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Aktuell Live-Ticker

Warnstreiks in Reutlingen: Wertschätzung eingefordert

Die Warnstreiks der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi im öffentlichen Dienst haben am Mittwoch Wirkung. Betroffen sind zahlreiche Einrichtungen in Reutlingen und der Region von der Klinik bis zur Müllabfuhr. Hier im Live-Ticker berichten wir über den Streiktag bis zur Kundgebung auf dem Marktplatz.

Mit Abstand, aber dennoch vereint, protestieren ganz unterschiedliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes
Mit Abstand, aber dennoch vereint, protestieren ganz unterschiedliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Foto: Stephan Zenke
Mit Abstand, aber dennoch vereint, protestieren ganz unterschiedliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes.
Foto: Stephan Zenke

14 Uhr Was sagt eigentlich Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck zu den Warnstreiks? Aus der städtischen Pressestelle kommt folgende Stellungnahme: »Die Beschäftigten des öffentlichen Diensts haben während der Corona-Krise Hervorragendes geleistet und sind dabei vielfach bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und darüber hinaus gegangen. Angesichts der aktuellen Entwicklung im Pandemie-Geschehen ist es sehr wahrscheinlich, dass die Bürgerschaft auch weiterhin auf diese Leistungsbereitschaft angewiesen sein wird. Ich wünsche mir daher faire Tarifabschlüsse, in denen auch die Wertschätzung für die unter Pandemie-Bedingungen erbrachten Leistungen zum Ausdruck kommt«. 

Und Thomas Keck weiter: »Die Tarifverhandlungen müssen im Corona-Jahr 2020 mehr denn je mit Bedacht und Fingerspitzengefühl geführt werden. Ulrich Mägde, dem Verhandlungsführer der kommunalen Arbeitgeber, der als Lüneburger Oberbürgermeister die besonderen Belastungen der Beschäftigten des öffentlichen Diensts aus eigener Anschauung kennt, traue ich das zu. Denn er kennt auch die gewaltigen finanziellen Herausforderungen, vor der gerade die Kommunen in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise stehen. Ich bin zuversichtlich, dass am Ende der Verhandlungen ein für alle Beteiligten zufriedenstellendes und zukunftsfähiges Ergebnis stehen wird.«

12:30 Uhr Das war's auf dem Marktplatz. Nach dem offiziellen Ende der Kundgebung werden noch Gruppenfotos gemacht. Nach Angaben der Veranstalter waren über 600  Menschen bei der Demonstration dabei.

12:04 Uhr Im mittlerweile strömenden Regen fordert Benjamin Stein kurz vor dem Ende der Kundgebung dazu auf, alle Kolleginnen und Kollegen anzusprechen, »die heute nicht dabei waren«. Denn sollten die Arbeitgeber demnächst kein akzeptables Angebot vorlegen, werde man wieder auf die Straße gehen. Das ist eine klare Ansage in Richtung der Verhandlungsführer auf der anderen Seite.

11:30 Uhr Die Hauptrede der Kundgebung hält Sylvia Bühler vom Verdi-Bundesvorstand. »Der öffentliche Dienst hat gerade in der Pandemie gezeigt, wie wichtig er ist«, ruft sie in die Menge. Daher die Forderungen nach einer »angemessenen Lohnerhöhung mit einer starken Komponente für die unteren und mittleren Gehaltsgruppen«. Klatschen vom Balkon reiche eben nicht. Deswegen fordere die Gewerkschaft auch »300 Euro für Pflegekräfte zusätzlich« sowie bessere Regelungen für die belastende Arbeit in Wechselschichten. Die Warnstreiks an sich seien ein Zeichen dafür, »dass sich die Arbeitgeber verrechnet haben. Die haben gedacht, dass sich die Beschäftigen in der Krise nicht wehren werden«.

11 Uhr Moritz Stipert, Regionssekretär vom DGB in Reutlingen, beschreibt in seiner Rede wer von der Corona-Krise profitiert hat, und wer mit seiner Hände Arbeit die Gesellschaft am Laufen gehalten hat. »Jeff Bezos (der Amazon-Chef) hat an einem Tag 13 Milliarden verdient... währenddessen sollt ihr eine Nullrunde über Jahre hinlegen«. Zustimmende Pfiffe auf dem Markplatz. »Wer hat während Corona Kranke und alte Menschen betreut, wer hat sich für die Kinder etwas ausgedacht, damit die Kitas wieder öffnen können«, lobt Stipert das Engagement im öffentlichen Dienst.

