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Israel in der Krise: Netanjahus Zukunft ungewiss

Als Oppositionsführer drängte Netanjahu den damaligen Regierungschef Olmert wegen Korruptionsvorwürfen 2008 zum Rücktritt. Für sich selbst schließt er einen solchen Schritt aus. Die Frage ist, wie reagieren Netanjahus Parteikollegen?

Korruptionsverdacht gegen Benjamin Netanjahu
Benjamin Netanjahu gilt nach Angaben des Israelischen Demokratie-Institutes noch nicht als angeklagt. Foto: Gali Tibbon/AFP Pool/AP/dpa
Benjamin Netanjahu gilt nach Angaben des Israelischen Demokratie-Institutes noch nicht als angeklagt. Foto: Gali Tibbon/AFP Pool/AP/dpa

Tel Aviv (dpa) - Für den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ist die Sache klar: Die Korruptionsermittlungen gegen ihn sind politisch motiviert. Rücktritt? Ist für ihn keine Option.

Unklar ist, ob die Korruptionsanklagen wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue sein politisches Schicksal möglicherweise schon in den nächsten Wochen entscheiden könnten.

Nach der Wahl im September läuft am 11. Dezember die letzte Frist für eine Regierungsbildung ab. Verstreicht die Frist, gibt es in Israel die dritte Neuwahl innerhalb eines Jahres. Wird ein Mitglied von Netanjahus Likud-Partei nun versuchen, seinen Chef auszubooten - Israels am längsten amtierenden Ministerpräsidenten?

Rechtlich gesehen muss Netanjahu nach Angaben des Israelischen Demokratie-Institutes (IDI) als Regierungschef nicht zurücktreten. Ob seine Situation allerdings rechtlich anders zu bewerten ist, weil er de facto derzeit Übergangsministerpräsident ist, ist unklar. Dies gilt auch für den Fall, dass Netanjahu das Mandat zur Regierungsbildung erhalten sollte, obgleich ihn Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit anklagen will. Sollte Mandelblit entscheiden, dass Netanjahu in diesem Fall keine Regierung mehr bilden kann, könnte dies allerdings wiederum gerichtlich angefochten werden.

Netanjahu gilt nach Angaben von Amir Fuchs vom IDI derzeit noch nicht als angeklagt. Dies sei erst der Fall, wenn die Anklageschrift bei einem Prozessauftakt vor dem Jerusalemer Bezirksgericht verlesen wird - er schätzt, dass dies mindestens noch ein halbes Jahr dauern könnte. Es ist das erste Mal in der Geschichte Israels, dass ein amtierender Ministerpräsident direkt vor einer Anklage steht.

Der 70-jährige Netanjahu hat stets alle Vorwürfe zurückgewiesen und mehrfach von einer »Hexenjagd« auf sich und seine Familie gesprochen. Die Anklagen bezeichnete er nun als »versuchten Putsch« gegen ihn.

Grundsätzlich geht es bei den Vorwürfen gegen Netanjahu um den Verdacht der Beeinflussung von Medien und teure Geschenke befreundeter Milliardäre. Im heikelsten der drei Fälle soll Netanjahu nach Ansicht des Generalstaatsanwaltes als Kommunikationsminister dem Unternehmen Bezeq rechtliche Begünstigungen gewährt habe. Im Gegenzug soll ein zum Konzern gehörendes Medium positiv über ihn berichtet haben. Netanjahu gab das Ministeramt 2017 ab.

Jonathan Rynhold, Politikprofessor an der Bar-Ilan-Universität nahe Tel Aviv, geht grundsätzlich davon aus, dass eine politische Entscheidung über Netanjahus Zukunft früher fallen könnte als eine rechtliche. »Ich denke, mit der Anklage wegen Bestechlichkeit ist das politische Kapital des Ministerpräsidenten deutlich gefallen.«

Es gebe eine realistische Chance, dass nun ein anderes Mitglied von Netanjahus Likud mit dem Mitte-Bündnis Blau-Weiß von Ex-Militärchef Benny Gantz eine große Koalition eingeht - und Netanjahu außen vor lässt. Führende Likud-Mitglieder bekundeten allerdings noch in der Nacht zum Freitag ihre Solidarität mit Netanjahu.

In den vergangenen Wochen war zunächst Netanjahu mit der Regierungsbildung gescheitert, danach Gantz. Die Bemühungen um eine große Koalition mit Likud und Blau-Weiß fruchteten auch nicht, weil Gantz ein Bündnis mit Netanjahu als Regierungschef wegen der drohenden Anklagen ablehnte. Bereits nach der Wahl im April war es Netanjahu nicht gelungen, eine Regierung zu bilden.

Am Donnerstag begann nun eine letzte dreiwöchige Frist, während der jeder Abgeordnete eine Mehrheit von 61 der 120 Parlamentarier für eine Regierung gewinnen kann. Bei der Wahl errang weder das rechts-religiöse noch das Mitte-Links-Lager eine Mehrheit. Blau-Weiß war mit 33 Mandaten als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgegangen. Der Likud kam auf 32 Mandate.

»Die rechtliche Situation wird sich noch lange Zeit hinziehen«, sagt Rynhold und verweist auf den Fall von Ex-Ministerpräsident Ehud Olmert. Bei diesem habe es von der Anklage wegen Korruption bis zum Gang ins Gefängnis rund sieben Jahre gedauert.

Olmert wurde wegen Korruption verurteilt, kam 2016 ins Gefängnis und nach 16 Monaten wieder frei. Netanjahu drohen bei einer Verurteilung wegen Bestechlichkeit nach Angaben des Rechtsprofessors Gad Barzilai von der Universität Haifa bis zu zehn Jahre Haft.

Pikanterweise hatte Netanjahu als Oppositionsführer 2008 Olmert zum Rücktritt gedrängt, als dieser unter Korruptionsverdacht stand. Olmert trat als Regierungschef schon vor einer Anklage zurück.

Der Generalstaatsanwalt hat nach Angaben des Justizministeriums die Anklagen bereits dem Parlamentspräsidenten vorgelegt. Netanjahu hat nun regulär 30 Tage Zeit, beim Parlament Immunität gegen Strafverfolgung zu beantragen. Unklar ist unter Experten allerdings, inwiefern ein Parlament in der Übergangsphase nach und möglicherweise vor einer neuen Wahl überhaupt über ein mögliches Immunitätsgesuch Netanjahus entscheiden kann.