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Weniger Lebensmittel für Reutlinger Tafel: KI schuld?

Bei der Tafel in Reutlingen wachsen die Sorgen. Denn es wird für sie zunehmend schwieriger, Lebensmittel von den Supermärkten und Discountern zu erhalten. Das liegt offenbar daran, dass die Märkte immer genauer kalkulieren, auch mit KI. Wozu das führt.

Die guten ins Körbchen, die schlechten in die Tonne: Die Fahrer der Tafel nehmen nur gute Lebensmittel mit.
Die guten ins Körbchen, die schlechten in die Tonne: Die Fahrer der Tafel nehmen nur gute Lebensmittel mit. Foto: Norbert Leister
Die guten ins Körbchen, die schlechten in die Tonne: Die Fahrer der Tafel nehmen nur gute Lebensmittel mit.
Foto: Norbert Leister

REUTLINGEN. Ausgerechnet in der Zeit der Erntedankfeste kämpft die Tafel Reutlingen mit einer Krise: »Die Lebensmittelmärkte planen bei der Bestellung ihrer Lebensmittel immer knapper, und setzen intelligente Computerprogramme sowie KI dafür ein. Am Ende bedeutet das: Es bleibt immer weniger Ware für uns übrig«, sagt Karin Schenk, vom Leitungsteam der Tafel Reutlingen. Frischobst, Gemüse oder Kartoffeln, Salat, Milch oder Nudeln: Die Menge, die Aldi, Lidl, Rewe, Edeka und Co. für die Tafeln bereitstellen, sinke stetig. »Ich schätze, es ist 30 bis 40 Prozent weniger, als noch vor Corona«, überschlägt Schenk und fügt eine weitere Herausforderung hinzu: »Wir haben allein in Reutlingen mittlerweile doppelt so viele Kunden.« Es werde deshalb immer schwieriger, die Kundschaft, die bekanntlich finanziell nicht auf Rosen gebettet ist, mit den nötigen Lebensmitteln zu versorgen. »Eine Entwicklung, die sich bereits während der Corona-Zeit abzeichnete«, so Schenk.

»Wir kämpfen und halten dagegen, indem wir mehr Supermärkte abklappern. Auch zu den Bauern in der Region fahren wir und bitten um Lebensmittelspenden.« Für die Tafeln muss es Ware sein, die im Handel nicht mehr verkauft werden kann, aber noch zu gut ist, um im Müll zu landen. Im Gespräch mit dem GEA macht Karin Schenk deutlich: »Der Kampf um übriggebliebene Lebensmittel wird härter.« Hinzu kommt: Mittlerweile steht nicht nur die Reutlinger Tafel im Wettbewerb um die begehrte Ausschussware, sondern auch die Foodsharer. Diese holen ebenfalls Essen bei den Märkten ab, geben es aber kostenfrei weiter. Sie füllen damit ihre sogenannten Fairteiler, in der Regel Regale oder Kühlschränke, wo sich jeder kostenlos bedienen darf.

»Wir werden vom Wirtschaftskontrolldienst überprüft. Die Foodsharer nicht«

Foodsharer hätten aber gegenüber den Märkten einen entscheidenden Vorteil: »Die nehmen so gut wie alles, während wir darauf achten, dass die Lebensmittel noch in Ordnung sind und, wo vorhanden, ein Mindesthaltbarkeitsdatum noch gilt.« Lebensmittelsicherheit sei für die Tafeln wichtig, so Schenk. »Wir werden vom Wirtschaftskontrolldienst (WKD) überprüft. Die Foodsharer nicht.« Es gelte weiterhin der Grundsatz: Die Ware muss verzehrfähig und lebensmittelrechtlich unbedenklich sein.

Die Leiterin der Reutlinger Tafel, Karin Schenk, vor halbvollen Regalen.
Die Leiterin der Reutlinger Tafel, Karin Schenk, vor halbvollen Regalen. Foto: Frank Pieth
Die Leiterin der Reutlinger Tafel, Karin Schenk, vor halbvollen Regalen.
Foto: Frank Pieth

Die Co-Chefin der Reutlinger Tafel glaubt dennoch nicht, dass die Regale der Tafeln einmal komplett leer bleiben: »Es wird immer etwas zu Essen übrig bleiben«, gibt sie sich optimistisch. Das muss sie auch, denn an der Reutlinger Tafel hängen noch weitere: »Wir kommissionieren die Tafelläden in Metzingen, Bad Urach, Tübingen, Rottenburg, Albstadt und Balingen.« Und damit all ihre Kunden gut versorgt sind, wird die Reutlinger Tafel ihre Öffnungszeiten erweitern. »Der Mittwoch kommt als Verkaufstag hinzu. Künftig ist also von montags bis freitags geöffnet.« Damit reagiere man auf die wachsende Zahl an Kunden und deren Nachfrage.

