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Aktuell Schock

Dänemarks Eriksen wieder stabil

An den Bildschirmen, im Stadion und auf dem Spielfeld bangten die Menschen um den Dänen Christian Eriksen. Der Star von Inter Mailand brach während eines EM-Spiels zusammen und wurde wiederbelebt.

Psychologische Hilfe für dänisches Team
Trainer Kasper Hjulmand von Dänemark spricht während der Halbzeitpause mit seinen Spielern. Foto: Wolfgang Rattay/POOL REUTERS/AP/dpa
Trainer Kasper Hjulmand von Dänemark spricht während der Halbzeitpause mit seinen Spielern. Foto: Wolfgang Rattay/POOL REUTERS/AP/dpa

KOPENHAGEN. Den Schock von Kopenhagen fasste die dänische Zeitung »Ekstra Bladet« in einer epochalen Schlagzeile zusammen.

»Dänemark verliert. Aber das Leben hat gewonnen.« Millionen Menschen an den Bildschirmen, im Stadion und auf dem Spielfeld bangten am Samstagabend um den dänischen Star Christian Eriksen, der während des EM-Spiels gegen Finnland (0:1) zusammengebrochen war und wiederbelebt werden musste.

Am Tag danach bestätigte der dänische Verband noch einmal den erlösenden Befund: »Sein Zustand ist stabil und er bleibt für weitere Untersuchungen im Krankenhaus.« Man habe am Morgen mit Eriksen gesprochen und er schicke seinen Teamkollegen viele Grüße.

Sportliches rückt in den Hintergrund

Dass der 29-jährige Mittelfeldspieler von Inter Mailand seinen Zusammenbruch überlebt hat, überstrahlt in Kopenhagen erst einmal alles: Die Nachricht, dass der dänische Verband dem Rest des Teams nun psychologische Hilfe zur Verfügung stellt, um die Emotionen dieses Abends verarbeiten und schon am Donnerstag (18.00 Uhr/ZDF und Magenta TV) gegen Belgien wieder antreten zu können. Die massive Kritik daran, dass das Spiel nach einer Unterbrechung von 107 Minuten noch am Samstagabend fortgesetzt wurde. Und natürlich auch die dänische Enttäuschung sowie den finnischen Jubel darüber, dass dieser dramatische Auftakt der Gruppe B mit einem überraschenden Sieg des krassen Außenseiters und EM-Debütanten aus Finnland endete.

»Wir wurden alle daran erinnert, was die wichtigsten Dinge im Leben sind«, sagte Dänemarks Nationaltrainer Kasper Hjulmand: »Die Menschen, die einem nahe stehen. Das sind die Familie und Freunde.«

Ersthilfe von Freund Kjaer

Denn um die Welt gingen am Samstagabend nicht nur die Bilder von Eriksen selbst. Sondern auch die von seinem dänischen Kapitän und engen Freund, der nun als so etwas wie ein Held von Kopenhagen von Medien, Mitspielern und Fans gefeiert wird. Es war der frühere Wolfsburger Simon Kjaer, der den am Boden liegenden Eriksen in eine stabile Seitenlage brachte und verhinderte, dass dieser seine Zunge verschlucken konnte. Es war auch Kjaer, der die heraneilende Freundin Eriksens tröstete und der seine Mitspieler dazu brachte, einen Sichtschutz um ihren regungslosen Star zu bilden. Damit niemand sehen oder filmen konnte, wie der von den Ärzten wiederbelebt wird.

»Simon war tief betroffen«, sagte Hjulmand hinterher. Als feststand, dass die Partie doch noch fortgesetzt wird, führte Kjaer sein Team noch einmal mit Tränen in den Augen auf das Spielfeld zurück. 20 Minuten später konnte auch er nicht mehr. Der 32 Jahre alte Abwehrchef bat emotional am Ende der Kräfte um seine Auswechslung.

