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Streit in Reutlinger Asylbewerberunterkunft: Ging es um Drogengeschäfte?

In einer Reutlinger Asylbewerberunterkunft verletzte ein Syrer einen Gambier mit einem Tischbein

Eine Statue der Justitia hält eine Waage in der Hand
Eine Statue der Justitia hält eine Waage in der Hand. Foto: David-Wolfgang Ebener/dpa/Archivbild
Eine Statue der Justitia hält eine Waage in der Hand. Foto: David-Wolfgang Ebener/dpa/Archivbild

REUTLINGEN. Der eine sagt, es ging um Drogen, der andere streitet dies ab. In jedem Fall gerieten sich zwei Asylbewerber aus Syrien und Gambia im Oktober 2019 in einer Reutlinger Unterkunft ordentlich in die Haare. Im Verlauf des Streits griff sich der Syrer ein Tischbein, aus dem eine Schraube herausragte, schlug vermutlich auf seinen Widersacher zweimal ein und verletzt ihn schwer an Kopf und Hand. Seit Montag muss sich der Schläger wegen versuchten Mordes vor der 5. Schwurgerichtskammer des Tübinger Landgerichts verantworten.

Zwei Versionen der Geschichte

Wie so oft in solchen Fällen gibt es zwei Versionen von der Geschichte. Der 40-jährige Angeklagte behauptete gestern, dass Drogen der Grund für die Auseinandersetzung gewesen seien. Der Asylbewerber aus Gambia habe ihm öfters kleinere Mengen an Marihuana verkauft. Das letzte Päckchen sei aber von minderer Qualität gewesen, deshalb habe er die 20 Euro für das Rauschgift nicht zahlen wollen.

Dieser Streit um den Preis schwelte nach seiner Aussage einige Zeit. Am 18. Oktober vergangenen Jahres eskalierte er schließlich. Nach den Schilderungen des 40-Jährigen habe der Gambier ihn in der Küche der Unterkunft erst beschimpft und später dann vor seinem Zimmer geschlagen. Auch habe er ihn so heftig gegen den Türrahmen geschubst, dass er bis heute Rückenschmerzen habe, erklärte der Angeklagte.

Um sich gegen die Schläge des Gambiers zu wehren, will der Syrer dann das knapp 60 Zentimeter lange Tischbein aus seinem Zimmer geholt haben. Er habe aber nur einmal zugeschlagen, gab der 40-Jährige an. Er habe auch nicht gewusst, dass aus dem Tischbein eine Schraube herausragte. Das will er erst wahrgenommen haben, als diese Schraube in der Hand seines Kontrahenten steckte.

Am Montag zeigte der Vorsitzende Richter Ulrich Polachowski das Corpus Delicti vor. Die Schraube war sehr deutlich zu sehen, schwer vorstellbar, dass man sie, selbst im Eifer des Gefechtes, nicht wahrnimmt. Freunde des Gambiers sollen auch noch eingegriffen und ihn mit einem Stuhl attackiert haben, so der Syrer.

Die Erzählungen des Angeklagten weisen an manchen Stellen einige Ungereimtheiten auf. Zum Beispiel: Wie soll der Angegriffene seine Kopfplatzwunde, die später im Krankenhaus genäht werden musste, erlitten haben, wenn nicht durch das Tischbein? Der Drogenhintergrund, den der Angeklagte vorgibt, ist allerdings nicht so weit hergeholt. Der 24-jährige Gambier wurde 2017 zweimal von der Polizei wegen Drogenhandels mit kleineren Mengen aufgriffen.

Am Montag wies der 24-Jährige solche Geschichten aber weit von sich. 2017, ja, aber seitdem habe er mit Drogen nichts mehr zu tun. Der Angriff mit dem Tischbein sei »völlig unerwartet« gekommen, einen Streit habe es vorher nicht gegeben. Auch habe er den 40-Jährigen nicht geschlagen. Der Syrer sei in der Asylbewerberunterkunft vorher schon als aggressiv aufgefallen.

Andere Bewohner hätten sich auch über ihn beklagt. Mit einer Reihe von Zeugen und Sachverständigen versucht die Schwurgerichtskammer nun herauszufinden, welche der beiden Geschichten stimmt. Näheres erfuhr sie am Montag über das Leben des Angeklagten. Der 40-Jährige, der weder lesen noch schreiben kann und auch keinen Beruf erlernt hat, stammt aus der Gegend von Aleppo. Wegen des Krieges dort floh er mit seiner Familie in den Libanon.

Urteil am Donnerstag

Später habe er dann in der Türkei gearbeitet, berichtete der Angeklagte. Von dort reiste er nach Deutschland. Er habe später seine Frau und drei Kinder nachkommen lassen wollen, was aber nicht geklappt habe, weil er hier keine Aufenthaltserlaubnis erhalten habe.

Inzwischen bezeichnet er seine Flucht nach Deutschland als »größten Fehler«. »Ich hätte meine Familie nicht alleine zurücklassen sollen«, meinte er. Er wolle jetzt so schnell wie möglich wieder nach Hause zurück. Mit einem abschließenden Urteil ist am kommenden Donnerstag zu rechnen. (GEA)