Hannover (dpa) - In seinem kurzärmeligen DHB-Shirt wirkte Alfred Gislason zwischen all den Anzugträgern aus der Verbandsführung etwas verloren.
Und nicht nur optisch musste sich der neue Hoffnungsträger des deutschen Handballs bei seiner offiziellen Vorstellung als Bundestrainer mit der ungewohnten Nebenrolle abfinden. Bei der Pressekonferenz in einem Flughafenhotel in Hannover drehte sich am Freitag wenig um den 60 Jahre alten Isländer und vieles um den unrühmlichen Rauswurf seines Vorgängers Christian Prokop. »Wir verstehen, dass der Wechsel von Christian als unfair wahrgenommen wird und bedauern dies«, sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann fast schon entschuldigend.
Mit wortreichen Erklärungen versuchte die heftig kritisierte DHB-Spitze die einen Tag zuvor verkündete Trennung von Prokop zu rechtfertigen. »Es tut mir leid für Christian«, sagte Michelmann. »Das war nicht geplant.« Vizepräsident Bob Hanning, der anders als in den Vorjahren keine führende Rolle bei der Trainerentscheidung spielte, räumte ein: »Wir haben das nicht gut gemacht.«
Liga-Präsident Uwe Schwenker sprach von einer situationsbedingten Strategieveränderung, »die drei, vier Tage vorher noch nicht abzusehen war«. Im Klartext: Weil Gislason bereits mit einem anderen Verband verhandelte, warf der DHB sein bis 2022 ausgelegtes Personalkonzept über den Haufen und ersetzte Prokop nach kurzen Verhandlungen durch den langjährigen Erfolgstrainer des deutschen Rekordmeisters THW Kiel. »Ich war schon mit einem anderen Verband einig über ein langfristiges Projekt. Vier, fünf Stunden nach meiner Landung in Berlin kam der Anruf von Uwe Schwenker«, berichtete Gislason.
Schwenker hatte sich zuvor auf der turnusmäßigen Präsidiumssitzung als Strippenzieher des Deals betätigt. »Ich war der einzige, der Kontakt zu Alfred hatte, und wusste, dass er zu Verhandlungen im Ausland war, um dort einen Vertrag zu unterschreiben«, berichtete der Liga-Präsident. Er habe dem Präsidium daher mitgeteilt, dass Gislason am Ende der Woche nicht mehr zur Verfügung stünde.
Nach einer ausgiebigen Diskussion sprach sich die Mehrheit der Führungsriege gegen Prokop und für Gislason aus. Dabei hatte man dem 41-Jährigen bei der EM noch demonstrativ das Vertrauen ausgesprochen. »Wir haben abgewogen, wo sind die größeren Chancen für die Zukunft – das hat den Ausschlag gegeben«, berichtete Schwenker.
Inhaltlich ist die Entscheidung nachvollziehbar, denn Prokop konnte die bei seinem Amtsantritt 2017 in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Platz neun bei der EM 2018, Platz vier bei der Heim-WM 2019 und Platz fünf bei der EM 2020 - das war für den nach Medaillen lechzenden DHB zu wenig. »Sein Status war etwas unglücklich«, sagte Schwenker.
Aufgrund der oft fehlenden Rückendeckung habe Prokop die Souveränität gefehlt. »Auch die Zukunftsperspektive spielte eine Rolle mit der Frage, welche Erfolge können wir mit ihm erwarten?«, sagte Schwenker. Dabei schlug das Pendel im Präsidium zugunsten von Gislason aus.
Der Isländer war schon 2017 der Topkandidat auf die Nachfolge seines Landsmanns Dagur Sigurdsson gewesen. »Aber damals ging es nicht, weil ich einen Vertrag in Kiel hatte«, sagte Gislason und betonte: »Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass es für mich ein Traumjob ist, Handball-Bundestrainer zu sein.«
Er kündigte schnelle Besuche bei den Bundesligavereinen und Gespräche mit den Nationalspielern an. »Ich werde versuchen, eine Dynamik zu entwickeln«, sagte Gislason. Denn schon Mitte April muss er bei der Olympia-Qualifikation in Berlin liefern. In dem Vierer-Turnier mit Schweden, Slowenien und Algerien muss mindestens der zweite Platz her, um das Tokio-Ticket zu buchen. Er werde aber »sicherlich nicht alles auf den Kopf stellen«, kündigte Gislason an. »Wir haben eine sehr homogene Mannschaft. Ich werde mit Sicherheit auf dem aufbauen, was bei der EM stattgefunden hat.«
Der DHB braucht den sportlichen Erfolg umso mehr, nachdem sein Image momentan beschädigt ist. »Ich schäme mich für unseren Verband, er gibt gerade ein erbärmliches Bild ab«, schimpfte Karsten Günther, Manager des Bundesligisten SC DHfK Leipzig, in der »Leipziger Volkszeitung« (Freitag).
Der ehemalige Weltmeister Christian Schwarzer forderte sogar den Rücktritt von Hanning. »Vielleicht müsste nicht nur der Trainer gehen, sondern auch derjenige, der ihn installiert hat«, schrieb der 50-Jährige in seiner Kolumne bei »sport1.de«. Der Verband habe sich »lächerlich« gemacht.
Schwenker wies dies zurück und stärkte Hanning den Rücken. »Es stimmt nicht, dass Bob sich wesentlich ins Zeug gelegt hat, um diesen Trainerwechsel durchzusetzen. Er hat sich eher zurückgehalten«, sagte der Liga-Präsident. Hanning erklärte, die Entscheidung gegen Prokop habe ihm »sehr wehgetan. Nachdem wir die Entscheidung von Alfred hatten, haben wir das Christian mitgeteilt. Das war eines der beschissensten Telefonate, seit ich hier bin.«
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