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Löw darf bleiben - Sechs Gegentore befeuern Rückhol-Debatte

Wie soll es nach diesem Debakel weitergehen? Von Joachim Löw werden nach der historischen Länderspielpleite in Spanien schnelle Antworten erwartet. Der Bundestrainer setzt aber trotz lautstarker Kritik auf seinen bewährten Krisenmodus. Fest steht: Er darf weitermachen.

Joachim Löw
Bleibt auch nach dem Debakel in Sevilla Bundestrainer: Joachim Löw (r). Foto: Daniel Gonzales Acuna/dpa
Bleibt auch nach dem Debakel in Sevilla Bundestrainer: Joachim Löw (r). Foto: Daniel Gonzales Acuna/dpa

SEVILLA. Joachim Löw darf bleiben - trotz Rekordpleite in Spanien und immer schärferer Kritik.

Gleich nach der Landung in München bekam der Bundestrainer bei einem kurzen Krisengespräch mit DFB-Präsident Fritz Keller und Verbandsdirektor Oliver Bierhoff noch am Flughafen das entscheidende Signal: Es geht weiter mit ihm Richtung EM. Der nicht erst nach dem Desaster in Sevilla heftig umstrittene Neuaufbau wird mit dem Rekordcoach fortgesetzt.

Nach dem historischen 0:6-Debakel hatte sich der gedemütigte Löw mit seinen überforderten Nationalspielern vor dem Morgengrauen auf die Heimreise aus Sevilla gemacht. Der Sonderflieger war noch nicht gestartet, da prasselten auf Löw über alle Kanäle schon bohrende Fragen und klare Forderungen ein - die nach einem Rücktritt inklusive. Den wird es wie nach dem WM-Desaster 2018 nicht geben.

Den selbst noch nach Antworten suchenden DFB-Chefcoach erwarten nun aber beschwerliche Tage. Gemeinsam mit Keller ging es für Löw von München mit einem DFB-Shuttle weiter Richtung gemeinsame Heimat Freiburg. Der Verbandsboss dürfte auf den gut 400 Kilometern reichlich Gesprächsbedarf gehabt haben. Die Klärung vieler Fragen erwarten nach der spanischen Lehrstunde auch die Fans.

Wie weiter Richtung Europameisterschaft? Wirklich weiter ohne Thomas Müller, Jérôme Boateng und Mats Hummels? Die von Bierhoff schon vor der höchsten Niederlage seit 89 Jahren gesichtete dunkle Wolke über der Nationalmannschaft hat sich durch den desaströsen Auftritt in Andalusien in ein Orkantief verwandelt. Löw sprach aber nie von Abschied oder Trennung. Die gravierenden Probleme nimmt der 60-Jährige mit in eine viermonatige Winterpause.

»Wir müssen das die nächsten Tage im Trainerstab aufarbeiten. Was sind jetzt die richtigen Schlüsse, die wir ziehen müssen? Was ist der richtige Weg? Wir haben gedacht, dass wir einen Schritt weiter sind nach den letzten Spielen und diesem Jahr, das insgesamt schwierig war«, sagte Löw. Sein Krisenmanagement wird schon zur Routine. Wie nach der WM 2018 wird sich Löw als Fußball-Emerit zurückziehen. Fußball-Deutschland braucht mit ihm als Bundestrainer viel Geduld.

Dass Löw das Dauerthema um eine Rückkehr des von ihm aussortierten Weltmeister-Trios Müller (31), Hummels (31), Boateng (32) in seinen ersten Analysekatalog aufnimmt, ist zudem unwahrscheinlich. Seine Haltung hatte sich auch nach den sechs spanischen Nackenschlägen nicht verändert. »Zum richtigen Zeitpunkt« wolle er über die heiß diskutierte Frage befinden. Dass dieser für ihn trotz der zahlreichen Forderungen von Ex-Nationalspielern wie Lothar Matthäus über Jürgen Klinsmann bis hin zu Bastian Schweinsteiger und Didi Hamann immer noch nicht gekommen ist, machte der 60-Jährige schon deutlich.

»Das Vertrauen ist jetzt im Moment nicht völlig erschüttert. Diese junge Mannschaft hat auch die Fähigkeit, sich so zu entwickeln, dass wir eine leistungsstarke, konkurrenzfähige Mannschaft haben. Davon bin ich absolut überzeugt«, lautete Löws nach dem fußballerischen Offenbarungseid erstaunliches Treuebekenntnis zur Umbruch-Elf.

