FLORENZ. Kaum ein anderer Regisseur hat die italienische Oper so opulent und glanzvoll in Szene gesetzt wie Franco Zeffirelli. »Zu viel war ihm noch nie genug«, wurde einst über ihn geschrieben.
Einen einfachen Charakter hatte er nicht, er war undiplomatisch und eigenwillig, manchmal radikal in seinen Ansichten und zornig auf alles, was ihm nicht ins Konzept passte. »Ich war immer schon ein zynischer, alter Wolf«, bekannte er einmal.
Am Samstag ist Zeffirelli, der sich zeitlebens gern als kettenrauchender Dandy gab, nach langer Krankheit im Alter von 96 Jahren gestorben. Die Vorstellung des Ablebens - plötzlich nicht mehr Teil dieser Erde zu sein - mache Angst, sagte er im Januar 2018 kurz vor seinem 95. Geburtstag.
Zeffirelli arbeitete mit den ganz Großen des Fachs, von Riccardo Muti über Joan Sutherland bis Luciano Pavarotti. Aber auch im Kino konnte der gebürtige Florentiner Erfolge feiern und dafür Weltstars wie Liz Taylor und Richard Burton verpflichten.
Obwohl seine ganz großen Würfe schon ein paar Jahrzehnte zurückliegen, gelangen ihm auch im Alter noch überraschende Projekte, wie etwa »Callas Forever« (2002). Der Film mit Fanny Ardant in der Hauptrolle erregte auch deshalb Aufsehen, weil Zeffirelli darauf beharrte, dass er nicht beim renommierten Festival von Venedig gezeigt werden dürfe. »Mein Film passt nicht nach Venedig, da werden ja nur iranische und indische Filme gezeigt«, meinte er polemisch.
Zuvor war ihm bereits mit »Tee mit Mussolini« (1999) etwas Neues gelungen. Nicht nur konnte er weibliche Superstars wie Cher, Maggie Smith und Judi Dench verpflichten - er schwelgte auch plötzlich in Erinnerungen an sein eigenes Leben, an seine Kindheit und seine Jugend in Florenz. »Eine Mischung aus Verschämtheit und Nostalgie«, nannte Zeffirelli das.
Filmemachen sei eine wunderbare Kunstform, denn bei den Dreharbeiten habe er sowohl die Fakten als auch die Emotionen erneut durchleben können, schwärmte er in einem Interview. »Indem ich jene Zeit Revue passieren lasse, erinnere ich mich an kleine Details, Gesichter tauchen vor meinem inneren Auge auf und die Straßen von damals werden wieder lebendig.«
Den entscheidenden Anstoß für die Laufbahn bei Theater und Film hatte Luchino Visconti (1906-1976) gegeben, der ihn nach dem Zweiten Weltkrieg zu seinem Assistenten machte. Zunächst wurde Zeffirelli als Bühnenbildner bekannt, gemeinsam mit Salvador Dalí schuf er die Kulissen für eine Shakespeare-Inszenierung. 1953 führte er erstmals an der Mailänder Scala Regie. »In Italien funktionieren nur drei Institutionen: der Vatikan, die Mafia und die Scala in Mailand«, sagte er später. 1959 inszenierte er im Londoner Covent Garden, 1964 an der Met in New York. Immer wieder waren es Shakespeare-Stücke.
1966 verfilmte er Shakespeares »Der Widerspenstigen Zähmung« mit Elizabeth Taylor und Richard Burdon. Trotz der Top-Stars winkten viele Kritiker ab. »Kein Film, von dem man lange sprechen wird, dazu fehlt es ihm an Originalität und Entdeckerfreude«, hieß es.
Ganz anders »Romeo und Julia«. Die beiden Hauptdarsteller der Liebestragödie waren zwei 16 und 17 Jahre alte Unbekannte, der Film konventionell und ohne modischen Schnick-Schnack, Padua mit seinen Kirchen und Palästen wurde in Farben nach Art des Tizian getaucht. »Mut zum Pathos, Mut zum Gefühl«, schrieb ein deutscher Kritiker damals. Der Film fesselte, gerade auch die Jugend.
»Ich bin kein Mystiker, ich bin ein Pragmatiker«, sagte Zeffirelli einmal über sich. Religion und Ideologie seien seine Sache nicht. Aber das sollte sich ändern: Nach einem schweren Autounfall im Jahr 1969, bei dem der italienische Filmstar Gina Lollobrigida am Steuer saß, fand er zu tiefer Frömmigkeit und zog entsprechend gegen die »Sexwelle« im italienischen Kino zu Felde.
Das dekadent-lebenslustige Rom der Dolce-Vita-Ära nannte er »in Sachen Kultur ein schmutziges, unverschämtes, papistisches Dorf«. 1973 drehte er den Franz-von- Assisi-Film »Bruder Sonne, Schwester Mond«. 1977 kam sein »Jesus von Nazareth« in die Kinos - mit Stars wie Robert Powell in der Titelrolle, Anne Bancroft, Claudia Cardinale, James Mason, Anthony Quinn und Peter Ustinov.
Erst im April 2016 bestätigten dann Experten eine Vermutung, die schon lange über Zeffirellis Abstammung kursierte: Der Maestro war tatsächlich ein Nachfahre des Universalgenies Leonardo da Vinci (1452-1519). In Zeffirellis Familie war dies schon länger bekannt, hatte der Regisseur doch bereits 2007 anlässlich der Verleihung des »Premio Leonardo« erklärt: »Meine Familie, die Corsi, stammt unter anderem von Leonardo da Vinci ab.« Das Publikum lächelte und dachte, Zeffirelli mache einen Scherz.
Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Zeffirelli zurückgezogen. In den Fokus rückte er noch mal im Zuge der #MeToo-Debatte, in der ihn der US-amerikanische Schauspieler Johnathon Schaech mit schweren Vorwürfen konfrontierte. Die Behauptungen seien nicht wahr, teilte der Adoptivsohn Giuseppe Corsi mit. Zeffirellis Gesundheit ließ es nicht mehr zu, sich selbst zu den Vorwürfen zu äußern.
Der Wolf - »immer ungehorsam und nie linientreu« - war alt geworden. Der Welt hinterlässt er ein großes Erbe: Opulent und prächtig ist es, schön und kunstvoll - so wie das Italien, von dem Zeffirelli träumte. (dpa)