Melbourne (dpa) - Ein Tennis-»Wunder« hat Roger Federer bei den Australian Open zur großen Revanche für Wimbledon gegen Novak Djokovic verholfen.
Nach sieben Matchbällen gegen sich, nach dem zweiten Beinahe-Aus und einem irren Happy End rettete sich der Rekord-Grand-Slam-Turniersieger doch noch zum brisanten Halbfinal- und insgesamt 50. Duell mit dem Titelverteidiger. »Ich glaube an Wunder. Ich habe es nicht verdient, aber ich stehe hier und bin natürlich sehr glücklich«, sagte der 38-Jährige am Dienstag nach dem 6:3, 2:6, 2:6, 7:6 (10:8), 6:3 gegen Tennys Sandgren aus den USA.
Nun kommt es am Donnerstag (09.30 Uhr MEZ/Eurosport) zum Popcorn-Match in der Nightsession von Melbourne gegen den Rekordsieger der Australian Open. »Was er heute geschafft hat, ist erstaunlich. Ich hoffe, ich kriege wenigstens einen Matchball«, witzelte Djokovic nach dem 6:4, 6:3, 7:6 (7:1) gegen den früheren kanadischen Wimbledon-Finalisten Milos Raonic.
Es wird ein Grand-Slam-Wiedersehen, das seine ganz eigene Geschichte mit sich bringt: Vor einem halben Jahr lieferten sich die beiden das längste Wimbledon-Finale der Historie über fünf Sätze und fast fünf Stunden. Djokovic gewann trotz zweier Matchbälle von Federer.
Wie der sichere Verlierer hatte der Schweizer in seinem außergewöhnlichen Viertelfinale mit ungewohnten Fluch-Attacken, einer Verwarnung und Schiedsrichter-Diskussionen sowie mit Schmerzen an der Leiste gegen die Nummer 100 der Welt lange ausgesehen. Sieben Mal fehlte dem klaren Außenseiter Sandgren nur ein Punkt.
»Die meiste Zeit habe ich gedacht, das war es«, räumte Familienvater Federer ein, nachdem er nach 3:31 Stunden selbst die erste Chance genutzt hatte, das Match zu entscheiden. »Manchmal musst du Glück haben. Sieben Matchbälle hat man nicht unter Kontrolle«, erklärte er und fügte an, er hoffe, dass es nichts Schwerwiegendes mit seiner Leiste sei. »Man musste sich Sorgen machen, dass er zum ersten Mal in seinem Leben während eines Matches aufhören muss«, sagte Boris Becker als TV-Experte bei Eurosport.
Insbesondere weil Sandgren seine Chancen nicht ergriff, kann Federer noch auf seinen siebten Australian-Open-Triumph hoffen. Beim 4:5 im vierten Satz wehrte er die ersten drei Matchbälle des Überraschungs-Viertelfinalisten ab, im Tiebreak waren es vier. Davon drei in Serie für den 28-Jährigen aus Tennessee, der zum ersten Mal in ein Grand-Slam-Halbfinale einziehen wollte und am Ende einen Punkt mehr gemacht hatte als Federer. Nur den entscheidenden eben nicht. Erinnerungen wurden wach an den 4:8-Rückstand des Schweizers im Super-Tiebreak gegen den Australier John Millman in der dritten Runde, als Federer ebenfalls in fünf Sätzen knapp weiterkam.
Nur einmal hatte Federer schon sieben Matchbälle in seiner Karriere über zwei Jahrzehnte abgewehrt. Im Siegerinterview mit Jim Courier scherzte Federer, er könnte schon beim Skifahren in der Schweiz sein.
Djokovic musste den Platz im Match gegen Raonic zwischenzeitlich verlassen, weil er nicht mehr gut sah und seine Kontaktlinsen wechseln musste. Der 32 Jahre alte Serbe machte das Halbfinale der beiden Spitzenspieler ansonsten mit einem weit weniger spektakulären Vorstellung perfekt. Der siebenmalige Australien-Sieger und Weltranglisten-Zweite Djokovic liegt mit 26 zu 23 Siegen im Vergleich mit Federer vorn.
In der Damen-Konkurrenz nährt Ashleigh Barty als erste heimische Halbfinalistin seit 1984 die Hoffnungen der australischen Tennis-Fans. Mit 7:6 (8:6), 6:2 bezwang die Weltranglisten-Erste die tschechische Vorjahresfinalistin Petra Kvitova. Den nächsten Schritt zum ersten Australian-Open-Sieg einer Australierin seit 1978 kann die 23-Jährige am Donnerstag gegen Sofia Kenin schaffen. Die Amerikanerin steht nach dem 6:4, 6:4 gegen die Tunesierin Ons Jabeur erstmals in einem Grand-Slam-Halbfinale.