Sylvia Bühler vom Verdi-Bundesvorstand fordert mehr Wertschätzung für die Beschäftigten.
Sylvia Bühler vom Verdi-Bundesvorstand fordert mehr Wertschätzung für die Beschäftigten. Foto: Stephan Zenke
Sylvia Bühler vom Verdi-Bundesvorstand fordert mehr Wertschätzung für die Beschäftigten.
Foto: Stephan Zenke

10:45 Uhr Die Kundgebung auf dem Marktplatz beginnt. Mit Abstand betrachtet ist der Platz gut gefüllt. »Wir möchten kein Studentenfutter, wir möchten eine echte Aufwertung«, sagt die erste Rednerin, »bei uns ist auch nichts los, wenn wir kein Moos haben«.

10:22 Uhr Vom Klinikum auf dem Steinenberg setzt sich einer von vielen Demonstrationszügen in Richtung Marktplatz in Bewegung. Ganz vorne ein Transparent der »Tarif Rebellinen«, doch auch die anderen schätzungsweise über 100 Teilnehmer der Prozession wirken rebellisch: »Heute ist kein Arbeitstag, heute ist Streiktag«. Als ein Rettungswagen mit Blaulicht den Berg abwärts fährt, machen alle ganz fix Platz - und klatschen Beifall.

»So nicht«, da sind sich die Demonstranten auf dem Marktplatz einig.
»So nicht«, da sind sich die Demonstranten auf dem Marktplatz einig. Foto: Stephan Zenke
»So nicht«, da sind sich die Demonstranten auf dem Marktplatz einig.
Foto: Stephan Zenke

9:51 Uhr Fiona ist vier Jahre jung, und hat keine Ahnung was »Streik« ist - aber gemeinsam mit ihrem Vater und Großvater steht sie recht vergnügt vor den Stadtwerken, und trägt sichtlich stolz eine gelbe Gewerkschaftsweste. Warum sie hier ist? Klar, ihr Kindergarten wird ebenfalls bestreikt. Was Fiona in der Hand hält, ist eine Verdi-Fächerklapper aus Pappe, mit der man so richtig schön Lärm machen kann. Die sonst üblichen roten Trillerpfeifen sind hier vorsichtshalber in viralen Zeiten nicht im Einsatz. In Hörweite nimmt ein FairEnergie-Mitarbeiter einen Anruf entgegen, und muss leider absagen. »Nein, heute geht's nicht, wir streiken«.

Platz und Beifall für den vorbeifahrenden Rettungswagen.
Platz und Beifall für den vorbeifahrenden Rettungswagen. Foto: Stephan Zenke
Platz und Beifall für den vorbeifahrenden Rettungswagen.
Foto: Stephan Zenke

9 Uhr Auf ihren Masken steht ein Wort: »Unverzichtbar«. Genau das werden viele Badegäste heute bestätigen, denn ohne die junge Fachabgestellte für Bäderbetriebe und ihre um sie herum stehenden Kolleginnen und Kollegen war's das mit dem Vergnügen in sämtlichen Reutlinger Bädern. Gemeinsam mit vielen anderen stehen sie statt am Beckenrand vor den Toren der Stadtwerke in Betzingen. »Wir sind solidarisch«, sagt die Frau, die ihren Namen lieber nicht nennen möchte. Solidarisch mit allen Arbeitnehmern, die zu schlecht bezahlt würden oder sogar von Kündigungen bedroht seien. Gestreikt habe sie schon mehrmals, »aber jetzt sind die Bäder erstmals geschlossen«. Kritik am Arbeitskampf kann sie nicht verstehen - »Pandemie hin und Krise her«.

