Doha (dpa) - Temperaturen um die 40 Grad und ein Stadion, das über zehn Tage hinweg auf 26 Grad heruntergekühlt wird. Marathon und Gehen um Mitternacht. Wettkämpfe zu einer Jahreszeit, wo die Sportler eigentlich schon im Urlaub sind. Die Leichtathletik erlebt in Doha ihre 17. und umstrittenste WM.
Malaika Mihambo, Favoritin im Weitsprung und Studentin der Umweltwissenschaften, will über ihren ökologischen Fußabdruck während der WM im Wüstenemirat Katar lieber »nicht nachdenken, denn da gibt's keine Lösung - außer man hinterfragt das ganze Leben«.
Die Titelkämpfe fallen auch noch mitten in die weltweite Debatte über den Klimawandel. Nicht nur Mihambo findet, »dass Umwelt-Aspekte bei der Vergabe mit einbezogen werden sollen«. Doch dafür ist es längst zu spät. Bereits seit über einem Jahr beschäftigt sich deshalb ein Kompetenzteam von Ärzten beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) mit dem »Hitzemanagement« bei der WM.
Beim DLV ist das ein Langzeitprojekt - auch mit Blick auf die Olympischen Spiele 2020. »In Tokio sind ebenfalls hohe Temperaturen und eine hohe Luftfeuchtigkeit zu erwarten. Daher können wir aus den Erfahrungen durchaus Rückschlüsse für die Olympia-Wettbewerbe ziehen«, sagte Langstrecken-Bundestrainer Thomas Dreißigacker.
Die Hitze in der 800 000-Einwohner-Stadt und bei den Straßenwettbewerben im Marathon und Gehen sind weniger das Problem als das hohe Erkältungsrisiko, wenn sich die Athleten zwischen klimatisierten Hotel- und Stadionräumen, Bussen und den Trainings- und Aufwärmplätzen bewegen. In das Khalifa-Stadion mit dem Sonnendach wird mit aufwendiger Technik kalte Luft geblasen. »Man könnte das Stadion auch weniger heruntertemperieren, dann würde man weniger Energie verbrauchen«, sagte Europameisterin Mihambo.
Der ehemalige Stabhochsprung-Weltmeister Raphael Holzdeppe kann »nicht verstehen kann, warum es eine Klimaanlage im Stadion gibt«. Der 29 Jahre alte Titelgewinner von 2013 sagte im Interview des »Tagesspiegel« (Dienstag-Ausgabe): »Die Wettkämpfe werden erst ab 17.30 Uhr stattfinden. Dann sind es in Doha um die 32 Grad, da war es in Deutschland bei manchen Wettkämpfen schon deutlich wärmer.«
Das medizinische Kompetenzteam um Mannschaftsarzt Andrew Lichtenthal sei auf die Rahmenbedingungen und Risikofaktoren eingestellt, erklärte DLV-Generaldirektor Idriss Gonschinska. »Wir wissen, dass bei hoher Hitze die Kerntemperatur im Körper steigt. Es kann eine hohe Schweißbildung und Natrium-Ausschüttung in hohen Mengen sowie Störungen bis hin in Regelkreise geben.«
Der Weltverband IAAF plant einen Hitze-Kongress mit Blick auf Tokio und hat eine Studie in Auftrag gegeben: Dabei geht es um eine neue Methode, wie der Zustand des Athleten kontrolliert werden kann - mit einer Art elektronische Hitze-Pille mit Chip, die geschluckt wird. »Es ist eine Kapsel. Die misst die Körperkerntemperatur und zeigt, wie der jeweilige Athlet unter Belastung reagiert«, erklärte Gonschinska.
Doha gilt dafür als Testlauf, die IAAF hat die Kapsel den Marathon- und 10 000-Meter-Läufern und Gehern angeboten. »Die erhobenen Daten sollen im Anschluss an die Wettkämpfe dabei helfen, die Hitzeschlagprognose und die Effektivität von externen Kühlungsmaßnahmen zu objektivieren«, sagte DVL-Cheftrainer Alexander Stolpe.
Deutsche Marathonläufer sind in Katar ohnehin nicht am Start - aber die Geher müssen um Mitternacht ran. »Wir haben in Potsdam eine Art Hitze-Woche gemacht und die klimatischen Bedingungen von Doha quasi simuliert, in dem wir einen Raum erhitzt und feuchte Tücher aufgehängt haben. Da haben wir schon festgestellt, wie schwierig es unter solchen Bedingungen ist«, sagte Geher-Bundestrainer Ronald Weigel.
Um die Nachtwettkämpfe zu simulieren, wurde eine Leistungsdiagnostik um 23.00 Uhr auf dem Laufband durchgeführt. »Das lief recht gut. Ich bin der Meinung, wenn man das einmalig macht, man kann sich psychologisch darauf leicht einstellen«, sagte der Weltmeister über 50 Kilometer von 1983.