Logo
Aktuell Kultur

Avicii-Album: Nachdenkliche Texte zu glücklichen Beats

Avicii machte die Menschen mit seiner Musik glücklich, konnte dieses Glück auf der Jagd nach neuen Songs aber oft selbst viel zu wenig spüren. Das neue Album des viel zu jung gestorbenen Schweden zeigt diese Zerrissenheit par excellence. Haben wir sein SOS überhört?

Avicii
Das posthume Avicii-Album enthält Songs, an denen der schwedische DJ mit Stars wie Chris Martin und Imagine Dragons gearbeitet hat. Foto: Roni Rekomaa/Lehtikuva
Das posthume Avicii-Album enthält Songs, an denen der schwedische DJ mit Stars wie Chris Martin und Imagine Dragons gearbeitet hat. Foto: Roni Rekomaa/Lehtikuva

STOCKHOLM. Avicii lebt nicht mehr, aber seine Musik bleibt. Etwas mehr als ein Jahr nach dem Tod des Ausnahme-DJs liefert das Studioalbum »Tim« ein Dutzend neue Songs, an denen der junge Schwede bis zuletzt mit Stars wie Chris Martin und Imagine Dragons gearbeitet hat.

Herausgekommen sind zwölf Lieder, die man als spätes Zeugnis eines traurigen und vom Stress geplagten Musikers hören kann. Oder einfach als eine Palette exzellenter elektronischer Beats, die gute Laune bereiten.

Dieser Gegensatz hat Tim Bergling, so Aviciis bürgerlicher Name, auch zu Lebzeiten begleitet: Hier die Musik, die glücklich macht - dort der Musiker, der sich gestresst, ängstlich und unglücklich fühlte. Die Erde war oft kein Himmel für Avicii, dessen Künstlername sich von der tiefsten Ebene der buddhistischen Hölle, »Avici«, ableitet. Seine Songs dagegen machten Laune, ohne dabei platt zu klingen.

Sie funktionieren - und diesen Spagat kriegen nur wenige DJs hin - dank seiner Drops und einfühlsamen Melodien sowohl in der Großraum-Disco als auch zu Hause auf der Couch. Hirnlose Bum-bum-Mucke oder einschläfernde, weil repetitive House-Musik waren nicht Berglings Ding. Stattdessen war seine Elektro-Musik tiefgründig und emotional.

An diesen hohen Ansprüchen wird nun auch »Tim« gemessen werden. Und natürlich hört man jeden Song mit Gedanken an seinen Tod am 20. April 2018: Damals wurde Bergling in Maskat, der Hauptstadt des Oman, tot aufgefunden. Die Polizei schloss Fremdverschulden aus. Avicii, Weltstar und Schöpfer von Hits wie »Levels« und »Wake Me Up«, wurde nur 28 Jahre alt.

Bis zu diesem Tag hatte der gebürtige Stockholmer mit diversen Künstlern und Produzenten an neuer Musik gewerkelt. Obwohl er 2016 das Ende seiner Live-Auftritte verkündet hatte, war er der Rastlose geblieben, der wie ein Hochgeschwindigkeitszug durch die Welt brauste und Musik produzierte. Zum Todeszeitpunkt befand er sich schließlich kurz vor der Fertigstellung eines neuen Albums. Diese Stücke haben mit ihm vertraute Songwriter nun zu Ende gebracht und dabei versucht, Berglings Vision so gerecht wie möglich zu werden.

Und ja, es hat geklappt: Die zwölf Songs tragen tatsächlich auch posthum eindeutig die Handschrift von Avicii. Schon die erste Single-Auskopplung »SOS« beweist, dass positive Vibes mit nachdenklichen, manchmal nach Hilfe rufenden Textpassagen zusammenpassen können. Alles an dem Lied ist irgendwie schön, aber vor allem eben auch ganz schön traurig - Avicii eben.

Eingesungen wurde »SOS« von Aloe Blacc, mit dem Avicii schon bei seinem Welthit »Wake Me Up« zusammengearbeitet hatte. Besonders die Zeile »Can you hear me, SOS, help me put my mind to rest« (»Kannst du mich hören, SOS, hilf mir, mich zur Ruhe zu bringen«) hört man mit Gänsehaut. »Er hat diese Lyrics offenbar über einige seiner Kämpfe geschrieben, und ich denke, das ist ein wirklich wichtiges Thema«, sagt Blacc über den Song. Avicii gebe Menschen die passenden Worte, um zu sagen: »Ich brauche Hilfe.«

So nachdenklich der Text, so happy die Beats. Das gilt nicht nur für »SOS«, sondern zum Beispiel auch für das Lied »Heaven«, bei dem erneut Coldplay-Frontmann Chris Martin (»A Sky Full Of Stars«) seine Stimme zur Verfügung gestellt hat. Beide Lieder beweisen einmal mehr, dass Aviciis DJ-Klänge zu prägnanten Stimmen passen wie die Sonne zu einem Tag am Strand.

Der zweite Teil des Albums wird noch ein Stück emotionaler, der Track »Hold The Line« etwa. Darin geht es darum, sich immer weiter zu pushen, auch in schweren Zeiten. »The breath in your lungs is stronger than the tears in your eyes« (»Der Atem in deinen Lungen ist stärker als die Tränen in deinen Augen«), heißt es dort. Auch das hört man nach dem 20. April 2018 anders. Sind es Durchhalteparolen oder ist es gar Zynismus? Wie gern würde man Avicii danach fragen!

Doch das geht nicht mehr. Stattdessen liefert die US-Gruppe Arizona, die bei »Hold The Line« mit Avicii zusammengearbeitet hat, einen Einblick. »Nach dem, was passiert ist, erscheint es wie ein ziemlich dunkles Lied«, sagt Sänger Zachary Charles. »Es ist ein dunkles Lied, aber es ist trotzdem positiv. Es handelt davon, nicht aufzugeben.« Traurig und glücklich zugleich eben. Typisch Avicii. (dpa)

Hintergrundvideo zum Album