LONDON. Italiens Rekordjäger gehen ihre erste K.o.-Prüfung als Etappenziel an, Österreich träumt vom nächsten historischen Erfolg. Die Favoriten-Frage ist vor der Achtelfinal-Premiere für Österreichs Nationalmannschaft bei einer Fußball-EM schnell beantwortet.
»Wir sind Italien, wir gehen auf den Platz, um zu gewinnen«, sagte Außenverteidiger Giovanni di Lorenzo über den Anspruch der Italiener, die im Achtelfinale am Samstag (21.00 Uhr/ZDF und MagentaTV) im Londoner Wembley-Stadion ihre Super-Serien von 30 ungeschlagenen Partien und 1055 Minuten ohne Gegentor ausbauen wollen.
Für die Österreicher, die reichlich Bundesliga-Erfahrung mitbringen, soll mit ihrem ersten K.o.-Spiel aber noch nicht Schluss sein. »Wir haben Geschichte geschrieben. Es ist schon sehr viel passiert in den vergangenen Wochen, aber wir sind schon noch bereit für die eine oder andere Geschichte«, sagte der Hoffenheimer Christoph Baumgartner. Marcel Sabitzer von RB Leipzig versprach in jedem Fall reichlich Gegenwehr: »Wir können Italien mit unseren Waffen schlagen. Natürlich sind wir der Underdog, wir werden aber nichts herschenken.«
Hoffnung auf Rückkehr nach London
Die Squadra Azzurra freut sich nach den »magischen Nächten« (notti magiche) in Rom zum WM-Song von 1990 nun auf den Fußball-Tempel Wembley. Die Endstation ihrer so begeisternden EM-Reise soll das aber noch nicht sein. »Wir spielen in einem fantastischen Stadion«, sagte Coach Roberto Mancini. »Wir hoffen, dass wir noch einmal nach London zurückkehren können.« Die Halbfinals und das Endspiel am 11. Juli in Wembley sind längst das erklärte Ziel. »Zu Beginn hat niemand an uns geglaubt. Wir sind sehr stolz«, sagte Lorenzo Insigne über die neue Favoriten-Rolle nach der ersten perfekten EM-Vorrunde seit 2000.
Mit sieben Treffern stellt Italien nach den Niederlanden (8) die bislang beste EM-Offensive, als einziges Team neben England sind die Azzurri noch ohne Gegentor. Dass der Favorit vor 254 Tagen im Oktober 2020 sein letztes Gegentor hinnehmen musste, stresst den deutschen Coach der Österreicher, Franco Foda, aber nicht: »Wir sind in der Lage, auch gegen so eine Mannschaft Tore erzielen«, sagte er. »Irgendwann kommt mal der Punkt, wo man verliert.«
Verratti: »Alles oder Nichts«
Dies soll dem Anspruch der Azzurri folgend erst nach dem Turnier der Fall sein. Dennoch steigt auch bei Marco Verratti und Co. vor dem ersten K.o.-Duell die Anspannung. »Je weiter man kommt, desto größer wird der Druck. Jetzt geht es um Alles oder Nichts, am Ende dieser Partie lebt man entweder weiter diesen Traum oder fährt nach Hause«, sagte der Mittelfeld-Regisseur von Paris Saint-Germain, der in London wieder in der Startelf erwartet wird. Verletzt fehlen wird wohl Kapitän Giorgio Chiellini, Foda plagen keine Personalsorgen.
Einen kleinen Vorteil erhoffen sich die Italiener von ihrer größeren Frische. Immerhin einen Tag länger Pause hatten die Azzurri, zudem rotierte Mancini zum Gruppen-Abschluss gegen Wales und gab den Ersatzspielern eine Chance. »Wir müssen das Spiel mit der gleichen Aggressivität, der gleichen Lust und dem gleichen Mut angehen, dann können wir ein großes Spiel abliefern«, forderte Verratti dennoch.
Corona bremst Fans
Sorgen machen beiden Mannschaften die Umstände des Spiels in London in Zeiten der Corona-Pandemie. So spät wie möglich reisen die Teams ins Virusvariantengebiet London, zurück geht es möglichst schnell nach dem Abpfiff. Die Unterstützung durch die eigenen Fans ist zudem eingeschränkt, da Tickets nur an Österreicher oder Italiener mit Wohnsitz in Großbritannien verkauft werden. Foda bezeichnete es als »Wahnsinn«, dass die Anhänger das Spiel nicht live miterleben können: »Es ist ja nicht alltäglich, dass wir ins Achtelfinale kommen.«
Da bleibt nur die Hoffnung auf die nächste historische Chance des ersten EM-Viertelfinals, das dann am 2. Juli in München stattfinden würde. »Wir leben unseren Traum. Wir haben schon etwas Großes erreicht, aber wir wollen noch etwas Größeres erreichen«, sagte Baumgartner. Dafür will das Team auch die lange Negativ-Serie gegen Italien mit dem letzten Sieg im Dezember 1960 beenden.
Foda kann indes auf Martin Hinteregger (Eintracht Frankfurt) und Florian Grillitsch (1899 Hoffenheim) zurückgreifen. Das zuletzt angeschlagene Duo absolvierte das Abschlusstraining in Seefeld. Die beiden Bundesliga-Profis hatten zuletzt wegen leichter Adduktorenbeschwerden nur reduziert trainiert. Grillitsch kündigte selbstbewusst an: »Wir haben jetzt Historisches geschafft, aber warum soll es nicht weitergehen?«
Die voraussichtlichen Aufstellungen:
ITALIEN: 21 Donnarumma - 2 Di Lorenzo, 19 Bonucci, 15 Acerbi, 4 Spinazzola - 18 Barella, 8 Jorginho, 6 Verratti - 11 Berardi, 17 Immobile, 10 Insigne
ÖSTERREICH: 13 Bachmann - 21 Lainer, 3 Dragovic, 4 Hinteregger, 8 Alaba - 23 X. Schlager, 10 Grillitisch - 24 Laimer, 9 Sabitzer, 19 Baumgartner - 7 Arnautovic
Schiedsrichter: Anthony Taylor (England)