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Das Ende des Schweigens: Özil tritt aus Nationalelf zurück

Mesut Özil tritt aus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zurück. Der Weltmeister zieht damit die Konsequenzen aus der Affäre um die Fotos mit dem türkischen Präsidenten Erdogan. Die Bilder bereut Özil indes nicht - und holt zum Rundumschlag aus.

Mesut Özil
Mesut Özil will nicht mehr für das deutsche Fußball-Nationalteam spielen. Foto: Christian Charisius
Mesut Özil will nicht mehr für das deutsche Fußball-Nationalteam spielen. Foto: Christian Charisius

BERLIN. Im Zorn kehrt Weltmeister Mesut Özil der deutschen Fußball-Nationalmannschaft den Rücken.

Tief verletzt brach der 29-Jährige am Sonntag sein wochenlanges Schweigen und wehrte sich gegen seine Rolle als WM-Sündenbock in der seit Mai schwelenden Affäre um die Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Seine dreiteilige Erklärung gipfelte am Abend in einer persönlichen Attacke gegen DFB-Chef Reinhard Grindel und seinem Rücktritt aus dem DFB-Team, für das Özil als einer der Lieblingsschüler von Joachim Löw bis zum verkorksten WM-Sommer 2018 insgesamt 92 Länderspiele bestritten hatte.

»Mit schwerem Herzen und nach langer Überlegung werde ich wegen der jüngsten Ereignisse nicht mehr für Deutschland auf internationaler Ebene spielen, so lange ich dieses Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit verspüre«, schrieb Özil. Er fühle sich vom Deutschen Fußball-Bund und vor allem dessen Präsident Grindel schlecht behandelt. »Ich werde nicht länger als Sündenbock dienen für seine Inkompetenz und seine Unfähigkeit, seinen Job ordentlich zu erledigen«, betonte Özil an die Adresse von Grindel.

Özil und Erdogan
Mesut Özil (l) posiert mit dem türkischen Präsidenten Erdogan im Mai für ein Foto. Foto: Uncredited/Pool Presdential Press Service/AP
Mesut Özil (l) posiert mit dem türkischen Präsidenten Erdogan im Mai für ein Foto. Foto: Uncredited/Pool Presdential Press Service/AP

Zuvor hatte der Spielmacher des FC Arsenal seine Bilder mit dem umstrittenen Staatschef Erdogan wortreich verteidigt und politische Absichten bestritten. Zudem griff Özil deutsche Medien und Sponsoren-Partner scharf wegen ihres Verhaltens an. Eine Zukunft in der DFB-Auswahl, die einst als Vorbild für die Integration von Migranten-Kindern stand und nun ins Zentrum einer teils fremdenfeindlichen Debatte geraten ist, schien schon bei diesen Worten fraglich. Am Abend zog Özil dann im letzten Teil seiner schriftlichen Äußerungen den Schlussstrich unter seine DFB-Karriere.

Das Treffen mit Erdogan in London, an dem auch DFB-Teamkollege Ilkay Gündogan teilnahm, bereut Özil nicht. »Was auch immer der Ausgang der vorangegangenen Wahl gewesen wäre oder auch der Wahl zuvor, ich hätte dieses Foto gemacht«, schrieb Özil. »Ein Foto mit Präsident Erdogan zu machen, hatte für mich nichts mit Politik oder Wahlen zu tun, es war aus Respekt vor dem höchsten Amt des Landes meiner Familie.«

Kritiker sahen die Fotos als Wahlhilfe für Erdogan. »Mit dem Alleinherrscher Erdogan zu posieren empfinde ich als respektlos denen gegenüber, die in der Türkei gegängelt werden oder willkürlich im Gefängnis sitzen«, teilte der ehemalige Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir am Sonntag mit. Özil sei seiner Vorbildfunktion nicht gerecht geworden. Özil indes schrieb: »Für mich ist es nicht von Bedeutung gewesen, wer Präsident war, es war von Bedeutung, dass es der Präsident war.«

Özil verwies auf seine türkischen Wurzeln. Sich nicht mit Erdogan zu treffen, hätte bedeutet, diese Wurzeln nicht zu respektieren, unabhängig davon, wer Präsident sei. Im Gespräch mit Erdogan sei es um Fußball gegangen, nicht um Politik. Mit Erdogan habe er sich erstmals bereits 2010 getroffen, nachdem dieser zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel das Länderspiel zwischen Deutschland und der Türkei in Berlin besucht habe. Damals war Özil von vielen türkischstämmigen Besuchern ausgepfiffen worden.

