STUTTGART. Florian Lipowitz katapultierte sich durch seinen Podest-Platz bei der Tour de France in die Weltspitze. Er avancierte zugleich zum neuen deutschen Aushängeschild im Radsport. Derart im Mittelpunkt zu stehen und nun als Hoffnungsträger gefeiert zu werden, war für den Laichinger eine völlig neue Erfahrung. »Ich versuche, das am Ende ein bisschen auszublenden«, sagte der 25-Jährige in den Räumen des Stuttgarter Stores The Ramp Space.
GEA: Sie haben jetzt eine sechswöchige Pause hinter sich. Wie sehr kribbelt es, nun wieder aufs Rad zu steigen und mit der Vorbereitung auf die neue Saison zu beginnen?
Florian Lipowitz: Sechs Wochen sind eine lange Zeit. Definitiv fehlt mir dann das Gefühl, nach dem Training müde und kaputt nach Hause zu kommen. Wenn’s draußen nur drei, vier Grad hat und mit Regen zu rechnen ist, gehört ein bisschen Überwindung dazu, aber Radfahren ist auch mein Job. Ich habe mich auf jeden Fall gefreut, wieder aufs Rad zu sitzen.
Werden Sie nach der Tour de France, als Sie sensationell Gesamt-Dritter geworden sind und das Weiße Trikot des besten Jung-Profis gewonnen haben, nun häufiger in der Öffentlichkeit erkannt?
Lipowitz: Jetzt lässt’s etwas nach, aber direkt nach der Tour kam das öfter vor. Der ein oder andere Autofahrer hat an der Straße angehalten oder ist nebenher gefahren. Die Meisten wollten nur ein Bild machen. Es ist auf jeden Fall schön zu sehen, dass man die Leute für den Radsport begeistern kann.
Im Rampenlicht zu stehen ist nicht jedermanns Sache. Wie gehen Sie mit dieser neuen Situation um?
Lipowitz: Leute, die mich kennen, wissen, dass ich eine introvertierte Person bin. Die Wochen danach waren nicht so einfach. Es ist nicht leicht, mit dieser ungewohnten Aufmerksamkeit klarzukommen. Zudem hatte ich auch gesundheitlich ein wenig zu kämpfen. Dass der Körper erschöpft war und ein bisschen gestreikt hat, war sicher auch eine Auswirkung des ganzen Trubels. Als Leistungssportler bewegt man sich immer an der Grenze, hat viele Höhen und Tiefen. Natürlich muss man da die richtige Balance finden.
Wie lief Ihre Pause ab? Was stand im Vordergrund?
Lipowitz: Die drei Wochen bei der Tour waren mega zehrend. Daher war ich die ersten ein, zwei Wochen danach ziemlich platt. Dann hatte ich eine Operation. Die Nasenscheidewand wurde begradigt. Damit waren zwei weitere Wochen vorüber. Was macht man in der Freizeit? Ich habe mich um Rechnungen und die Steuererklärung gekümmert. Natürlich versucht man auch schon mal das Leben zu genießen. Fünf, sechs Wochen hören sich lang an, aber ruck-zuck ist man wieder im Training.
Nach der Rückkehr gab’s einen ganz großen Bahnhof in ihrem Heimatort Laichingen mit dem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt. Hätten Sie sich im Vorfeld vorstellen können, dass so viele Leute kommen?
Lipowitz: Nein, definitiv nicht. Das hat mich wahnsinnig gefreut, dass so viele da waren. Auch der Bürgermeister war überrascht, wie viele Leute sich auf den Weg nach Laichingen gemacht haben. Das war auf jeden Fall ein schönes Erlebnis.
Als Rad-Profi sind Sie in der ganzen Welt unterwegs. Zwischendurch kommt man immer wieder nach Hause. Was bedeutet Ihnen Heimat?
Lipowitz: Das bedeutet mir viel. Mit Seefeld in Österreich, wo ich wohne, und Laichingen, wo ich aufgewachsen bin, habe ich zwei Heimat-Orte. Oft bekochen mich die Eltern, wenn ich heimkomme, meistens gibt es Linsen mit Spätzle. Opa und Oma wohnen nebenan. Laugengebäck gibt es auch in Österreich, aber daheim bekommt man auf jeden Fall die besseren Backwaren. Im Herzen würde ich mich auf jeden Fall als Schwaben bezeichnen. Es ist natürlich immer schön, wenn man ein paar Tage hier im Schwabenland verbringt.
Wo ist Ihr Trainingsterrain, wenn Sie in Laichingen sind?
Lipowitz: Ich habe nie eine fixe Runde, bin überhaupt nicht der große Planer, fahre meist nach Lust und Laune los und entscheide immer kurzfristig, wo’s hingehen soll. Ich vermeide wegen des Verkehrs, Richtung Stuttgart/Göppingen zu fahren und bleibe auf der Schwäbischen Alb. Ich fahr’ zum Beispiel immer auf einer Runde die Hepsisauer Steige in Weilheim/Teck, den Anstieg, den jeder Radfahrer kennt. Da mach ich die meisten Intervalle, wenn ich hier bin. Oder ich nehme die alte Lenninger Steige, auch die Neuffener Steige kann es sein. Der Vorteil in der Heimat ist, dass man sich sehr gut auskennt. Manchmal findet man auch Straßen, die man noch nie gefahren ist. In Österreich sind die Anstiege länger. Mit dem Verkehr ist es relativ entspannt dort, außer wenn gleichzeitig Motorradfahrer unterwegs sind.
