Tübingen.Der derzeit wohl spektakulärste Neubau in Deutschland für eine Technologie, die die Welt gerade umkrempelt, Künstliche Intelligenz, steht jetzt in Tübingen. Die Adresse lautet Maria-von-Linden-Straße 1: Der Bezug zu Maria von Linden passt gut. Sie krempelte vor rund 130 Jahren die universitäre Welt in Deutschland um. 1892 begann sie ein naturwissenschaftliches Studium in Tübingen – als erste Frau an dieser Universität und als erste Frau in Württemberg.
Das Gebäude trägt den Namen »Innovationscampus Cyber Valley 1« und ist Teil der Universität. Künstliche Intelligenz, kurz KI, heißt auf Englisch Artificial Intelligence, kurz AI. Dementsprechend firmiert dieser Teil der Uni als »Tübingen AI Center« mit der Internetadresse www.tuebingen.ai.KI gilt als energieaufwendig, daher haben die Planer gleich zwei Photovoltaikanlagen eingebaut. Eine mit 100 Kilowattpeak (kWp) ganz klassisch auf dem Dach, die andere mit 93 Kilowattpeak in die Fassade integriert.
Das gesamte Ensemble eint eine zweischichtige Fassade aus Photovoltaik-Modulen und beweglichen, textilen Sonnenschutzelementen, die die Spitzenforschung im Bereich der Automation und Künstlichen Intelligenz in der Gebäudegestalt versinnbildlichen soll", sagt Steffen Walter, Partner im Architekturbüro Heinle-Wischer. Sind die Sonnenschutzelemente geschlossen, wirkt das Gebäude wie von Christo in schwarzes Tuch gehüllt. Also von außen schon sehr auffällig. So geht es im Inneren weiter. Studierende, Lehrkräfte sowie Besucherinnen und Besucher betreten zunächst eine große Lobby, die mit Bodenplatten in auffälligem Muster ausgelegt ist. Davon wird noch die Rede sein. Von oben flutet Tageslicht in die Lobby. Die Abtrennungen zu den angrenzenden Lehrsälen lassen sich entfernen, sodass ein noch größerer Raum für Versammlungen entsteht. Es lohnt sich, gleich mit dem Aufzug in den vierten Stock (gekennzeichnet als Ebene 6) zu fahren. Gerne würde man hier studieren und den Multifunktionsraum mit Küchenzeile für die Mittagspause nutzen. Vor allem aber die Dachterrasse mit den Blumenrabatten.
Dort zeigt sich auch, dass es sich bei der Überdachung des Lichthofs nicht etwa um Glas handelt, sondern um transparente Luftkissen. Zwischen Erd- und Dachgeschoss sind drei »Regelgeschosse«. Außen Büros, pro Stockwerk ein großer und mehrere kleine Besprechungsräume. »Veränderungen der Raumzuschnitte sind möglich«, sagt Ute Roming aus dem Amt Tübingen von Vermögen und Bau, die das Land Baden-Württemberg als Bauherrn vertritt. Im Boden und an der Decke befinden sich Kabelkanäle. »Wir haben extrem viele Kabel für die sehr umfangreiche EDV-Ausstattung«, erläutert Ute Roming. Das Neueste an Medientechnik soll die internationale Vernetzung ermöglichen. Künstliche Intelligenz spielt sich nun einmal am Computer ab. Doch halt: Die Büros sind mit »Whiteboards« ausgestattet, zum Notieren und Skizzieren von Ideen mit einem Stift. Manche Räume heißen zwar »Labore« aber auch dort forschen und arbeiten die Leute mit oder an KI. Reagenzgläser und Bunsenbrenner gibt es keine. Wo es ein wenig nach praktischer Arbeit aussieht, sind die Werkstätten. Dort können Studierende mit Drohnen und Kraftfahrzeugen experimentieren, für Letztere gibt es Hebebühnen.
Noch fehlt der Blick »hinter die Kulissen«. Das bedeutet in diesem Fall, sich in den Keller zu begeben (Ebene1): Dort findet man die Anlagen für die Fernwärmeversorgung, Klima- und Lüftung, zwei Serverräume mit Löschanlagen, die Gebäudeautomation – alles von beeindruckender Größe und Komplexität, allerdings von einer ebenso beeindruckenden Aufgeräumtheit und Ordnung.
In Summe beträgt die Bruttogrundfläche des Gebäudes rund 13.000 Quadratmeter, die Baukosten lagen bei 77 Millionen Euro.
Der Lehrbetrieb hat zum Wintersemester 2025/2026 bereits begonnen, die offizielle Übergabe an die Universität war am Freitag voriger Woche mit viel Prominenz (GEA, 15.11.2025).
Schön wäre nun noch ein wenig Kunst am Bau und damit zurück zu den Bodenplatten. Damit hat sich der Künstler Christoph Brech verewigt. Wer direkt darauf steht, sieht nichts. Vom vierten Stock aus, das Smartphone darauf gehalten, wird ein Bild sichtbar, das Maria von Linden zeigt – mit Zigarette in der Hand. Auch das spektakulär. Jedenfalls für die damalige Zeit.





