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Wie die Bruderhaus-Diakonie Reutlingen seit fünf Jahren jungen Geflüchteten hilft

Die Bruderhaus-Diakonie begleitet seit fünf Jahren junge Geflüchtete. Ein Rückblick auf die Zeit von 2015 bis heute.

Hashem Ahmadi wollte 2016 noch Informatiker werden. Inzwischen hat er eine Optikerausbildung gemacht.  FOTO: BRUDERHAUS-DIAKONIE
Hashem Ahmadi wollte 2016 noch Informatiker werden. Inzwischen hat er eine Optikerausbildung gemacht. FOTO: BRUDERHAUS-DIAKONIE
Hashem Ahmadi wollte 2016 noch Informatiker werden. Inzwischen hat er eine Optikerausbildung gemacht. FOTO: BRUDERHAUS-DIAKONIE

REUTLINGEN. In Reutlingen hat Hashem Ahmadi aus Afghanistan eine Zukunft gefunden. Als er 2016 als Minderjähriger mit seinem jüngeren Bruder nach der Flucht über die Türkei und Griechenland nach Deutschland kam, fehlte jede Spur von den Eltern und Geschwistern. Erst in einer Reutlinger Wohngruppe der Bruderhaus-Diakonie erfuhr er Halt.

»Mir hat viel geholfen, dass ich da meine Geschichte und Gefühle erzählen konnte«, sagt er rückblickend. Mittlerweile hat er seine Lehre zum Optiker abgeschlossen. »Es war schwer«, er würde den Weg nicht noch einmal machen, erzählt Hashem, aber er hat es geschafft.

Als nach den Sommerferien 2015 die Flüchtlingszahlen europaweit stiegen und Bundeskanzlerin Merkel sich für eine unbeschränkte Aufnahme von Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan, Irak, Iran, Gambia, Nigeria aussprach, ging es Schlag auf Schlag.

Mit der Bitte um Hilfe bei der Unterbringung und Betreuung von Unbegleiteten Minderjährigen Ausländern (UMA) wandten sich die Jugendämter neben anderen Trägern auch an die Bruderhaus-Diakonie. Constance Hosp, Bereichsleiterin in der Reutlinger Oberlin-Jugendhilfe der Bruderhaus-Diakonie, erinnert sich an »verrückte Advents-, Weihnachts- und Neujahrswochen«. Über Nacht mussten neue Dienstpläne erstellt und neue Mitarbeitende eingestellt, musste eine Infrastruktur für Wohnen, Schule und Ausbildung geschaffen werden.

Zehn Wohngruppen

Mit vereinten Kräften sorgten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür, dass Jugendliche, die furchtbare Fluchterfahrungen hinter sich hatten, eine neue Heimat in Wohngruppen fanden.

Von November 2015 bis heute wurden in Reutlingen, Nürtingen, Freudenstadt und Deggingen rund zehn Wohngruppen mit über hundert unbegleiteten Geflüchteten aus mehr als zehn Ländern eingerichtet. »Wir haben mit Traumata gearbeitet, alleine oder mit Therapeuten«, so Markus Seibold, Bereichsleiter Oberes Filstal/Geislingen bei den Jugendhilfen Deggingen der Bruderhaus-Diakonie. »Wir mussten kreativ sein beim Vermitteln der Sprache, hatten überall Post-its, auf Türen, Griffen, Fenstern, am Spiegel.« Nur ein gut ausgebautes Netzwerk des Fachdienstes Jugend, Bildung, Migration der Bruderhaus-Diakonie sowie Kooperationen mit Schulen, Volkshochschulen, Sportvereinen, Therapeuten und Pädagogen ermöglichten ein erfolgreiches Ankommen der jungen Menschen. Neben Alphabetisierungs-, Deutsch- und Berufsvorbereitungskursen wurden zahlreiche von der Jugendhilfe initiierte Freizeitprojekte ins Leben gerufen, beispielsweise Fahrrad fahren lernen und Kickboxen.

Constance Hosp und weitere Jugendhilfe-Experten der Bruderhaus-Diakonie kümmern sich seit 2015 um junge Geflüchtete.  FOTO: FACT
Constance Hosp und weitere Jugendhilfe-Experten der Bruderhaus-Diakonie kümmern sich seit 2015 um junge Geflüchtete. FOTO: FACTUM/WEISE
Constance Hosp und weitere Jugendhilfe-Experten der Bruderhaus-Diakonie kümmern sich seit 2015 um junge Geflüchtete. FOTO: FACTUM/WEISE

»Es ist bemerkenswert, wie wenig sich Ziele, Träume und Wünsche junger Geflüchteter von denen junger Menschen, die hier aufgewachsen sind, unterscheiden, und doch könnten die Ausgangsbedingungen unterschiedlicher nicht sein«, sagt Ulrike Haas, Leitung Geschäftsfeld Jugendhilfe der Bruderhaus-Diakonie.

Das Zusammenleben in den Wohngruppen, wo verschiedene Welten aufeinanderprallen, ebenso verschiedene Wertvorstellungen sowie unterschiedliche kulturelle und religiöse Identitäten sind bis heute eine Herausforderung. Hinzu kommen die Fluchtgeschichten der Jugendlichen, schwierige Asylverfahren, Sorgen um die zurückgebliebenen Familien, das Heimweh, Verständigungsschwierigkeiten und die Anforderungen an eine schnelle Integration.

Viel Engagement

»Die jungen Menschen wurden willkommen geheißen und mit viel Engagement und von ganzem Herzen unterstützt und aufgenommen«, würdigt Dr. Tobias Staib, Fachlicher Vorstand der Bruderhaus-Diakonie, die Teamleistung aller Beteiligten. »Unsere Jugendlichen lernten Bäcker, wurden Optiker, Bauzeichner, Altenpfleger, Herrenschneider, Köche, Elektriker und vieles andere mehr«, zieht Constance Hosp ein Fazit. »Es gab erfüllte und enttäuschte Hoffnungen und viele gute, individuelle Lösungen.«

Im Rückblick auf die vielfältigen Erfahrungen an verschiedenen Standorten der Jugendhilfe fällt vor allem eines auf: Zu einer gelingenden Integration gehört neben Toleranz, Akzeptanz und Offenheit auch der Mut zu kreativen und unkonventionellen Lösungen. (GEA)