REUTLINGEN. Das Virus lässt einem keine Wahl, der GEA-Kandidaten-Check geht nur digital ohne Publikum. Was der Betrachter des Livestreams am Bildschirm sieht, ist jedoch nur ein Teil des Ganzen. Digitale Demokratie in voller Auflösung erfordert im Hintergrund viele Menschen und Technik. Das eine Gesamtbild im Netz kommt tatsächlich aus mehreren Studios im Oertel+Spörer-Gebäude. Schwarz ist hier keine politische Richtung, sondern die Farbe des Hintergrundes.
»Wir haben zwei Studios geschaffen: Eines für die beiden Moderatoren, das andere für die Kandidaten«, erklärt Markus Bastian, Geschäftsführer der DSR Veranstaltungstechnik mit Blick auf die an Rohrgestellen befestigen schwarzen Vorhänge. Zwischen beiden Aufnahmeorten ist mehr Platz als jede Abstandsregel vorschreibt. Denn die Reutlinger Wahlkreis-Kandidaten sitzen meterweit entfernt im Oertel+Spörer Saal. Der Respekt vor dem Virus hört damit aber noch lange nicht auf.
Alle, die hier am Abend arbeiten, haben sich nachmittags mit negativen Ergebnis bei einem Team des DRK-Ortsvereins Reutlingen einem Corona-Schnelltest unterzogen sowie eine FFP-2-Maske angezogen. Auch die Menschen am Regietisch, der zwischen beiden Studios steht, aber wie ein Lobbyist im Parlament allerbeste Verbindungen in alle Richtungen hat. »150 Kabel in unterschiedlichen Arten und Längen sind verlegt«, verrät Veranstaltungstechniker Bastian. Immer den Leitungen zu folgen, macht die technische Zauberei etwas verständlicher.
Vor Moderatoren und Kandidaten sind kleine Kameras montiert, die sich in jedem Agentenfilm bestens machen würden. Ferngesteuert drehen sich die Objektive wie von Geisterhand. Kameraoperator am Joystick des Regietisches ist mit Markus Bastian der Chef selbst. Der Vollbartträger mit Schirmmütze in Sichtweite ist Tontechniker Iggy, der die kristallklaren Sprachbeiträge der Runde via Funkmikrofonen empfangen kann. An einem riesigen Bildschirm mischt sein Kollege Toga aus ganz vielen Kamerabildern - jeder Kandidat sowie die Moderatoren tauchen in eigenen Bilderrahmen auf - das ins Netz übertragene Endergebnis. Videomonitormix nennt sich Togas gänzlich alkoholfreie Aufgabe.
Die Kandidaten wirken aufmerksam, nicht angestrengt, aber im leeren Saal ein wenig einsam. Bevor der Livestream beginnt, wird locker miteinander geplaudert. Regine Vohrer (FDP) schaut noch kurz in ihr Smartphone. Ramazan Selcuk (SPD) legt seinen roten Kugelschreiber auf ein weißes Blatt Papier. Christdemokrat Frank Glaunsinger platziert sein Tablet und einen Aktenordner neben sich. Ingo Reetze von der AfD verschickt noch schnell digitale Nachrichten. Thomas Poreski (Grüne) findet einen passenden Platz für seine Fahrradtasche. Nicht vor Ort, sondern via Datenleitung zugeschaltet, ist aus Gründen persönlicher Risikoabschätzung in Corona-Zeiten der Linke Günter Herbig.
Beim Antworten wird ins Menschenleere gesprochen. Weder Beifall noch Buh-Rufe folgen als Reaktionen. Die Coronakrise geht auch auf Kosten der Emotionen. Wahlkampf digital ohne Publikum ist wie weichgespült. Aber was von der Kandidatin und den Kandidaten auf den Bildschirmen da draußen in diesem Internet zu betrachten ist, hat nicht nur inhaltlich eine hohe Qualität.
»Es wird ein Full-HD-Bild übertragen«, sagt Bastian. Übersetzt bedeutet das: Von der Auflösung her groß genug selbst für riesige Fernseher, alle Computerbildschirme sowieso. Oder in Pixeln ausgedrückt 1920 breit und 1080 Pixel hoch. Sehr beachtlich auch die Geschwindigkeit, mit der dieser Livestream hoch ins Netz geladen wird: Es sind flotte sechs Megabit pro Sekunde. Am beeindruckendsten freilich die Gesamtrechnung des Ereignisses. In der Produktion von etwas mehr als 1,5 Stunden Sendung stecken laut Bastian »100 Mannstunden«. (GEA)