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Neues Buch: Precht und Welzer rechnen mit Medien ab

»Die vierte Gewalt« - so betiteln Richard David Precht und Harald Welzer in ihrem Buch die Medien. Vom Journalismus sind sie wohl nicht gänzlich überzeugt. Aber auch das Buch hat Schwachstellen.

Richard David Precht und Harald Welzer
Richard David Precht (l) und Harald Welzer widmen sich in ihrem Buch »Die vierte Gewalt« den Medien und deren vermeintlicher Macht. Foto: Henning Kaiser
Richard David Precht (l) und Harald Welzer widmen sich in ihrem Buch »Die vierte Gewalt« den Medien und deren vermeintlicher Macht.
Foto: Henning Kaiser

Der langjährige ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hat sein Urteil auf Twitter schon gefällt, ehe es das Buch überhaupt zu kaufen gibt: »Hände weg vom Buch! Diese zwei arroganten, selbstverliebten Hengste, die die Ukrainer verachten und keinen blassen Schimmer haben, lagen immer falsch überall,wo man falsch liegen kann. Daher: Die beiden narzisstischen Typen einfach ignorieren. Nicht kaufen.«

Man darf getrost bezweifeln, dass die deutschen Leser »Die vierte Gewalt« von Richard David Precht und Harald Welzer auch so gnadenlos beurteilen werden. Denn Welzer und vor allem Precht gehören seit vielen Jahren nicht nur zum sprechenden Inventar der Talkshows von »Markus Lanz« bis »Anne Will«, sie sind auch in schöner Regelmäßigkeit auf allen Sachbuch-Bestsellerlisten zu finden.

Womit schon das Problem mit der »vierten Gewalt« anfängt. Denn Sachbücher im echten Sinne schreiben weder Precht (zuletzt mit »Freiheit für alle« über die Arbeit von morgen erfolgreich) noch Welzer (»Nachruf auf mich selbst« über die Kunst des Aufhörens, ausgelöst durch einen Herzinfarkt). Sie sind vielmehr meinungsgewaltige, geschickt formulierende Leitartikler auf der Langstrecke.

Beide schaffen süffig zu lesende Werke. Einst kamen sie eher von links, sind aber jetzt das niedergeschriebene gesunde Volksempfinden in modernem Gewand. So etwas wie der Dieter Nuhr fürs Sachbuch.

Rundumschlag gegen die Medien

Da macht »Die vierte Gewalt« keine Ausnahme. Etwas länglich referieren Precht/Welzer Mediengeschichte, von den US-Medienzaren Hearst und Pulitzer über Hugenberg bis zu Mathias Döpfner. Hier wird auch schon mal in bester antiamerikanischer Tradition von transatlantischen Mächten geraunt. ARD und ZDF oder das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), eine norddeutsche Zeitungsgruppe, kriegen ebenso ihr Kritik-Fett weg: zahm, regierungsnah, unseriös sind noch die freundlichsten Begriffe.

Die Autoren beschreiben dabei, wie sich die Diskussion über politische Themen in Deutschland immer wieder verengt. Es gebe eine Meinungshegemonie, die in der Regel wenig kritisch Regierungshandeln verteidigt. Das, zitieren Welzer und Precht frühere Studien, sei aber kein neues Phänomen, sondern schon in den 50er Jahren unter Kanzler Konrad Adenauer so gewesen. In Deutschland herrsche eine »Mediokratie« - Medien beschrieben und begleiteten Politik nicht nur, sondern beeinflussten sie aktiv.

Als Beispielgeber muss der stellvertretende Chefredakteur von Springers »Welt«, Robin Alexander, herhalten. Der hatte fasziniert seine Rolle in der Parteienkrise der Union 2018 beschrieben - als er »zwischen zwei Sitzungen am Würstchenstand« so viele Informationen gesteckt bekam, dass er gar keine ganzen Artikel mehr verfassen konnte, sondern seinen Senf ständig bei Twitter dazu geben musste, um seinen Informationsvorsprung zu dokumentieren. Der Reporter als Akteur - ein schlimmer Regelfall inzwischen, glauben Welzer und Precht.

Zwischen Top und Flop

So weit, so interessant für Politikwissenschafts- und Publizistikstudierende. Daran ist auch nicht alles falsch, manches sicherlich richtig. Der Journalismus in Deutschland neigt zum bequemen Herdentrieb. Das machte nicht erst die Hatz auf den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff deutlich, die Welzer und Precht natürlich auch als Beleg heranziehen. Immer wieder wird zu wenig nachgedacht und recherchiert, aber zuviel gesendet, was gerade angesagt ist. Hier ist das Buch für die deutschen Medien unbequem, hält ihnen anstrengend wortreich den Spiegel vor.

Unbehagen bereitet »Die vierte Gewalt« jedoch,weil es sich auch wie die persönliche Reaktion auf eine Beleidigung liest. Welzer und Precht gehörten im Frühjahr zu jenen Prominenten, die sich per offenem Brief gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aussprachen. Damit brachten sie nicht nur den Ukraine-Botschafter Melnyk zur Weißglut. Recht unverhohlen forderten sie zudem die Angegriffenen auf, sich um des lieben Friedens willen in ihr Schicksal zu fügen und russische Kolonie oder was auch immer zu werden. Daraufhin hagelte es Kritik - vor allem der Medien.

Also liest sich »Die vierte Gewalt« auch wie eine Antwort auf diese Kritik, die bisweilen Häme war. Das bestreiten Welzer und Precht natürlich, aber sie gerieren sich in ihrem Buch dennoch an mehreren Stellen als verfolgte Gegen-den-Strom-Denker. Das ist dann nicht mehr weit entfernt vom »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen« der dubiosen Montagsdemonstrationen.

Dort gehören Precht und Welzer bei aller Kritik natürlich nicht hin. In ihrem Werk kritisieren sie die hyperventilierenden Diskussionen in der aufgeregten deutschen Gesellschaft. Vielleicht sollten die beiden auch erst einmal wieder das ruhige Atmen lernen, ehe sie weiterschreiben.

Richard David Precht, Harald Welzer: »Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist.« Das Buch erscheint am 28. September im S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 289 Seiten, Preis: 22 Euro.

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