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Aktuell Pandemie

Reutlinger Einzelhandel und Gastronomie kritisieren Corona-Beschlüsse

Christian Wittel von »RT aktiv«, Uwe Grauer von der Reutlinger Gastro-Initiative und Wolfgang Epp von der IHK Reutlingen kritisieren die neuen Corona-Beschlüsse.

Wilhelmstraße in Reutlingen während des Lockdowns
Die menschenleere Wilhelmstraße in Reutlingen während des Lockdowns. Foto: Frank Pieth
Die menschenleere Wilhelmstraße in Reutlingen während des Lockdowns.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Ein sarkastisches Lachen. Das war die erste Reaktion von Christian Wittel, dem Vorsitzenden der Reutlinger Vereinigung »RT aktiv« des Einzelhandels, der Dienstleister und der Hotellerie sowie Uwe Grauer, dem Vorsitzenden der Reutlinger Gastro-Initiative (RGI), als sie der GEA nach ihrer Meinung zu den neuen Corona-Beschlüssen gefragt hat, die in der Nacht zum Donnerstag publik wurden. Auch Wolfgang Epp, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Reutlingen hält die Öffnungsschritte für »zu klein«. Für Hotellerie

und Gastronomie gebe es »keine direkte Öffnungsperspektive« und auch der Einzelhandel werde nicht wirklich anlaufen können, sagte Epp laut einer IHK-Pressemitteilung. »Das ist bitter und wird in den Branchen weiter für Unmut sorgen.«Stadt Reutlingen gut aufgestellt»In der Theorie ist die Lösung gut gemeint, aber in der Praxis nur schwer umzusetzen«, kritisierte Wittel. Die für eine Öffnung der Geschäfte vorgeschriebene stabile 7-Tage-Inzidenz von unter 50 ist im Landkreis Reutlingen nicht in Sicht. Die Marke wurde am Donnerstag wieder übertroffen. Shopping geht bei einer Inzidenz zwischen 50 und 100 dann nur mit Termin. Beim »Click & Meet« darf ein Kunde pro 40 Quadratmeter Verkaufsfläche in einem bestimmten Zeitraum einkaufen. »Für mich als Augenoptiker ist das bereits Standard«, sagte Wittel, der »Click & Meet« bei kleinen Unternehmen für umsetzbar hält, für größere aber kaum. Denn bei denen seien dann wohl in der Regel die Personal- und Betriebskosten höher als die Umsätze. Gleichzeitig kämen staatliche Hilfszahlungen nur spärlich an. »Es ist etwas besser geworden, aber einige warten immer noch.«

Stadt Reutlingen gut aufgestellt

Ein abschließendes Fazit zu den Maßnahmen wollte Wittel zunächst nicht ziehen, bevor nicht klar war, wie die Beschlüsse in Baden-Württemberg umgesetzt werden. Am Donnerstagabend wurde überraschend schnell entschieden, dass Stadt- und Landkreise mit niedrigen Infektionszahlen den Corona-Lockdown von Montag an stärker lockern dürfen. Wittels Hoffnung auf regionale Lockerungen wurden damit erfüllt. Denn er hält die Stadt Reutlingen für gut vorbereitet, etwa wenn es darum geht, Schnelltests zu organisieren. Auch in der digitalen Kontaktnachverfolgung sei die Stadt gut aufgestellt. »Wir haben seit vier Wochen ein Konzept in der Schublade, das auf den Einzelhandel anwendbar wäre.«

Auto-Demonstration in Reutlingen fordert Öffnung von Einzelhandel und Gastronomie
Mit einem Autokorso wurde zuletzt in Reutlingen für eine Öffnung der Gastronomie und des Einzelhandes demonstriert. Foto: Frank Pieth
Mit einem Autokorso wurde zuletzt in Reutlingen für eine Öffnung der Gastronomie und des Einzelhandes demonstriert.
Foto: Frank Pieth

Auch wenn Einzelhändler, Dienstleister und Hoteliers in der aktuellen Situation schwer gebeutelt sind, macht sich Wittel um die Gastronomen fast noch mehr Sorgen: »Die sind am längsten betroffen. Da wird mir regelrecht schwindelig, wenn ich daran denke, was mit unserer Gastronomie in Reutlingen passiert.« Wie dramatisch die Lage bei den RGI-Mitgliedern ist, kann Grauer noch nicht im Detail sagen. »Erst wenn wir wieder richtig öffnen dürfen, werden wir sehen, wo die Lichter ausbleiben.« Von der neuen Öffnungsperspektive seiner Branche ist Grauer »nicht gerade begeistert«. Denn: »Wir haben keine echte Perspektive.« Frühestens in 14 Tagen dürfte die Außengastronomie öffnen, wenn die 7-Tage-Inzidenz im Kreis konstant unter 50 bleibt – womit aktuell nicht zu rechnen ist. Bei einer Inzidenz zwischen 50 und 100 dürfte dann draußen nur mit vorheriger Terminbuchung geöffnet werden – bei mehr als einem Haushalt nur mit Nachweis eines negativen Schnell- oder Selbsttests.Kein Verlass auf gutes Wetter»Niemand macht einen Test, wenn er sich nur mal schnell hinsetzen und einen Kaffee trinken will«, meinte Grauer. Die verbindliche Voranmeldung sieht er kritisch. »Unsere Branche lebt von Laufkundschaft.« Auch der Fokus auf die Außengastronomie stört ihn. »Auf gutes Wetter angewiesen zu sein, ist keine gute Voraussetzung. Die Außengastro allein ist nicht wirtschaftlich, man kann nicht kalkulieren. Wir wünschen uns daher, dass wir auch drinnen aufmachen dürfen.«

Clubhouse-Talk über Wege der Reutlinger Gastronomie aus dem Lockdown

Als Kompromiss seien die Gastronomen bereit, im Innenbereich den Abstand zwischen den Tischen noch größer zu halten als im ersten Lockdown, schlug Grauer am Donnerstagabend in einer Talk-Runde auf der Social-Media-App Clubhouse mit den Stadträten Sarah Zickler (FDP), Ana Sauter, Karsten Amann (beide Grüne und Unabhängige) und Sebastian Weigle (SPD) vor. Sebastian Keinath, Betreiber der Kaiserhalle und des Kupferäffle brachte Schnelltest-Stationen in der Innenstadt ins Spiel, kombiniert mit einer Reservierung, die die Kontaktverfolgung erleichtern würde. »RT aktiv« und RGI hätten dazu bereits ein Konzept entwickelt und dieses in einem Testrestaurant ausprobiert, sagte Keinath. »Wir stehen in den Startlöchern, wenn die Stadt die Teststationen bereitstellt.« Die anwesenden Stadträte unterstützten diese Idee.

Trotz des Frusts über die neuen Beschlüsse blicken Keinath und Grauer aber optimistisch in die Zukunft der hiesigen Gastronomie. Sie gehen davon aus, dass die Leute nach dem Lockdown große Lust haben, wieder auszugehen. Auch für dieses Jahr haben die beiden die Hoffnung nicht aufgegeben, den Reutlingern etwas bieten zu können. Keinath ist in Verhandlungen mit der Stadtverwaltung, im Sommer eine Pop-up-Location an der Planie betreiben zu dürfen. Und wenn die Genehmigung erteilt wird, eröffnen er und Grauer, wenn möglich ab Mai, einen Beach-Club an der Echaz. (GEA)