STUTTGART. Die beiden deutschen Topspielerinnen Angelique Kerber und Laura Siegemund haderten nicht lange mit dem ärgerlichen Ausgang ihrer 5.155 Kilometer weiten Reise nach Kasachstan. Sie spielen immer gerne für die deutsche Nationalmannschaft, versicherten die zwei einmütig am Ostermontag beim Auftakt ihres prestigeträchtigen Heimatturniers in Stuttgart. Aber nun ist schon wieder alles neu und sie sind wieder als Einzelkämpferinnen unterwegs.
In der Tat dürfen sich beide keine Zeit gönnen, über den Rückschlag zu trauern, den sie am Ostersamstag mit der 1:3-Niederlage in der kasachischen Hauptstadt Neu-Sultan im Billie Jean King Cup erlitten haben. Nach dieser Pleite gegen Kasachstan – trotz ihres Einsatzes »mit Herz und Leidenschaft« – droht den deutschen Damen im November nun der erste Abstieg seit zehn Jahren im früheren Fed Cup. Bis dahin ist aber noch viel Zeit. Also gilt: Abhaken, nach vorne schauen und es in Stuttgart sofort besser machen, zumal sie ja fast schon perfekt auf Sand eingespielt sind.
»Ich setze im Hier und Jetzt alles daran, das Beste aus mir rauszuholen«
»Klar ist es traurig, aber ich muss mich jetzt schnell auf das Nächste konzentrieren«, sagte Kerber. Sie trifft bei ihrem Heimturnier, bei dem es angesichts von sieben Top-Ten-Spielerinnen schon in der ersten Runde zu lauter spektakulären Duellen kommt, auf die an Position fünf gesetzte Annet Kontaveit aus Estland. Die 26-Jährige und aktuelle Nummer sechs der Welt hat nur eins von den bislang fünf Spielen gegen Kerber verloren.
»Starke Gegnerinnen sind für mich immer eine zusätzliche Motivation«, zeigte sich die deutsche Nummer eins aber nach der Auslosung unerschrocken und ergänzte: »Klar ist das keine einfache erste Runde hier und ich muss sofort mein bestes Tennis zeigen.« Doch sie habe, was ihre Zukunft angehe, immer noch große Leidenschaft fürs Tennis in sich, fühle sich gut und sei gesund. Kerber: »Ich kann immer noch mithalten. Ich setze im Hier und Jetzt alles daran, das Beste aus mir rauszuholen.«
Außerdem schenke ihr gerade dieses Turnier, wo sie schon zum 13. Mal aufschlägt und sie 2015 und 2016 zwei Titel gewonnen hat, »besondere Energie« dank seiner einzigartigen Atmosphäre. »Wir Spielerinnen lieben dieses Turnier. Für uns ist es so etwas wie eine Wohlfühloase im stressigen Tour-Alltag. Mich hat der Porsche Tennis Grand Prix durch meine Karriere begleitet, seit ich 2005 zum ersten Mal hier die Qualifikation gespielt habe. Ich konnte hier viele wichtige Erfahrungen sammeln, die mir stets weitergeholfen haben.«
Also hofft die 34-Jährige auch diesmal, sich in Stuttgart rund einen Monat vor den French Open die Spielpraxis und das Selbstbewusstsein zu holen, die ihr in diesem Jahr immer noch fehlen. Dafür will sie ihr Herz auf dem Platz lassen und hofft außerdem nach der tristen Pandemiezeit auf die motivierende Unterstützung der Zuschauer. »Fans, die mich anfeuern, ist mit das Schönste an meinem Beruf.«
Rainer Schüttler wird versuchen, ihr zu helfen. Der deutsche Teamchef arbeitet mit der Kielerin, die derzeit ohne festen Trainer auf der Tour unterwegs ist, beim Porsche Grand Prix zusammen. »Ich versuche, das jetzt hier weiterzuführen, was wir in Kasachstan angefangen haben«, erklärte Kerber. »Es ist schade, dass Angie verloren hat. Es war eigentlich ein sehr, sehr gutes Match«, hatte Schüttler über den Auftritt seines Teilzeit-Schützlings in Neu-Sultan gesagt. Kerber hatte dort mit 6:4, 3:6, 5:7 gegen Jelena Rybakina und mit 6:3, 3:6, 2:6 gegen Julia Putinzewa verloren. Dabei hatte die derzeit auf Weltranglisten-Platz 17 rangierende Kielerin im entscheidenden dritten Satz gegen die beste kasachische Spielerin Rybakina schon mit 5:3 geführt, ehe sich das Blatt wendete. Auch Laura Siegemund hatte gegen die Weltranglisten-19. Rybakina beim 0:6, 1:6 in Kasachstan keine Chance. »Sie hat Top-Ten-Niveau, hat unglaublich gut gespielt und mich überrollt«, meinte Siegemund staunend über die sehr schnell spielende und stark aufschlagende Rybakina. Die Kasachin ist 12 Jahre jünger als die beiden deutschen Spitzenspielerinnen und es scheint, dass die jungen Tennis-Damen auf der Tour schneller und dynamischer und damit erfolgreicher sind als die alten Granden.