8:35 Uhr »Ich finde es skandalös, was die Arbeitgeber betrieben haben«, empört sich  der Personalratsvorsitzende der Stadt, Joachim Edenhuizen, »die Gewerkschaften wollten die Tarifrunde ja mit einer Einmalzahlung aussetzen, um die Bevölkerung in der Krise nicht noch mehr zu belasten. Dieses Angebot wurde abgelehnt und wir damit gezwungen auf der Straße zu stehen«, betont er. Es wäre bei dieser Einmalzahlung »so um die 300 Euro pro Beschäftigten gegangen«.

8:18 Uhr Die Stimmung der Streikenden ist kämpferisch und selbstbewußt, aber ihren Namen wollen viele weder in der Zeitung noch im Netz lesen. »Ein Fehler ist es nicht zu streiken«, meint ein Straßenbauer. Normalerweise hätte er an diesem Mittwoch auf der Pomologie Pflastersteine verlegt. »Nicht nachgeben«, fordert der Mann für die dritte Verhandlungsrunde. »Ich find's gut. Es geht um unsere Zukunft und die unserer Kinder«, sagt der Fahrer eines Müllwagens. Seine Tour hätte ihn normalerweise durchs Betzenried geführt, aber er versteht keinesfalls Kritik an den Warnstreiks: »Wir sind sonst jeden Tag für die Bürger draußen«.

Fiona hat mit ihren vier Jahren keine Ahnung, was »Streik« ist. Aber gemeinsam mit ihrem Großvater scheint es Spaß zu machen.
Fiona hat mit ihren vier Jahren keine Ahnung, was »Streik« ist. Aber gemeinsam mit ihrem Großvater scheint es Spaß zu machen. Foto: Stephan Zenke
Fiona hat mit ihren vier Jahren keine Ahnung, was »Streik« ist. Aber gemeinsam mit ihrem Großvater scheint es Spaß zu machen.
Foto: Stephan Zenke

8 Uhr »Wieviele Stunden hättest Du heute gearbeitet«, fragt Özge Aygün als Gewerkschaftssekretärin hinter Plexiglas mit Mundschutz einen nach dem anderen, der sich in die Streiklisten eintragen lässt. »Damit alle Streikgeld kriegen«, erklärt Aygün. Das deckt den Gehaltsausfall, und wer Kindergeld bezieht kriegt noch einen Zuschlag. Vor dem improvisierten Büro steht eine Kiste mit Mundmasken.

7:35 Uhr Sylvia Bühler spricht den Streikenden mit Mundschutz Mut zu. Gerade in der Pandemie habe sich gezeigt, wie wichtig die Menschen im öffentlichen Dienst sind. Da sei es mehr als gerechtfertigt, wenn die »Helden der Krise« anständig bezahlt werden. Passend dazu steht auf einem Transparent »Wir sind die Guten«.

Gewerkschaftssekretärin Özge Aygün führt die Streiklisten.
Gewerkschaftssekretärin Özge Aygün führt die Streiklisten. Foto: Stephan Zenke
Gewerkschaftssekretärin Özge Aygün führt die Streiklisten.
Foto: Stephan Zenke

7:30 Uhr »Mir ist wichtig, dass wir gemeinsam streiken«, ruft Benjamin Stein in die Menge, »die Situation ist nicht einfach. Wir haben uns den Streik nicht gewünscht«, so der Gewerkschafter. »Die Arbeitgeber haben uns aber unverhohlen ins Gesicht gesagt, wir würden nicht streiken«, berichtet Stein. Nochmals eine lange Laufzeit und eine schlechte Gehaltserhöhung werde man nicht hinnehmen.

7:20 Uhr Ein weißer Kombi fährt vor. Benjamin Stein, Bezirksgeschäftsführer von Verdi im Bezirk Fils Neckar-Alb kommt zu den Streikenden, und hat Sylvia Bühler vom Bundesvorstand der Gewerkschaft mitgebracht.