Wiederanpfiff sorgt für Kritik

Dass es überhaupt dazu kam und beide Mannschaften das Spiel noch am selben Abend noch einmal aufnahmen, steht seit dem Moment des Wiederanpfiffs massiv in der Kritik. »Ich respektiere, dass unsere Mannschaft und auch die Finnen es geschafft haben, weiterzuspielen. Aber wenn so etwas passiert, sind sie voller Emotionen und haben nicht die Übersicht, um wichtige Entscheidungen zu treffen. Es muss jemanden geben, der dann sagt: Wir hören hier auf«, sagte die dänische Fußball-Legende Michael Laudrup als Experte des TV-Senders TV3+ und meinte damit den europäischen Verband UEFA.

Der verweist auf seine Statuten, hat aber das Problem, dass der Umgang mit medizinischen Notfällen darin nicht geregelt wird. Nach Angaben des dänischen Trainers gab es genau zwei Alternativen: Noch am Abend weiterzuspielen oder dies am Sonntagmittag zu tun. Beide Mannschaften hätten sich ohne zusätzlichen Druck der UEFA eindeutig für die erste Variante entschieden. Weil sie es, wie Hjulmand sagte, einfach hinter sich bringen wollten und das am Tag nach diesem Drama noch viel schwieriger geworden wäre. Und weil Eriksen selbst, wie mehrere Spieler erklärten, das angeblich so gewollt hatte.

Dramatische Ereignisse

Allein das zeigt, dass der 29-Jährige noch im Stadion wieder zu Bewusstsein gelangte. »Er konnte mit mir sprechen, bevor er ins Krankenhaus gebracht wurde«, bestätigte der dänische Teamarzt Morten Boesen nach dem Spiel. Dort schilderte der Mediziner auch die dramatischen Ereignisse nach dem Zusammenbruch in der 43. Spielminute, als Eriksen einen Einwurf zugeworfen bekam und auf einmal ohne Einwirkung eines Gegenspielers kollabierte.

»Als wir zu ihm kamen, lag er auf der Seite, atmete und hatte einen Puls. Das änderte sich aber sehr schnell und wir begannen mit der Herzbehandlung«, sagte Boese. »Wir haben Christian zurückgeholt.«

Was genau Eriksen hat und wann und wie er sich von diesem Zusammenbruch erholt, ist noch unklar. Es gibt ein paar Anzeichen der Hoffnung, wie zum Beispiel die Aussagen seines Club-Geschäftsführers Beppe Marotta von Inter Mailand beim italienischen TV Sender Sky Sport: »Das Schöne ist, dass er eine Nachricht in unseren internen Inter-Chat geschickt hat. Er hat die Mannschaft beruhigt und gesagt, dass er bald zurück sein wird.«

Auch der Teamkardiologe von Eriksens langjährigem Club Tottenham Hotspur bestätigte der Zeitung »The Mail«, dass bei den Untersuchungen des Dänen während seiner Zeit in der Premier League (2013-2020) nie irgendwelche Auffälligkeiten oder Vorerkrankungen festgestellt worden seien. Auch mit dem Coronavirus habe sich Eriksen nach Inter-Angaben noch nicht infiziert.

Große Anteilnahme

Bei aller Tragik zeigte dieses Drama von Kopenhagen auch, welche Kraft der Fußball in solchen Momenten entfalten kann. Clubs und Spieler nahmen weltweit einen großen Anteil an Eriksens Zustand. Sie schickten Gebete oder Genesungswünsche über die sozialen Netzwerke. Auch die deutschen Nationalspieler waren nach Angaben ihres Teamarztes Tim Meyer »sichtlich geschockt. Es gab eine Menge Gespräche mit den Spielern«, sagte er am Sonntag.

Im Stadion selbst erzeugten dänische und finnische Fans schon während der Unterbrechung eine Atmosphäre der Empathie, des Mitgefühls und des Zusammenhalts. Minutenlang riefen die Finnen immer wieder »Christian«. Und die Dänen riefen: »Eriksen«. Tausende applaudierten. (dpa)