REUTLINGEN. Erzieherinnen sind ein rares Gut: »Der sozialpädagogische Arbeitsmarkt ist leer gefegt«, bestätigte die Tübinger Erziehungswissenschaftlerin Dr. Gabriele Müller dem GEA in einem Interview vor Kurzem zur Lage in den Kitas. Sie fürchtete sogar, dass das Kita-System vor dem Kollaps steht. Eine Einschätzung, der Sozialamtsleiter Joachim Haas in der Sitzung des Verwaltungs-, Kultur- und Sozialausschusses (VKSA), was die Stadt betrifft, ausdrücklich widerspricht: »Das Kita-System steht in Reutlingen definitiv nicht vor dem Kollaps.«
Viele Wege zum Erzieherberuf
Derzeit seien nur 40,9 Stellen vakant, das entspricht rund neun Prozent. »Das ist eine Entwicklung, die mich optimistisch stimmt«, sagt Haas. Mehr noch, er ist sicher: »Die Notlage wird sich beruhigen.« Denn auch um den beruflichen Nachwuchs sei es in der Stadt momentan gut bestellt. »122 Personen befinden sich in der Ausbildung zum Erzieher«, so Haas. Ein Wert, der »gigantisch gut ist«, wie er betont.
Dabei decke die Stadt das komplette Ausbildungsspektrum ab: So gibt es die praxisintegrierte Ausbildung (PiA) mit 37 Azubis, die klassische schulische Ausbildung mit Praxisjahr (19), die duale Hochschule (4), die Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistenz (28) und die neue zweijährige Ausbildung, den »Direkteinstieg Kita« (22). Zusätzlich befinden sich momentan zwölf Fachkräfte aus dem Ausland im Anpassungslehrgang.
Gerade der Direkteinstieg hat jedoch bei einigen Erzieherinnen zu harscher Kritik geführt. Nach der Juli-Sitzung des VKSA, in der Haas berichtete, dass man künftig mehr auf diese Direkteinsteiger setzen und auch Nicht-Fachkräfte im Personalschlüssel anrechnen wolle, hat eine Gruppe von Erzieherinnen der GEA-Redaktion eine schriftliche Stellungnahme geschickt und ihre Kritikpunkte außerdem in einem Treffen erläutert.
Unter anderem kritisierten sie die kürzere Ausbildungszeit in diesem Pilotprojekt des Landes, die Folgen für die Qualität der Arbeit habe. »Früher hatte der Beruf ein höheres Niveau unter den Fachkräften«, heißt es in dem Schreiben. Statt in drei bis vier Jahren wie bei der klassischen Ausbildung werden bei diesem Direkteinstieg Menschen, die zuvor einen anderen Beruf erlernt haben, in zwei Jahren zum Erzieher ausgebildet.
Dennoch, das ist Haas erneut wichtig, klarzustellen, sind sie nach diesen zwei Jahren ausgebildete Fachkräfte - und als solche werden sie dann auch eingestellt. »Wenn wir jemanden als Fachkraft ausbilden, setzen wir ihn auch so ein.« Der Direkteinstieg sei eine Ausbildung wie viele andere auch. Nach zwei Jahren sind es sozialpädagogische Assistenzkräfte (früher bekannt unter dem Titel Kinderpflegerin) und wer wolle, könne noch ein drittes Jahr dranhängen und trage dann den Titel Erzieher.
Stadt setzt weiter auf Qualität
Dass es, wie die Erzieherinnen, sagten, »fast nur kritische Rückmeldungen« gegeben habe, könne er nicht bestätigen. Außerdem wurde im Vorfeld mit den Kita-Leitungen darüber gesprochen, auch wie weit man Nichtfachkräfte anrechne. Hier habe die Stadt eine Deckelung von zehn Prozent beschlossen, zudem könne jede Einrichtung entscheiden, wie sie dies handhabt. »Wir wollen die Qualität halten«, wiederholt Haas, was er im Juli bereits versichert hat.
Die Behauptung, dass die Mitarbeiter aus der Presse erfahren hätten, dass die Stadt künftig verstärkt auf Quereinsteiger setzen wolle, weist Haas zurück. »Wir haben allen Mitarbeitern eine Woche vor der Sitzung des VKSA einen Brief geschrieben«, stellt er klar. »Alles andere würde nicht unserer Vorgehensweise entsprechen.«
Zudem lobt er die zusätzlichen Kräfte - derzeit sind es bereits 25 - die in den Reutlinger Kitas helfen und unterstützen. »Das sind Topleute, meist im mittleren Alter, die bereits Berufserfahrung haben und die wissen, was sie wollen.« Und die Mitarbeiter, die sie ausbilden, leisten beste Arbeit, versichert er.
Quereinstieg auch in der Verwaltung möglich
Humorvoll kontert der Sozialamtsleiter übrigens die ironische Frage der Erzieherinnen, ob sie dann künftig auf der Stadt arbeiten könnten. Wenn sie in städtischen Kitas arbeiten würde, täten sie das ja bereits, so Haas. Beziehe sich die Frage auf die Arbeit im Rathaus, könne er auch dies bejahen. Sogar ein Quereinstieg als Leiter des Sozialamtes sei möglich, versichert Haas. Auch er sei nämlich Quereinsteiger, von Haus aus sei er Diplom-Pädagoge und -Theologe, verrät er schmunzelnd. (GEA)

