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Aktuell Prävention

Polizeipräsidium Reutlingen startet Kampagne »Vorsicht Abzocke«

Wie das Polizeipräsidium Reutlingen Trickbetrügern das Handwerk legen will.

Polizeipräsident Professor Alexander Pick und Kriminaloberrätin Martina Kaplan präsentieren den Flyer,  mit dem vor  Telefonbetr
Polizeipräsident Professor Alexander Pick und Kriminaloberrätin Martina Kaplan präsentieren den Flyer, mit dem vor Telefonbetrügern gewarnt wird. foto: niethammer
Polizeipräsident Professor Alexander Pick und Kriminaloberrätin Martina Kaplan präsentieren den Flyer, mit dem vor Telefonbetrügern gewarnt wird. foto: niethammer

REUTLINGEN/TÜBINGEN. Die Zahlen machen selbst erfahrene Polizeibeamte fassungslos: 2018 registrierte das Polizeipräsidium Reutlingen für die Landkreise Reutlingen, Esslingen und Tübingen 1 514 Fälle, in denen Betrüger vornehmlich ältere Menschen am Telefon durch perfide Manipulationen um Hab und Gut bringen wollten. Größtenteils blieb es beim Versuch. Aber in 66 Fällen waren die Betrüger, die von Callcentern aus ihre Strippen ziehen, erfolgreich.

Obwohl diese beiden Zahlen bestätigten, dass zwischenzeitlich 96 Prozent der Angerufenen den Betrugsversuch erkennen, lag die Schadenssumme in den drei Landkreisen im vergangenen Jahr annähernd bei 700 000 Euro. Das Fallzahlenniveau stieg fast um das Dreifache im Vergleich zu 2017. In Baden-Württemberg wurden mehr als 10 000 Fälle angezeigt. In tausend Fällen entstand Schaden in Höhe von mehr als elf Millionen Euro. Fast täglich melden Nachrichtenagenturen von geschröpften Rentnern, bei denen hohe Summen erbeutet wurden.

Die Scham ist groß

»Die Täter finden immer noch Opfer, die bereit sind, ihre Wertsachen den vermeintlichen Polizeibeamten oder Kurieren der angeblichen Angehörigen zu übergeben«, sagt Reutlingens Polizeipräsident Professor Alexander Pick, der von einer »astronomischen« Dunkelziffer spricht. Denn nicht immer melden sich Opfer, wenn sie abgezockt wurden. Entweder ist die Scham zu groß, einem Betrüger auf den Leim gegangen zu sein, oder Angst treibt die Senioren um, dass ihnen die Verwandtschaft Vorwürfe machen könnte. Denn im schlimmsten Fall wandert das gesamte Erbe in die Hände der Trickbetrüger.

Die Polizei setzt seit Jahren verstärkt auf Prävention. Es vergeht kaum ein Monat, in denen Zeitungen nicht entsprechende Pressemitteilungen veröffentlichen. Heute startet das Polizeipräsidium Reutlingen eine weitere Aktion. In Zusammenarbeit mit den Kreisseniorenräten Reutlingen, Esslingen, Tübingen und den drei Kreissparkassen, der Bäckerinnung Alb-Neckar-Fils, der Firma Bäko-AG und ausgewählten Bäckereien hat das Polizeipräsidium eine Million Brötchentüten beschafft, die plakativ auf den wichtigsten Verhaltenshinweis zum Schutz vor Telefonbetrügern aufmerksam machen: »Bei verdächtigen Anrufen sofort auflegen und die Polizei unter 110 verständigen«, steht in dicken Lettern auf den Tüten. »Sie kommen in den nächsten Tagen in den Handel. Die Tüten werden von ausgewählten Bäckereien beim Kauf von Backwerk ausgegeben«, sagt Kriminaloberrätin Martina Kaplan. »Der Präventionstipp liegt also auf dem Küchentisch«, sagt Alexander Pick.