Löw weiß, dass er eine Rückkehr der geschassten Alphatiere teamintern nicht moderieren kann. Wen sollte er aus seiner Startelf streichen? Niklas Süle? Leon Goretzka? Leroy Sané? Der Generationenkonflikt verhagelte schon die Stimmung vor zwei Jahren in Russland. Und für einen Bankplatz kämen die Oldies nicht zurück. Auch Rekord-Torwart Manuel Neuer verbat sich die Debatte. »Es ist der falsche Zeitpunkt, nach so einer Niederlage über Spieler zu sprechen, die nicht dabei sind.« Sinnhaft zu kommunizieren und durchzuführen wäre eine Rückkehr nur von einem anderen Bundestrainer.

Die längst noch nicht verheilten Wunden des WM-Traumas von 2018 sind jedenfalls wieder aufgerissen. Statt den Gruppensieg in der Nations League als Symbol der Rückkehr zu höchster Wettbewerbsfähigkeit zu feiern, steht Löw nach dem Untergang in Andalusien vor den Trümmern seiner kritisch begleiteten Aufbauarbeit. Schonungslos zerstört vom alten Rivalen Spanien. Und das nur sieben Monate vor dem EM-Start. Und der erste Gegner am 15. Juni 2021 ist Weltmeister Frankreich.

Die Suche nach Hoffnungsträgern ist schwierig. Joshua Kimmich ist der allseits fallende Name. Der ehrgeizige Bayern-Antreiber soll dem Team nach seiner Verletzung Leben einhauchen. Doch reicht ein Kimmich für diese Aufgabe? Laut ist der Ruf nach Konsolidierung durch Erfahrung.

Den Auftakt machte Schweinsteiger: »Ich weiß, dass solche Spieler wie Jérôme Boateng oder Thomas Müller das Triple gewonnen haben mit dem FC Bayern München. Sie sind die beste Mannschaft Europas. Die spielen in der ersten Elf, die haben Qualität. Das sind deutsche Spieler. Warum nicht für die Nationalmannschaft?«, stellte der WM-Held von Rio noch im ARD-Studio eine rhetorische Frage.

Doch hätte das Ü30-Trio in Sevilla geholfen? Auch der in seinem Rekordspiel allein gelassene Neuer und der in entscheidenden Momenten unsichtbare Toni Kroos waren als noch aktive Ex-Weltmeister nicht in der Lage, das Desaster abzuwenden. Müller, Hummels und Boateng umgibt eine Märtyrer-Romantik. Bei der WM 2018 gehörten aber auch sie zu den Enttäuschungen. Vor zwei Jahren zeichneten sie beim 0:3 in Holland für die bis Dienstagabend höchste Löw-Niederlage mitverantwortlich.

Die anstehende lange Auszeit kann für Löw ein Vorteil sein. Schnell werden Bundesliga, Champions League und die Corona-Wirren wieder in den Mittelpunkt rücken. Löw kann sich als Fußball-Faktotum zurückziehen. Nicht einmal bei der digital abgehaltenen Auslosung der WM-Qualifikationsgruppen am 7. Dezember in Zürich muss er erscheinen.

In Sevilla stand ihm Bierhoff schnell verbal zur Seite. »Das Vertrauen ist da, daran ändert auch dieses Spiel nichts«, versicherte der DFB-Direktor. Als Löws Vorgesetzter hatte er aber schon vor dem Spiel mit Interview-Aussagen eine Distanz zum Weggefährten aufgebaut.

Wie dauerhaft das Bekenntnis von Keller und Bierhoff ist, wird sich zeigen müssen, wenn die Kritiker-Allianz aus Boulevard und Alt-Internationalen nicht verstummt. Ralf Rangnick könnte schnell als verfügbarer wie kompetenter Kandidat in der Not gehandelt werden. »Ob ich mir Sorgen um meinen Job machen muss, müssen sie andere fragen«, sagte Löw nach seinem 189. Länderspiel als Chefcoach etwas trotzig.

Schon zweimal sorgten heftige Niederlagen kurz vor Turnieren für Panikstimmung. 2004 folgte dem 1:5 in Rumänien das Vorrunden-Aus bei der EM und der sofortige Abschied von Teamchef Rudi Völler. 2006 legte Klinsmann mit seinem Assistenten Löw den Hebel nach einem 1:4 in Italien noch um. Das WM-Sommermärchen überstrahlte alles.

Die historischen Fakten der höchsten Niederlagen seiner Amtszeit werden Löw aber dauerhaft begleiten. Nie kassierte eine DFB-Elf in 112 Jahren eine höhere Pflichtspielniederlage. Nur 1909 beim 0:9 gegen England und beim 3:8 gegen Ungarn im WM-Gruppenspiel 1954 gab es mehr Gegentore. Sepp Herberger gelang damals zwei Wochen später der Titelcoup gegen den gleichen Gegner. Ob Löw dies in sieben Monaten gegen Spanien gelingen kann, scheint mehr als fraglich. (dpa)

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