine herausgehobene Stellung und sei Botschafter ganz Münchens.

Weltweit wurde Gergijew mittlerweile auch von anderen renommierten Häusern und Orchestern ausgeladen. Er ist mit Kremlchef Wladimir Putin befreundet. Die Stadtratsfraktionen teilten mit, der Künstler habe demonstriert, »dass ihm diese Freundschaft im Zweifel wichtiger ist als unsere Werte«. Gergijew war seit 2015 Dirigent der Philharmoniker, eines städtischen Orchesters.

© dpa-infocom, dpa:220313-99-500871/3