Berlin/München (dpa) - Es ist eine geradezu aufreizende Gelassenheit, die von der CDU nach dem Linksruck des Koalitionspartners SPD demonstriert wird.
Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer überlässt ihrem Generalsekretär Paul Ziemiak am Montag die Bühne für den wohl letzten großen Auftritt in der Parteizentrale vor Weihnachten. Der absolviert das Frage-Antwort-Spiel mit den Journalisten dann lässig und entspannt. Er malt ein Bild der Union als Hort von Stabilität und Zukunft. Schon wieder Endzeitstimmung in der Koalition? Jedenfalls nicht bei uns, soll das wohl heißen.
Doch natürlich kann der Auftritt Ziemiaks auch als ein Teil des Schwarzer-Peter-Spiels gesehen werden, das gerade von den auseinanderdriftenden Koalitionären zelebriert wird. Denn was CDU und CSU seit dem Wochenende gerade nicht sind: grundgelassen. Führungswechsel und Linksschwenk bei der SPD treiben die Union um.
Schon am Sonntagnachmittag hatte sich eine kleine Spitzenrunde für 16.00 Uhr zur Telefonschalte verabredet. Kanzlerin Angela Merkel war dabei, Kramp-Karrenbauer, CSU-Chef Markus Söder, Ziemiak. Wie soll man reagieren auf das, was sich beim kleinen Koalitionspartner abspielt? Hat die große Koalition noch Zukunft?
Am Montagmorgen trommelt AKK ihre Stellvertreter dann zu Beratungen schon um 7.30 Uhr zusammen, lange vor der für 9.00 Uhr angesetzten Präsidiumsrunde. Zwar lädt Kramp-Karrenbauer gelegentlich ihren engsten Führungszirkel zum Frühstück. Doch ein solch früher Termin hat Seltenheitswert.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur soll es in der frühmorgendlichen Runde vor allem um den Vermittlungsausschuss zum Klimapaket gegangen sein. Mit den Grünen wolle man dort bis Ende kommender Woche zu einer Entscheidung kommen. Parallelverhandlungen mit der SPD zum Klimapaket wolle man in dieser Zeit nicht. Nur kurz sei über die SPD gesprochen worden - unaufgeregt, wird versichert.
CDU und CSU beschränken sich in Berlin und München am Rande ihrer Gremiensitzungen dann auf wenige, dafür umso klarere Botschaften. Tenor: Natürlich reden wir mit der SPD. Aber nicht über alles lassen wir mit uns reden. »Einen neuen Koalitionsvertrag gibt es nicht«, stellt Söder gleich am Morgen klar. Verträge müssten eingehalten werden. Stunden später wird sich Ziemiak in Berlin ganz ähnlich äußern. Söder warnt die SPD: »Was nicht gehen wird die nächsten zwei Jahre sind so Schwarze-Peter-Spiele oder Rotes-Linien-Hopping.«
Zentrale SPD-Forderungen seien weder neu noch derzeit umsetzbar, lautet eine der Botschaften der Unionsgranden. Das Klimapaket? Liege im Vermittlungsausschuss, nicht auf Parteiebene. »Ein völliges Neuaufdröseln des Klimapaketes ist nicht machbar«, sagt Söder. Die Schuldenbremse? Im Grundgesetz verankert, eine Zwei-Drittel-Mehrheit zur Änderung nicht in Sicht. Die Vermögensteuer? Eine uralte SPD-Forderung, die auch bisher keinerlei Folgen gehabt habe. Auch hier wieder: kein Unterschied zwischen Söder und Ziemiak. Von Ideen »aus der Mottenkiste« spricht der CDU-Generalsekretär.
Doch kleine Nadelstiche in Richtung SPD, wie sie Kramp-Karrenbauer bei der Grundrente kürzlich schon gesetzt hat, fehlen auch heute nicht. Die SPD solle doch erst mal klarstellen, wer denn nun das Sagen habe, heißt es in der Union: die neuen Parteivorsitzenden oder die Mitglieder der Bundesregierung? Söder sagt sogar, dass er weitere personelle Konsequenzen für möglich hält, sollten beide Seiten bei den Sozialdemokraten auseinanderklaffen. Zudem müsse die SPD endlich zeigen, dass sie regieren könne und wolle. Dem neuen SPD-Spitzenduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans dürften solche Ratschläge gar nicht gefallen.
Klar wird an diesem Tag jedenfalls nach wie vor: Die Union will am Ende nicht schuld sein, wenn es die große Koalition doch noch vorzeitig zerbröselt. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vermutet hinter den Forderungen der neuen SPD-Spitze sogar gezielte Provokationen: »Man kann den Verdacht bekommen, dass von der SPD-Spitze jetzt bewusst inhaltliche Hürden aufgebaut werden, um später einen Bruch der Koalition zu begründen.«
Natürlich werden auch in CDU und CSU alle denkbaren Szenarien durchgespielt, wie es weitergehen könnte - und das nicht erst seit dem Wochenende. Söder sagt dazu lapidar: »Wenn man ein kluger, umsichtiger Politiker ist, bereitet man sich geistig auf jede denkbare Variante im Kopf vor.« Interessiert beobachten die Christsozialen derzeit, wer sich beim Thema Kanzlerkandidatur in der CDU für welches Szenario in Stellung bringt.
Auf dem CDU-Parteitag vor zwei Wochen hat sich Kramp-Karrenbauer im Kampf um die nächste Kanzlerkandidatur der Union zwar mit ihrer Vertrauensfrage erstmal Luft verschafft. Hört man sich in der Union um, glauben dort erfahrene Strategen, Kramp-Karrenbauer könne ein Interesse daran haben, dass die SPD die Koalition in den nächsten Monaten platzen lässt. Denn diese Art von »Vorratsbeschluss« der Delegierten in puncto Kanzlerkandidatur werde kaum bis zum regulären Wahlparteitag im Dezember 2020 halten. Dort soll eigentlich auch über die K-Frage entschieden werden.
Allerdings ist auch klar, dass AKK beim Thema vorgezogene Neuwahl kaum gegen die in Umfragen immer noch äußerst beliebte Kanzlerin agieren könnte. Merkel zeigt weder Anzeichen von Amtsmüdigkeit, noch gibt es von ihr ein Signal, dass sie bereit wäre, das Kanzleramt für ihre Wunschnachfolgerin vorzeitig zu räumen. Im Gegenteil.
Parteifreunde beschreiben die Strategie der äußerst machtbewussten CDU-Chefin mit einem einfachen Satz: Sie fahre zweigleisig. Sie stelle sich genauso auf einen schnellen Griff zur Kanzlerkandidatur bei einem SPD-Ausstieg aus der Koalition ein wie auf einen harten Kampf bis zum Parteitag in einem Jahr. Vorerst zeigen AKK und Merkel jedenfalls noch ausgeprägte Harmonie, zumindest optisch. Zur Vorstandssitzung haben sich beide für eine sehr ähnliche Farbauswahl bei der Kleidung entschieden: Sie erscheinen fast Ton in Ton in sattem Blau.