Wird zuhause viel über Radsport gesprochen, wenn Sie im Land sind?
Lipowitz: Radsport ist dann eher weniger das Thema. Ich sage es auch schon mal, falls mir zu viel darüber gesprochen wird. Ich versuch’ in dieser Zeit so wenig wie möglich mit Radsport in Kontakt zu kommen. Pokale und Trikots sieht man bei uns nicht.
Und in der Wohnung in Österreich?
Lipowitz: Das Weiße Trikot ist in eine Box gekommen, die ich bekommen habe und für die besonderen Trikots vorgesehen ist. Ich hab’s nicht aufgehängt. Auch nicht die Weißen Trikots der Rundfahrten Dauphiné und Paris-Nizza. Vielleicht kommt irgendwann mal ein Fitnessraum, in dem man das eine oder andere Trikot gern an der Wand hätte.
Wenn Sie hier trainieren, nehmen Sie dann auch Profi-Kollegen mit?
Lipowitz: Ja, das kommt vor. Man schickt sich eine Nachricht, fragt an, ob der andere auch gerade da ist und ob er Zeit hat. Wenn sich’s ausgeht, treffe ich mich mit dem Nürtinger Mountainbiker Luca Schwarzbauer. Er fährt dann mit dem Rennrad. Auch mit Marius Mayrhofer aus Dußlingen, der wie ich Rad-Profi ist, trainiere ich immer mal wieder. Vor ein paar Jahren haben wir das zusammen auf Mallorca gemacht.
Trainieren Sie auch auf der Rolle?
Lipowitz: Rollentraining versuche ich zu vermeiden, ehrlich gesagt. Im November/Dezember gibt’s meist ein Trainingslager in Mallorca, im Januar geht’s eher Richtung Kanaren, im Februar ist ein Höhentrainingslager angesagt. So lässt es sich gut vermeiden, auf die Rolle zu gehen (lächelt).
Können Sie sich vorstellen, auch noch in zehn Jahren – mit 35 Jahren – als Profi Rennen zu bestreiten?
Lipowitz: Der Radsport wird mittlerweile immer jünger. Früher war man mit 29 oder 30 Jahren in Top-Form, inzwischen redet man schon eher vom Karriereende in diesem Alter. Das steht noch in den Sternen. Das Wichtigste für mich ist, dass es mir Spaß macht.
Seit der Tour de France werden Sie als der große deutsche Hoffnungsträger bezeichnet. Das kann auch eine Belastung sein.
Lipowitz: Ich versuche, das am Ende ein bisschen auszublenden. Man kann nicht mehr geben als gut zu trainieren, auf die Ernährung zu achten und so weiter, dann kann man sich nichts vorwerfen. Klar, mit dem Erfolg kommt auch ein hoher Erwartungsdruck. Das ist etwas Neues für mich, aber man muss auch damit umgehen können.
Ihre Leistung bei der Tour war brilliant. Allerdings gab’s keinen einzigen Sieg in dieser Saison. Ärgert Sie das?
Lipowitz: Darauf lag nicht so mein Fokus dieses Jahr. Um Rennen zu gewinnen, haben noch ein, zwei Prozent gefehlt. Wenn gesundheitlich alles gut läuft, klappt’s hoffentlich nächstes Jahr oder im Jahr darauf.
Würde Sie eine Kapitänsrolle reizen?
Lipowitz: Das reizt mich definitiv. Teams wie Visma und UAE haben einen Leader, andere fahren meistens mit zwei Anführern. Man steht als Kapitän natürlich mehr unter Druck. Ich bin froh, wenn man das ein bisschen aufteilt. In diese Aufgabe wächst man auch über Jahre rein. Das lernt man nicht in einer Saison.
Wie sehen Sie die Entwicklung des deutschen Radsports?
Lipowitz: Man sieht, dass der Radsport zurückkommt. Seitdem ich vor fünf Jahren, damals im Team Tyrol, angefangen habe, sieht man viel mehr Leute auf dem Rad. Georg Steinhauser hat vergangenes Jahr eine Etappe beim Giro d’Italia gewonnen, Nico Denz in diesem Jahr. Es wäre schön, wenn Deutschland wieder ein Etappen-Rennen in der World Tour hätte. Ich bin allerdings schon froh, dass es die Deutschland-Tour gibt. Es gab eine Zeit, da wurde Radsport im Fernsehen eher missachtet. Das ist jetzt anders. Ich würde mich auch freuen, wenn man auch mehr in Radwege und Infrastruktur für Radfahrer investieren würde.
Das Jahr geht schon langsam dem Ende entgegen. Haben Sie irgendwelche Vorsätze?
Lipowitz: Nein, nicht wirklich. Die hält man eh meistens nicht ein. Ich will so weitermachen wie die letzten Jahre auch. Man könnte sagen, man achtet vielleicht ein bisschen mehr auf Ernährung oder ähnliche Punkte. Aber ich glaube, ich bin ganz froh, dass ich mir auch noch erlaube, morgens ein Nutella-Croissant zu essen oder die eine oder andere Tafel Schokolade. Das sieht man mir zu Jahresbeginn nicht sehr rapide an. (GEA)

