BERLIN. Die Leichtigkeit des Seins dürften sie direkt nach dem Abpfiff noch nicht gespürt haben, zu hoch war ihr Adrenalinspiegel und ihre Konzentration. Doch dass sie sich selbst und 13 500 restlos begeisterte Zuschauer wertvolle Momenten beschert hatten, das wussten alle deutschen Handballer genau, als sie auf der Ehrenrunde gefeiert wurden. Mit einer wirklich glanzvollen Leistung haben sie im zweiten Vorrundenspiel bei der Handball-Weltmeisterschaft in der Berliner Mercedes-Benz-Arena Brasilien mit 34:21 (15:8) besiegt und führen nach dem Auftakterfolg gegen Korea vor den punktgleichen Franzosen die Tabelle der Gruppe A an.
»Das war unser schönstes Spiel, seit ich Bundestrainer bin. Wir sind nie in Bedrängnis gewesen«, zeigte sich Christian Prokop später selig lächelnd und dankbar. »Ich hatte heute sehr viel Spaß. Unsere Abwehr und unser Uwe waren heute überragend und die Zuschauer waren genial«, sagte der ebenfalls überragende Torwart Andreas Wolff, der sich von den Fans beflügelt fühlte.
Er habe zwar erhofft und erträumt gehabt, sagte er, dass die Zuschauer die deutsche Mannschaft frenetisch begrüßen und anfeuern würden. »Doch als die ganze Halle mit uns dann die Nationalhymne gesungen hat, da hatte ich Gänsehaut«, gestand Deutschlands Weltklasse-Keeper.
Als der bärenstarke 27-Jährige auch gleich den ersten Rückraumschuss der Brasilianer mit einer Parade abgewehrt hatte und seine Arme sofort wie ein Champion hoch in die Luft riss, sprangen seine auf der Bank sitzenden Kollegen auf, reckten Furcht einflößend ihre Fäuste und die Halle tobte. Weil Wolff dann drei weitere Paraden zeigte und zugleich vor ihm die deutsche Abwehr mit dem harten Innenblock Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler »saustark« agierte und die brasilianischen Angriffe grandios ausbremste, fingen alle Feuer: die Spieler und die Fans. Nach neun Minuten hieß es 5:1. Linksaußen Uwe Gensheimer, der am Ende mit zehn Toren bester Werfer des deutschen Teams war, hatte da schon dreimal getroffen. Der Kapitän und Torschützenkönig von Paris St. Germain in der Champions League begeisterte mit seinen atemberaubenden Drehschüssen aus seinem extrem elastisch-schnellen Handgelenk.
Flott und großartig ging es bei den in blütenweißen Trikots spielenden Deutschen ständig weiter. Nach einer Viertelstunde hieß es 9:2 und nach 23 Minuten 13:5. Angeführt von Rückraumregisseur Martin Strobel, der mit blitzgescheiten Anspielen seine Mitspieler in Szene setzte, zeigten sich alle äußerst passsicher und variabel, kreuzten viel, gingen lange Wege, spielten die Kreisläufer und Außenspieler an und trafen aus allen Lagen. Sie waren überhaupt nicht auszurechnen und hatten immer eine neue Variante drauf. Während die Brasilianer nicht mehr wussten, was sie tun sollen, bedankten sich die Fans für das geniale Spiel mit Standing Ovations.
Beeindruckend konzentriert
»Es ist nicht so alltäglich, so etwas erleben zu dürfen, so ein Handballfest auf allerhöchstem Niveau«, sagte Andreas Wolff später und fügte an: »Aber wir haben einfach nur gezeigt, dass wir wirklich was erreichen wollen. Ich trete immer an, um zu gewinnen, und ich will am Ende gerne den Pott in den Händen halten.« Zwar schlichen sich dann Anfang der zweiten Halbzeit ein paar Unkonzentriertheiten ein, doch die Südamerikaner wurden, auch wenn Bundestrainer Prokop munter durchwechselte, überlegen auf Abstand gehalten.
Die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) blieb bis zum Ende in Angriff wie Abwehr beeindruckend konzentriert, aggressiv und eine echte Einheit. Zu keiner Zeit gab es einen Einbruch, gleichgültig, wer auf dem Parkett stand. Mit so einem grandiosen Ergebnis dürften die Deutschen für sich vorab nicht gerechnet haben. Sie wussten, dass die Brasilianer tags zuvor in einem wuchtigen und kraftraubenden Klassespiel gegen Weltmeister Frankreich schon an einer Überraschung geschnuppert hatten, ehe sie doch noch mit 22:24 verloren.
»Wir hatten von uns ein deutlich besseres Spiel erwartet, sind aber mit der deutschen Abwehr überhaupt nicht zurechtgekommen. Vielleicht war ein Grund dafür, dass wir nur eine Nacht zwischen den Spielen hatten«, sagte Brasiliens Coach Silva Washington sichtlich enttäuscht. Nur zu genau weiß die deutsche Mannschaft trotz ihres famosen Sieges, dass sie trotz blütenweißer Weste noch nicht in der Hauptrunde steht, in die die ersten drei Mannschaften jeder Gruppe einziehen. Dafür muss am heutigen Montag (18 Uhr/ARD) erst noch Russland besiegt werden. Leistungsträger Andreas Wolff versprach aber schon einmal vorsorglich: »Wir werden noch einmal eine Schippe drauflegen.« (GEA)
DER ÄRGER DES NATIONALTORWARTS
Nichts zu tun und dann zwei Siebenmeter
Andreas Wolff will nach eigener Aussage der beste Torhüter der Welt sein und Weltmeister werden. Wie ehrgeizig die deutsche Nummer eins im Tor ist, zeigen seine lustig gemeinten, aber doch ernsten Sätze nach seinen neun exzellenten Paraden und dem 34:21-Sieg gegen Brasilien: »Ich habe mich schon ein bisschen geärgert in dem Spiel. Einmal geht es ja immer besser: So habe ich in den ersten zehn Minuten einen Wurf kassiert. Dann war es für mich bitter, dass ich nicht mitspielen durfte, denn die Abwehr hat mich rausgehalten. Und dann kriege ich, obwohl ich nichts zu tun hatte, zwei Siebenmeter rein, darüber habe ich mich sehr geärgert.« (bib)