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Reutlinger Fenstersturz: Muss Angeklagter lange in Haft oder kommt er frei?

Prozess um Reutlinger Fenstersturz und Vergewaltigung: Staatsanwalt will angeklagten Asylbewerber für zwölf Jahre hinter Gittern sehen, Verteidigerin fordert Freispruch.

Tübinger Landgericht will im Prozess um den Fenstersturz und die Vergewaltigung vor der Reutlinger Asylbewerberunterkunft in der
Tübinger Landgericht will im Prozess um den Fenstersturz und die Vergewaltigung vor der Reutlinger Asylbewerberunterkunft in der Ringelbachstraße am kommenden Montag ein Urteil fällen. Foto: Arne Dedert/dpa/dpa
Tübinger Landgericht will im Prozess um den Fenstersturz und die Vergewaltigung vor der Reutlinger Asylbewerberunterkunft in der Ringelbachstraße am kommenden Montag ein Urteil fällen.
Foto: Arne Dedert/dpa/dpa

REUTLINGEN. Im Prozess um den Fenstersturz und die mutmaßliche Vergewaltigung vor der Asylbewerberunterkunft in der Reutlinger Ringelbachstraße gab es am Mittwoch zwei sehr unterschiedliche Plädoyers. Während Staatsanwalt Dr. Florian Fauser zwölf Jahre Haft für den Angeklagten fordert, will Verteidigerin Maria Tunc für ihren Mandanten einen Freispruch. Die Schwurgerichtskammer des Tübinger Landgerichts wird kommende Woche Montag ein Urteil verkünden.

Fauser hat keine Zweifel, dass der 30-jährige Afghane seinen Landsmann am 6. November 2024 aus einem Fenster der Unterkunft gestoßen hat. Bei der Polizei, gegenüber einem Zeugen wie auch am Montag vor Gericht hat das Opfer dies auch so geschildert. Nur gegen Ende seiner Aussage vor der Schwurgerichtskammer sprach er plötzlich davon, vielleicht auch selbst aus dem Fenster gesprungen zu sein.

Versuch der Einschüchterung

Dies geschah allerdings erst, nachdem der Angeklagte den 27-Jährigen im Gerichtssaal angefahren und ihm vorgehalten hatte, er sei doch selbst gesprungen. »Dies war ein Versuch der Einschüchterung«, legte sich Fauser fest. Das Opfer habe nach der Aktion des Angeklagten im Gerichtssaal Angst bekommen.

Warum der Angeklagte den 27-Jährigen durch das Fenster geschubst hat, dafür hat Fauser keine Erklärung: »Es gibt keinen Grund dafür«. Geplant sei diese Tat aber nicht gewesen, weshalb der Staatsanwalt auch nicht von einem versuchten Mord, sondern »nur« von einem versuchten Totschlag ausging.

»Ich sehe das komplett anders«, meinte dagegen Verteidigerin Maria Tunc. Es sei überhaupt nicht nachgewiesen, dass der Angeklagte seinen Freund aus dem ersten Obergeschoss sieben Meter in die Tiefe gestoßen habe, »dafür gibt es keine wirklichen Anhaltspunkte«. Der 27-Jährige habe sich in seiner Aussage vor Gericht widersprochen. Ihre Erklärung: Der 27-Jährige sei möglicherweise betrunken gewesen, habe sich nicht mehr halten können und sei durch das offene Fenster runtergefallen.

Staatsanwalt: Geschlechtsakt gegen den Willen des Opfers

So unterschiedlich waren die Erklärungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung auch beim zweiten Anklagepunkt, der Vergewaltigung. Diese Tat könne »man sich in seinen schlimmsten Träumen nicht vorstellen«, sagte Fauser. Der Angeklagte habe sein schwer verletztes Opfer nach dem Fenstersturz aus dem Dunkeln 30 Meter direkt an die hell ausgeleuchtete Straße getragen. Auf einem Grünstreifen habe er sein Opfer vergewaltigt, obwohl laufend Autos, Fußgänger und Fahrradfahrer vorbeigekommen seien.

Fauser stützt sich auf die Aussagen mehrerer Zeuginnen, die das Geschehen auf dem Grünstreifen beobachtet hatten. Sie hatten den Eindruck, dass die sexuellen Handlungen nicht einvernehmlich gewesen seien. Zudem wurden am Körper des Opfers, das der 30-Jährige komplett ausgezogen hatte, Spermaspuren des Angeklagten gefunden. Auf Videoaufzeichnungen von Überwachungskamera sieht man auch, wie der Angeklagte sich selbst entkleidet. Fauser hat anhand der Zeugenaussagen wie auch der objektiven Spuren keinen Zweifel, dass der Geschlechtsakt gegen den Willen des Opfers, das vor Schmerzen geschrien habe, geschehen sei.

Lust- statt Schmerzensschreie?

Auch hier beschrieb die Verteidigerin ein völlig anderes Bild. Statt Schmerzensschreie könnten es doch auch Lustschreie gewesen sein, war sie der Auffassung. Es lasse sich nicht klären, ob der Geschlechtsverkehr einvernehmlich oder nicht einvernehmlich gewesen sei. Für die Verteidigerin stellte es offensichtlich kein Problem dar, dass zum Zeitpunkt des Geschehens das Opfer sehr schwer verletzt war und zudem an dem Novemberabend niedrige Temperaturen herrschten.

Zusätzlich zu den zwölf Jahren Haft forderte Staatsanwalt Fauser die Sicherungsverwahrung für den Angeklagten. Der 30-Jährige habe einen Hang zu schweren Straftaten und stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Und: »Stand heute ist keine Verhaltensänderung in Sicht«, so Fauser.

Im Gerichtssaal

Schwurgericht: Armin Ernst (Vorsitzender Richter), Julia Merkle, Benjamin Meyer-Kuschmierz. Schöffen: Cigdem Schaich, Georg Krug. Staatsanwalt: Dr. Florian Fauser. Verteidgung: Maria Tunc. Rechtsmedizin: Dr. Melanie Hohner. Psychiatrischer Sachverständiger: Dr. Thomas Ethofer.

Der psychiatrische Gutachter Dr. Thomas Ethofer hatte bei dem Angeklagten eine mögliche dissoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt. Die Notwendigkeit einer Unterbringung des 30-Jährigen in einer Entzugs- oder psychiatrischen Klinik sah Ethofer nicht. (GEA)