Die Affäre um die Fotos hatte die WM-Vorbereitung der Nationalmannschaft überschattet und war auch während des Turniers in Russland ein Störfaktor. Nach dem erstmaligen Aus des DFB-Teams in einer WM-Vorrunde hatten Teammanager Oliver Bierhoff und DFB-Chef Grindel gefordert, Özil solle sich öffentlich erklären. Beiden wurde daraufhin vorgeworfen, sie würden den 29-Jährigen zum Buhmann machen. »Ich fühle mich ungewollt und denke, dass das, was ich seit meinem Länderspiel-Debüt 2009 erreicht habe, vergessen ist«, schrieb Özil.

Die Debatte um die Erdogan-Fotos ging jedoch weit über den Fußball hinaus. Die Diskussion um die Integration der Nachkommen von Migranten und um Fremdenhass wurde immer schärfer. »Ich bin Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Immigrant, wenn wir verlieren«, beschrieb Özil seine Situation und berichtete von Hass-Mails und Drohungen gegen seine Familie und ihn.

Özil warf »bestimmten deutschen Zeitungen« rechte Propaganda vor, »um ihre politischen Interessen voranzutreiben«. Er sei enttäuscht über die »Doppelmoral« in der Berichterstattung und verwies auf ein ebenfalls umstrittenes Treffen von Lothar Matthäus mit Kremlchef Wladimir Putin. Matthäus habe sich dafür nicht öffentlich erklären müssen und dürfe weiterhin Ehrenspielführer bleiben. »Macht mein türkisches Erbe mich zu einem besseren Ziel?«, fragte Özil.

Nach den Bildern mit Erdogan sei er von einem DFB-Sponsor nachträglich aus Werbekampagnen entfernt worden. Alle weiteren PR-Aktivitäten, für die er eigentlich vorgesehen gewesen war, seien gestrichen worden. »Für sie war es nicht länger gut, mit mir gesehen zu werden. Sie nannten diese Situation «Krisenmanagement»«, ließ Özil wissen, ohne den Namen des Sponsors konkret zu nennen.

Auch eine geplante Aktion für einen guten Zweck in seiner früheren Schule in Gelsenkirchen sei wegen des Wirbels um die Fotos nicht zustande gekommen. Seine Partner für die Benefiz-Aktion hätten ihm wenige Tage vorher gesagt, derzeit nicht mehr mit ihm arbeiten zu wollen. Auch von der Schule habe er eine Absage bekommen. »Ganz ehrlich, das tat wirklich weh«, schrieb Özil.

Kurz nach Auftauchen der Fotos waren Özil und Gündogan sogar zu einem Gespräch bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Gast gewesen. Während Gündogan sich noch vor der WM äußerte und versicherte, es habe sich nicht um »ein politisches Statement« gehandelt, schwieg Özil über Wochen. Kanzlerin Merkel hatte bei einem Besuch im WM-Trainingslager in Südtirol mit Özil und Gündogan gesprochen. »Ich glaube, die beiden Spieler haben nicht bedacht, was das Foto auslöst mit dem Präsidenten Erdogan«, sagte Merkel später der ARD.

Noch vor acht Jahren hatte ein Foto der Kanzlerin in der Kabine des DFB-Teams neben dem halbnackten Özil für Aufsehen gesorgt. Wenn Bundestrainer Löw nun am 29. August das Aufgebot für die nächsten Länderspiele nominiert, wird Özil fehlen. Am 6. September spielt der entthronte Weltmeister in München in der Nations League gegen den neuen Titelgewinner Frankreich. Am 9. September folgt ein Test gegen Peru in Sinsheim.

Nahezu zeitgleich zur Veröffentlichung seiner Erklärungen trat Özil am Sonntag mit dem FC Arsenal eine Reise nach Singapur an. Dort gehen die Gunners auf Werbetour und treffen in einem Freundschaftsturnier im National-Stadion am Donnerstag auf den Europa-League-Sieger Atlético Madrid und am Samstag auf den französischen Fußballmeister Paris Saint-Germain. (dpa)

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Profil von Özil auf DFB-Homepage

Die Rücktrittserklärung von Mesut Özil in Auszügen

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