REUTLINGEN. Am Wochenende startet der größte sportliche Wettkampf in Europa seit Beginn der Corona-Krise: Die Fußball-Europameisterschaft der Männer. Das Auftaktspiel bestreiten am Freitag, 11. Juni, die Teams aus der Türkei und aus Italien im Olympiastadion in Rom. Die deutsche Mannschaft steigt erst am Dienstag, 15. Juni, mit dem Spiel gegen Frankreich in der Allianz Arena in München ins Turnier ein.
Von großer Vorfreude auf das einmonatige Spektakel ist derweil in Reutlingen kaum etwas zu spüren. Bei der GEA Straßenumfrage mussten einige Menschen sogar überlegen, wann die Europameisterschaft überhaupt beginnt. »Was, das ist schon jetzt am Wochenende?«, hieß es nicht nur einmal in der Reutlinger Innenstadt. Alles was die Fans normalerweise untrennbar mit einem so großen internationalen Turnier verbinden, ist wegen der Pandemie diesmal nicht möglich: Kein Public-Viewing auf öffentlichen Plätzen, kein »Rudelgucken«, keine Fangesänge, kein Torjubel mit Umarmungen.
Keine Ahnung, wann es losgeht
So ist auch bei Thomas König die Vorfreude auf die EM so gut wie nicht vorhanden. Er sagt, dass er nicht einmal wisse, wann es genau losgehe, obwohl er sich als Fußballfan bezeichnet. »Corona hat halt bislang so gut wie alles überdeckt. Auch in den Medien. Da spielte die Fußball-EM bis jetzt eher eine untergeordnete Rolle«, sagt er. Auch weil es im Vorfeld keinen Ansturm auf Tickets für einen Stadionbesuch gegeben habe. Die Spiele der Profifußballer hätten ihn während Corona auch nicht mitgerissen. »Da fehlt einfach das Publikum, es herrscht fast schon eine Grabesstimmung in den leeren Stadien. Das wird auch bei der EM nicht viel anders sein.« Das sei schon alles sehr ernüchternd.
Auch Bernd Burkhardt freut sich als Fußballfan nicht so richtig auf die EM. Das liege auch daran, dass das Image des Profifußballs während Corona weiter gelitten habe: »Die Spieler durften quasi alles: trainieren, spielen, sich treffen, reisen. Alles das, was die anderen Menschen eben nicht durften. Deshalb ist bei mir diesmal kein Herzblut dabei.« Auch jetzt würden die Teams quer durch Europa reisen. Zudem gebe es während des Turniers auch kein Public-Viewing und das Gemeinschaftsgefühl der Fans sei nicht vorhanden.
Christa und Thomas Krause bezeichnen sich ebenfalls als Fußballfans, aber auch sie können sich nicht so richtig auf die Europameisterschaft freuen: »Na, weil es kein Publikum gibt und wir die Spiele ohnehin nur zu Hause vor dem Fernseher ansehen können«, bedauern sie. Während Corona hab auch keine Stimmung aufkommen können. Selbst im Fernsehen gab es wenig Berichte über das Turnier im Vorfeld: »Sonst kamen doch auch immer Reportagen aus dem Trainingslager oder aus dem Camp der Spieler«, meint Thomas Krause. Zudem sei er nicht vom Team überzeugt und eigentlich hätte Bundestrainer Jogi Löw längst gehen müssen. »Wir gucken schon jetzt weniger TV und das wird wohl auch bei den Fußballspielen während der EM so sein.«
Ute aus Reutlingen möchte nur ihren Vornamen in der Zeitung lesen, bezeichnet sich bei der GEA-Straßenumfrage aber sofort als große Fußballfanin. Auch sie findet, dass Corona vieles »zugedeckt« habe, auch den Fußball und eben jetzt die Europameisterschaft. Fußball sei mit Publikum schon toll und live im Stadion zu sein entfache erst recht die Begeisterung. »Gerne würde ich mit meinem Patenkind live im Stadion sein, aber das ist ja nicht möglich«, sagt sie nachdenklich, fast ein wenig traurig. Zudem habe das Image des Profifußballs in den vergangenen Monaten weiter gelitten. »In der Corona-Krise war da die Gleichberechtigung von Spielern und Fans jedenfalls schwer erkennbar.«
Die Siegesfreude fehlt
Von Traurigkeit ist bei Hatice Cengiz und Duygu Kalkan wenig zu spüren. Beide Frauen freuen sich richtig auf das Fußballturnier: »Vor allem wenn die türkische Mannschaft spielt«, meint Hatice Cengiz. Da seien sie auf jeden Fall mit Begeisterung vor dem Fernseher dabei. »Mein Neffe fährt sogar zum Auftaktspiel nach Italien«, erzählt sie fast ein wenig stolz. »Die Profis sollen doch spielen. Ich habe damit kein Problem«, meint sie. Duygu Kalkan sagt, sie werde nicht alle Spiele der EM Verfolgen, wohl aber die des türkischen Teams. Doch dann fällt beiden ein, was in diesem Jahr alles fehlt, was sonst eigentlich dazu gehört: »Autokorsos sind wohl nicht drin, Public-Viewing auch nicht, die ganze Siegesfreude fehlt dann einfach.«
Bei Robert aus Reutlingen, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung sehen will, fehlt die Vorfreude auf das EM-Turnier komplett, wie er sagt: »Keine richtige Stimmung, keine Vorfreude, keine Lust die Europameisterschaft zu verfolgen. Deshalb werde ich mir wahrscheinlich nur wenige Spiele anschauen.« Es fehlten einfach die Menschenmassen, die bei einem solch großen Sportwettbewerb dazugehörten. Zudem vermisst er die Stimmung in den Stadien, weil es kein Publikum gebe. Corona habe dazu geführt, dass sich die Menschen einfach sehr zurückgezogen hätten.
»Uns interessiert Fußball normalerweise sehr«, sagt Jochen Breitfeld, der mit Freunden und Freundinnen in Reutlingen unterwegs ist. »Aber jetzt ist das irgendwie weg - wegen Corona.« Da seien andere Sachen und auch andere Sportarten interessanter geworden. Dass die Profifußballer trotz Corona-Krise fast ohne Einschränkungen weitermachen durften, fühle sich schon schwer nach Sonderbehandlung an, meint er und fügt hinzu: »Sie geben sich auch immer weniger Mühe, die weiter fortschreitende Kommerzialisierung des Fußballs zu verbergen. Das muss man nicht unterstützen.«
Anuk Petzold ergänzt: »Der Fußball war sportlich zuletzt nicht mehr so toll. Ich bin dann vor dem Fernseher auch auf andere Sportarten umgestiegen. Tennis, Handball oder Eishockey. Das war schön anzusehen.« (GEA)