Zum Auftakt der Aktion werden am heutigen Mittwoch Polizeibeamte und Vertreter der Projektpartner jeweils zwischen 10 und 13 Uhr auf dem Reutlinger Marktplatz, dem Rathausplatz in Esslingen und auf dem Holzmarkt in Tübingen präsent sein und Rede und Antwort stehen für eine Kampagne, von der sich die Polizei eine flächendeckende Wirkung verspricht. Und die tut not angesichts einer Betrugsmasche, die Kriminalisten zunehmend Sorge bereitet und deren Aufklärungsquote verschwindend gering ist. »In diesem Kriminalitätsphänomen liegt eine hohe Herausforderung«, sagt Alexander Pick. Die Betrüger melden sich aus Callcentern im türkischen Izmir oder aus Antalya bei den Senioren. »Da werden ganze Hotelkomplexe angemietet«, sagt Alexander Pick. Die Telefonnummern wurden bei Adresshändlern gekauft oder stammen einfach aus dem Telefonbuch. Vor allem Vornamen, die vor 70 oder 80 Jahren beliebt waren, können den Betrügern als Hinweis dienen. Die Anrufer – sogenannte Keiler – sind oft türkische Staatsbürger, die lange Jahre in Deutschland gelebt haben. Sie sprechen sehr gut Deutsch und sind mit der Beamtensprache bestens vertraut. Es fällt ihnen deshalb leicht, sich als Polizeibeamte, Richter oder Staatsanwälte auszugeben. Selbst Telefonkonferenzen mit vermeintlichen Amtsträgern werden organisiert. Und wer nachfragt, ob der Anruf tatsächlich seine Richtigkeit hat, wird an angebliche Vorgesetzte weiterverbunden.

Tendenz steigend

Mit dieser Masche werden Senioren psychologisch derart unter Druck gesetzt, dass sie leicht zur Beute werden. Sogenannte Abholer brauchen Geld oder Wertgegenstände dann nur noch in Empfang zu nehmen – Beute, die schon mal in Plastiktüten im Geräteschuppen auf die angeblichen »Polizisten« wartet. Die »Abholer« wiederum übergeben das Geld an Kuriere, die es ins Ausland schaffen. Das Bundeskriminalamt schätzt die Gesamtbeute bundesweit auf einen dreistelligen Millionenbetrag. Tendenz steigend. Erwischt werden die Kleinen, also jene, die an der Haustüre das Geld in Empfang nehmen, während die Drahtzieher in der Türkei ruckzuck neue Abholer rekrutieren. Dass an die Chefs nur schwer heranzukommen ist, liegt an langwierigen und schwierigen Rechtshilfeersuchen. »Der Weg über internationale Rechtshilfe ist manchmal weit«, bestätigt Alexander Pick.

Die Gründe, warum gerade Deutschland in den vergangenen Jahren verstärkt in die Fänge dieser Trickbetrüger geraden ist, sind vielfältig. »Polizei und Justiz genießen in Deutschland eine hohe Wertschätzung«, sagt Alexander Pick. Gegenüber »Staatsanwälten«, »Polizisten« oder »Richtern« ist die Auskunftsbereitschaft deshalb gerade bei Senioren hoch. Dass sie auf Betrüger hereinfallen, merken manche oft zu spät. Darüber hinaus leben in Deutschland immer mehr alte Menschen. Und sie leben oft genug allein. Rücksprache mit Familienmitgliedern erfolgt zu spät oder gar nicht. »Die Betrüger sehen Deutschland als Beutegesellschaft«, sagt Alexander Pick.

Ein weiterer Baustein der Kampagne »Vorsicht Abzocke« bildet eine Experten-Hotline, bei der sich Bürger kostenlos informieren und beraten lassen können. Gemeinsam mit Experten der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg beantworten Polizeibeamte Fragen rund um das Thema Abzocke, Betrug und Verbraucherschutz. Die Experten-Hotline ist am Freitag, 11. Oktober, von 10 Uhr bis 13 Uhr erreichbar. (GEA)

 

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Der Flyer gibt  wertvolle Tipps.
Der Flyer gibt wertvolle Tipps. Foto: Gea
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Foto: Gea