STUTTGART. Erst eine Gardinenpredigt zur Halbzeitpause weckte den VfB Stuttgart aus seiner Lethargie. Trainer Tim Walter muss sehr laut geworden sein, zumindest im zweiten Durchgang spielte seine Mannschaft in Ansätzen so, wie sich das Walter in seinen kühnsten Träumen vorstellt. Die Offensive mit angezogener Handbremse gewann am Ende vor 53315 Zuschauern überaus glücklich mit 2:1 (0:1). Die Hamburger Führung durch Mats Möller-Daehli in der 18. Minute glich Kapitän Marc Oliver Kempf in der 60. Minute aus. Und in der Schlussminute traf der eingewechselte Nicolas Gonzalez zum 2:1 entscheidend. Beim VfB Stuttgart ist noch sehr viel Luft nach oben, in der aktuellen Form ist dieser VfB Stuttgart noch kein Aufstiegskandidat.
Walter hatte vor dem Spiel keine Zweifel an drei Punkten zugelassen, auch wenn die Charakterisierung des Spieles als die Begegnung zwischen dem Favoriten und dem Underdog hoffnungslos übertrieben schien. Schließlich ist es ja nicht so, als habe der Club vom Millerntor keine Vergangenheit. Die Gegenwart läuft allerdings keineswegs so wie sich das der ehemalige Stuttgarter Kurzzeit-Trainer Jos Luhukay vorgestellt hatte. Und Luhukay hatte vor Saisonbeginn außerdem die Qualität seines Kaders heftig angezweifelt. Kein besonders glücklicher Schachzug.
Die Hamburger setzten in Stuttgart wie erwartet auf ihre Defensive, Walter wie mehrfach angedeutet auf Offensive. Mario Gomez und Hamadi Al Ghaddioui stürmten gemeinsam. Dahinter Daniel Didavi. Und in der Abwehr griff der Trainer auf Routinier Holger Badstuber zurück, der neben Kapitän Marc Oliver Kempf die Innenverteidigung bildete, die Außenbahnen besetzten Pascal Stenzel und Borna Sosa. In der Mittelfeldraute spielten neben Didavi der aus Kiel gekommene Atakan Karazor sowie Gonzalo Castro und Santiago Ascacibar. Dass Anastasios Donis noch nicht einmal im Kader stand, darf als sicherer Hinweis darauf verstanden werden, dass sich die Wege des Stürmers und des Clubs in absehbarer Zeit trennen werden.
Das Spiel startete wie Walter sich das vorgestellt hatte. Seine Mannschaft setzte vor 50000 Zuschauern die Hamburger sofort unter Druck. »Der Trainer hat ein komplett neues Spielsystem eingeführt. Wir wissen, dass wir viel Ballbesitz haben und vermutlich immer das Spiel machen müssen. Wir haben aber die Qualität, dass wir das auch können«, sagt Regisseur Daniel Didavi, der unter dem neuen Trainer regelrecht aufgeblüht ist: »Tim Walter hat mir die Spielfreude zurückgegeben.« Sowohl der Trainer als auch sein Regisseur beschrieben das Spiel gegen die Kiez-Kicker vor dem Anpfiff als »richtungsweisend«.
Es ging allerdings in die falsche Richtung. Die Hamburger spielten das, was der VfB Stuttgart eigentlich spielen wollte. Schnelles Umschalten, und jeder einzelne Hamburger war mit Ball schneller unterwegs als die Stuttgarter ohne. Eigenartig gehemmt spielte der VfB, ohne Idee, ohne Zug zum gegnerischen Tor. Gonzalo Castro scheiterte mit einem Kopfball (4. Minute), Pascal Stenzel ebenfalls aus aussichtsreicher Position (14.).
Nur vier Minuten später die verdiente Hamburger Führung durch den überragenden Akteur des ersten Durchgangs. Der Däne Mats Möller-Daehli verwandelte völlig freistehend aus zwölf Metern ohne Stuttgarter Gegenwehr, Torwart Gregor Kobel war ohne jede Abwehrchance. Aber wer geglaubt hatte, die Stuttgarter würden nach der Hamburger Führung ernst machen, sah sich getäuscht. Weiter Schlafwagen-Fußball. Ein Kopfball von Ascacibar war das einzige, was man weitestgehend als Chance bezeichnen konnte (27.). Sonst war da gar nichts. Pfiffe nach dem Halbzeitpfiff des unsicher leitenden Schiedsrichters Guido Winkmann waren die erwartbare Folge.
Im zweiten Durchgang dann ein verändertes Bild. Der VfB übernahm zusehends die Regie, ohne allerdings wirklich überzeugen zu können. Und für Tore brauchte es wieder einen Standard und einen Abwehrspieler. In der 60. Minute verwertete Kapitän Marc Oliver Kempf einen Eckball von Gonzalo Castro unhaltbar für Robin Himmelmann zum 1:1. Zuvor war Gomez nach seiner einzigen Kopfball-Chance (51.) aus dem Spiel genommen worden. Für ihn kam Nicolas Gonzalez. Ohne nennenswerten Effekt. Erster Höhepunkt seines Einsatzes war die 70. Minute, als er im Dribbling im Strafraum überhastet über den Ball trat. Da blieb fast nur noch Mitleid. Und dann entscheidet Gonzalez nach einer Flanke von Borna Sosa das Spiel in der 90. Minute. (GEA)