In Stuttgart trifft Siegemund in der ersten Runde auf die 24 Jahre alte Slowenin Tamara Zidansek (Nummer 27 der Welt). Vor zwei Wochen hatte die Metzingerin nach einem halben Jahr Pause wegen einer Meniskus-OP am rechten Knie beim Masters in Miami mit der Russin Vera Swonarewa den Doppeltitel geholt.
»Mein Knie macht super mit, ich fühle mich toll und habe gut trainiert. Für mich steht hier in Stuttgart wieder mein Einzelspiel im Vordergrund und ich komme nicht hierher, um nur dabei zu sein«, erklärte Siegemund. Sie will zeigen, dass sie zurecht für dieses Turnier eine Wildcard erhalten hat. Im Doppel tritt sie mit der Italienerin Jasmine Paolini an. Im Vergleich zu Laura Siegemund hat es Wildcardinhaberin Jule Niemeier (22) schwerer erwischt. Die Dortmunderin trifft zum Auftakt auf Bianca Andreescu aus Kanada, die US-Open-Siegerin von 2019.
Außerdem spielen die Hamburgerin Eva Lys (20) und die gebürtige Mainzerin Nastasja Schunk (18) mit. Die Talente haben es über die Qualifikation ins exquisit besetzte Hauptfeld geschafft. Lys muss nun gegen die Schweizerin Viktorija Golubic ran und Linkshänderin Schunk ausgerechnet gegen die Kasachin Jelena Rybakina. Es wird spannend, ob sie diese Aufgabe besser lösen kann als zuletzt ihre routinierten deutschen Vorbilder. (GEA)
AKTION: »ASSE FÜR CHARITY«
Unterstützung für geflüchtete Kinder aus der Ukraine
Es ist seit 2006 eine feine Tradition beim Stuttgarter Tennisklassiker, dass der Ausrichter Porsche für jedes im Turnierverlauf geschlagene Ass 100 Euro spendet. Im Vorjahr waren es wegen Corona sogar 200 Euro. Bei 260 geschlagenen Assen rundete Porsche 2021 den Betrag dann sogar noch auf 60 000 Euro auf. Der Spendenbeitrag geht dabei stets zu gleichen Teilen an die Stiftung Agapedia und den Landessportverband Baden Württemberg. Agapedia leistet im Kinderzentrum in Esslingen Bildungs- und Integrationsarbeit für Kinder aus sozial schwachen Familien und mit Migrationshintergrund. Unter pädagogischer Anleitung wird den Kindern Freizeitgestaltung angeboten, die neben Hausaufgabenbetreuung Sport und Spiel umfasst. Das Geld aus der diesjährigen Aktion »Asse für Charity« fließt in ein Projekt zur Betreuung traumatisierter ukrainischer Flüchtlingskinder. Der Landessportverband Baden-Württemberg (LSV BW) wird mit seinem Spendenanteil geflüchtete ukrainische Leistungssportler – vornehmlich Kinder und Jugendliche sowie deren Trainer – unterstützen. (bib)