Im Morgengrauen stehen die Streikenden vor dem Betriebshof der Technischen Betriebsdienste der Stadt Reutlingen.
Im Morgengrauen stehen die Streikenden vor dem Betriebshof der Technischen Betriebsdienste der Stadt Reutlingen. Foto: Stephan Zenke
Im Morgengrauen stehen die Streikenden vor dem Betriebshof der Technischen Betriebsdienste der Stadt Reutlingen.
Foto: Stephan Zenke

7:15 Uhr Seit 5.30 Uhr stehen vor dem Betriegsgelände der Technischen Betriebsdienste Reutlingen die Streikenden. Es ist dunkel, es regnet, es ist kühl - streiken ist kein Vergnügen. »Der ganze Betrieb steht, sämtliche 300 Mitarbeiter sind im Streik«, sagt Joachim Edenhuizen als Personalratsvorsitzender der Stadt Reutlngen. Das bedeutet heute keine Müllabfuhr, keine Stadtreinigung und vieles mehr.

Wo wird überall gestreikt

Kreiskliniken: An den Kreiskliniken Reutlingen legen Beschäftigte an den Standorten Klinikum am Steinenberg Reutlingen, Ermstalklinik Bad Urach und Albklinik Münsingen ihre Arbeit nieder. Zur Sicherstellung der Patientenversorgung wurde zwischen Ver.di und den Kliniken eine Notdienstvereinbarung abgeschlossen. Über die reine Notfallversorgung hinaus, die jederzeit gewährleistet ist, kann es bei geplanten Patientenbehandlungen und Operationen zu Verschiebungen kommen. Patienten sollten sich deshalb vor ihrem Mittwoch-Termin bei der jeweiligen Klinik erkundigen, ob dieser stattfindet.

Technische Betriebsdienste (TBR): Die Müllabfuhr fällt in einigen Bezirken aus. Betroffen sind die Abfallbezirke 1A (Oststadt), 1B (Altstadt), 4 (Burgholz/Achalmgebiet), 7 (In Laisen), 9 (Betzenried), 10 (Tübinger Vorstadt), 21(Oferdingen), 23 (Reicheneck). Betroffene Haushalte können die dadurch entstandenen Mehrmengen bei der nächsten regulären Abfuhr neben den Behältern bereitstellen. Restmüll sollte dafür in stabile Kunststoffsäcke gefüllt werden. (keine Gelben Säcke). Papier kann gebündelt neben die blaue Tonne gestellt werden. Überschüssiger Papierabfall kann überdies auf dem Häckselplatz in Betzingen abgegeben werden.

Für zusätzliche Bioabfälle sind unbeschichtete Jutesäcke, wie man sie von der Grüngutabfuhr kennt, die beste Bereitstellungsform. Einwandige Papiersäcke werden ebenfalls mitgenommen. Der Wertstoffhof Reutlingen-Schinderteich sowie der Reutlinger Häckselplatz sind ebenfalls vom Streik betroffen, die Abfuhr der gelben Säcke dagegen nicht.

Stadtwerke Reutlingen: Die Verwaltung der Stadtwerke Reutlingen sowie die Reutlinger Bäder werden bestreikt. Die Bäder bleiben am Mittwoch geschlossen, das Schul- und Vereinsschwimmen ist davon nicht betroffen. Mitarbeiter der Netzleitstelle und des Bereitschaftsdienstes sind im Einsatz. Damit sei der Betrieb der Netze und Anlagen sowie die Bearbeitung von eingehenden Störungsmeldungen gewährleistet, versichern die Stadtwerke. Störungsmeldungen nimmt die Netzleitstelle (07121 5823222) entgegen.

Kindertagesstätten: Auch in den Reutlinger Kindertageseinrichtungen wird am Mittwoch gestreikt. Im Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen können wegen der aktuellen Coronaverordnung keine einrichtungsübergreifenden Notbetreuungsplätze angeboten werden. Diese Plätze gibt es ausschließlich in der jeweiligen Stammeinrichtung. Die betroffenen Eltern wurden per Elternbrief informiert. 

Was Verdi fordert

ver.di fordert für die 2,3 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen eine Anhebung der Einkommen um 4,8 Prozent, mindestens aber 150 Euro pro Monat, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Bezahlung von Azubis und Praktikant*innen soll um 100 Euro pro Monat angehoben werden. Erwartet wird die Ost-West-Angleichung der Arbeitszeit. Darüber hinaus soll in den Tarifverhandlungen das Thema der Entlastung der Beschäftigten behandelt werden. (GEA)