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Aktuell Corona

Sorge um die Finanzierung sozialer Einrichtungen in Reutlingen

Beate Müller-Gemmeke spricht mit Vertretern sozialer Einrichtungen über die Situation während Corona

Eines der vielen Probleme: Die  Notübernachtungsstellen können wegen Corona nur noch zur Hälfte belegt werden.  FOTO: MEY
Eines der vielen Probleme: Die Notübernachtungsstellen können wegen Corona nur noch zur Hälfte belegt werden. FOTO: MEY
Eines der vielen Probleme: Die Notübernachtungsstellen können wegen Corona nur noch zur Hälfte belegt werden. FOTO: MEY

REUTLINGEN. Im April hatte Beate Müller-Gemmeke sich schon einmal mit der Situation der sozialen Einrichtungen während des ersten Corona-Lockdowns auseinandergesetzt. »Ein rundes halbes Jahr später will ich heute noch einmal reinhören, wie es im Sommer war, wie es weitergeht und welche Wünsche an die Politik da sind«, sagte die Bundestagsabgeordnete der Grünen beim Online-Gespräch. »Während der Baff-Freizeiten konnten alle Beteiligten zumindest ein wenig vergessen, was jetzt auf uns zukommt«, sagte Stefanie Krug, als Nachfolgerin von Rose Henes nun zuständig für Bildung, Aktion, Feste, Freizeit (Baff), den familienunterstützenden Dienst (Feder) und Kaffeehäusle ist.

Dr. Joachim Rückle, Geschäftsführer des Reutlinger Diakonieverbands, nannte eine der Corona-Folgen: »Die Anfragen bei uns in der Beratung ziehen deutlich an, sowohl in der Sucht-, der Schuldner- und auch der Erziehungsberatung.« Eine gewichtige Frage in den Zeiten von Corona sei die der künftigen Finanzierung der sozialen Arbeit. So manche Angebote der sozialen Träger würden von Landkreis und Stadt als »Freiwilligkeitsleistungen« bezeichnet. Ganz in dem Stil, »dass man sich soziale Arbeit erst mal leisten können müsse«. Das dürfe nicht sein. »Bei den Wahnsinnssummen, die in Bereichen der Wirtschaftsförderung und Kurzarbeit ausgegeben werden, spricht niemand von Freiwilligkeitsleistungen«, sagte Joachim Rückle. Auch Ulrich Högel, Geschäftsführer der Reutlinger Arbeiterwohlfahrt, äußerte sich besorgt. »Es ist noch nicht klar, ob ein Schutzschirm für die Kommunen kommt.« Deshalb fürchte er auch um die Gegenfinanzierung bei Investitionen der freien Träger im sozialen Bereich.

»Im Bund ist aber einiges beschlossen worden. Mit dem Paket waren wir Grünen eigentlich zufrieden«, sagte Müller-Gemmeke. Högel stimmte zu. »Die ersten Engpässe sind behoben worden, allerdings habe ich Sorgen für das kommende Jahr.«

Heike Hein, Mitarbeiterin der AWO, berichtete über die Arbeit vor Ort und dass wegen Corona nur noch die halbe Bettenzahl in den Notübernachtungen für Wohnungslose genutzt werden konnte. »Das machte zusätzliche Kapazitäten erforderlich.« Zusätzliche Räume seien beschafft worden, ebenso wie die Möglichkeit – im Zusammenspiel mit der GWG – eine Wohnung für die Isolation von infizierten Wohnungslosen bereitzustellen. Aber: »Die AWO muss für die Versorgung der Personen sorgen.« Eindeutig gezeigt habe sich jetzt in Corona-Zeiten: »Unsere Klienten brauchen uns, deshalb halten wir auch alle Angebote aufrecht, aber unter Einschränkungen«, sagte Heike Hein. Eine weitere Erkenntnis: »Viele Menschen sind jetzt schon einsam, die Weihnachtszeit wird auch für uns eine große Herausforderung.«

Stefanie Krug schließlich berichtete über den Straßenverkauf, den das Kaffeehäusle wieder aufgenommen hat. Natürlich sei es beim familienunterstützenden Dienst schwierig, alle Pflegegespräche nur noch telefonisch zu führen. »Aber wir machen so viel wie möglich per Telefon.«

Das Baff-Programm fürs zweite Halbjahr sei trotz aller Schwierigkeiten begonnen worden. »Als das Hallenbad zumachte, wurde daraus, flexibel, wie wir sind, ein Trockenschwimmkurs im Park.« Und das aus dem einfachen Grund heraus, weil die Kontakte für die Nutzer der Angebote enorm wichtig seien. »Wir kommen aber mit dem Willen, alles offen zu halten, an Grenzen«, so Krug. Dann erfolgte vom Land die Weisung, im November alle Freizeitangebote abzusagen. »Jetzt kam die Meldung, dass wir unter dem Begriff der sozialen Fürsorge doch wieder aufmachen könnten – das Hin und Her bringt uns an den Rand der Kapazitäten und des Verständnisses, weil alle Angebote mit Aufwand verbunden sind.«

Schwieriges Abwägen

Beate Müller-Gemmeke entgegnete, dass die gesamte Gesellschaft vor dem Problem der rasant steigenden Corona-Infektionszahlen stehe. »Die Kontakte zwischen den Menschen müssen reduziert werden, schließlich ist bei 75 Prozent aller Infizierten nicht bekannt, wo sie sich infiziert haben.« Das Abwägen, wo die Reduzierung der Kontakte vorgenommen werden kann, »ist eine ganz schwierige Debatte – wo soll man eingreifen, am liebsten nirgendwo, aber das Ergebnis wollte dann auch niemand haben«, so die Grünen-Politikerin. (nol)