Auf der anderen Seite der regionalen Lebensmittelversorgung befinden sich Ilka Härig und Verena Hertsch. Beide sind jeweils Inhaberinnen von mehreren Edeka-Märkten in der Region. Sie betreiben zusammen sieben Edeka Märkte: Ilka Härig jeweils einen in Reutlingen, in Wannweil und in Ammerbuch-Pfäffingen. Verena Hertsch ist verantwortlich für zwei Märkte in Reutlingen, einen in Eningen und einen in Gomaringen. Ein weiterer soll in Gomaringen in ein wenigen Wochen eröffnen.

»Wir schaffen eine effiziente Warenbestellungen mithilfe eines Warenwirtschaftssystems, das wir kontinuierlich verbessern.«

Beide bestätigen: Wir nutzen computergestützte und automatische Bestellsysteme und arbeiten dabei auch mit KI. Die Programme würden Faktoren wie aktuelle Ernten, das Wetter und die Entsorgung in die Berechnungen miteinbeziehen: »Das ist besser für uns, weil weniger Ware aussortiert werden muss. Es fällt weniger Müll an. Das wiederum verbessert die Kalkulation«, so die Geschäftsfrau Ilka Härig. Im Klartext: Weil die Ware präziser nachbestellt und die Regale genauer aufgefüllt werden, bleiben am Ende weniger Produkte übrig und es landen damit weniger im Müllcontainer. »Was bei uns im Müll landet, ist meines Erachtens tatsächlich nicht mehr für den Verzehr geeignet. Erst recht, wenn ich die Ausschussware beim Fleisch denke«, erklärt Verena Hertsch. Diese Lebensmittel seien überhaupt nichts für die Tafeln.

Auch der Discounter-Riese Lidl, mit Firmenzentrale im baden-württembergischen Neckarsulm, bestätigt auf GEA-Anfrage, dass sein Bestellsystem im Wandel sei: »Wir schaffen eine effiziente Logistik und bedarfsgerechte Warenbestellungen mithilfe eines Warenwirtschaftssystems, das wir kontinuierlich verbessern«, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. Lidl ist es dabei wichtig zu betonen, dass bereits seit 2008 »vertrauensvoll mit den Tafeln in Deutschland« zusammengearbeitet werde. Weiter heißt es: »Im Jahr 2023 arbeiteten 98 Prozent unserer Standorte mit den örtlichen Tafeln oder anderen gemeinnützigen Organisationen zusammen.« Ob dabei zuletzt weniger Lebensmittel für die Tafeln zur Verfügung gestellt wurden, beantwortet die Lidl-Pressestelle nicht.

»Diese Systeme müssen gut und intelligent gefüttert werden.«

Doch Warenbestellsysteme und KI könnten immer nur so gut sein, wie die Menschen, die sie mit Daten ausstatten, erklären die beiden Edeka-Chefinnen: »Diese Systeme müssen gut und intelligent gefüttert werden. Das bedeutet für mich und meine Mitarbeiterinnen: Wir machen eine peinlich genaue Kontrolle unserer Regale. Wo fehlt etwas, wo könnten bald Lücken in den Regalen entstehen? All solche Dinge sind wichtig, gerade für die KI«, weiß Ilka Härig.

Noch etwas verknappt das Lebensmittelangebot für die Tafeln. Ilka Häring erklärt es: »Wir setzen selbst vermehrt auf das Motto: 'too good to go'. Das sind von uns vorgepackte Einkaufstüten - wir nennen sie Rettertüten - die wir den Kunden für einen Bruchteil des normalen Preises anbieten«, so Härig. Drin seien Lebensmittel, die nicht mehr so gut zu verkaufen seien oder die kurz vor dem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen würden. »Kurz gesagt: Eine Einkaufstüte mit Waren für zwölf Euro bieten wir für vier Euro an«, beschreibt Ilka Härig das Vorgehen. Bitter für die Tafeln: Der Inhalt solcher Rettertüten fällt also weg. Und: In diesen Tüten steckt oft genau das das, was Tafelleiterin Karin Schenk dringend benötigt. Also beispielsweise Zucker, Mehl, Nudeln, Reis oder Konservendosen. »Das ist für uns begehrte Ware, weil daran mangelt es uns immer«, sagt die Tafel Co-Chefin.

»Wir haben doch alles, was wir brauchen, also machen wir den Tafeln ein Geschenk.«

Doch Verena Hertsch berichtet von einem aktuellen Trend bei speziellen Einkäufen ihrer Kundinnen und Kunden: »Ich nenne es anlassbezogene Bestellungen. Beispielsweise bei Feiern, Geburtstagen, goldenen Hochzeiten sagen sich einige unsere Kunden mittlerweile: Wir haben doch alles, was wir brauchen, also machen wir den Tafeln ein Geschenk.« Dann würde sie die Reutlinger Tafel fragen, was am dringendsten benötigt werde und dann gebe es ein entsprechendes Lebensmittelpaket, gespendet von den Kunden, die etwas zu feiern haben. (GEA)