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Aktuell Projekt

Lotsen des Reutlinger S-Haus helfen künftig beim Weg durch den Behördendschungel

Das besondere Restaurant in der Rommelsbacher Straße 1 in Reutlingen startet ein neues Projekt: »Lotsenfunktion«.

Bei einem Pressegespräch erläuterten Achim Scherzinger (von links), Andrea Leichsenring und Wolfgang Kuhn ein neues Projekt, das
Bei einem Pressegespräch erläuterten Achim Scherzinger (von links), Andrea Leichsenring und Wolfgang Kuhn ein neues Projekt, das im S-Haus Menschen mit diversen Problemen an die richtigen Stellen vermitteln soll. FOTO: LEISTER
Bei einem Pressegespräch erläuterten Achim Scherzinger (von links), Andrea Leichsenring und Wolfgang Kuhn ein neues Projekt, das im S-Haus Menschen mit diversen Problemen an die richtigen Stellen vermitteln soll. FOTO: LEISTER

REUTLINGEN. 2,50 Euro kostet ein Mittagessen im S-Haus für die Kundschaft mit wenig Geld und 6 Euro für die sogenannten Solidaresser. »Seit vielen Jahren haben wir den gleichen Preis für unsere werktäglichen Mahlzeiten«, sagt Wolfgang Kuhn, seines Zeichens Finanzvorstand im Trägerverein des S-Hauses. Entstanden ist dieses »Lobbyrestaurant Unter den Leuten«, wie es ursprünglich hieß, nachdem die Vesperkirche in Reutlingen Fuß gefasst hatte. UdL, so das Kürzel, sollte ganzjährig ärmeren Menschen ein günstiges Essen anbieten. Achim Scherzinger war von Anfang an dabei, heute sagt er: »Wir haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren Corona unsere Klientel als sehr hilflos im Umgang mit Behörden und Hilfseinrichtungen erlebt.«

Nach den Erfahrungen der letzten beiden Jahre hat sich das S-Haus bei der Stiftung Deutsches Hilfswerk (DHW) beworben, für ein Projekt, das es in Reutlingen in dieser Art noch nicht gebe, wie Kuhn beim Pressegespräch ausführt. »Viele unserer Gäste hatten bislang noch keinen Kontakt zu Behörden oder Hilfseinrichtungen gehabt«, sagt Kuhn. Diese Menschen berichten im S-Haus von ihren ganz spezifischen Problemen – mit denen die fast durchweg ehrenamtlich Engagierten in dem besonderen Restaurant aber zumeist überfordert sind.

Noch mehr Ausgrenzung

»Viele unserer Gäste waren schon vor Corona ausgegrenzt, in den vergangenen Jahren hat sich das dramatisch zugespitzt«, sagt Andrea Leichsenring, die sich genauso wie Kuhn und Scherzinger ebenfalls in den Vereinsvorstand einbringt. »Die Menschen sind noch einsamer, mutloser, depressiver geworden.« Mit dem neuen Angebot der Lotsenfunktion durch eine sozialpädagogische Fachkraft sollen »Begegnung, Begleitung und Beratungsunterstützung« gewährleistet werden.

UNTERSTÜTZUNG

Wer sich beim Reutlinger S-Haus einbringen möchte, ist herzlich willkommen, betont der Vorstand des Trägervereins. Um das so kostengünstige Essen für Geringverdiener auch weiter anbieten zu können, ist das S-Haus aber auch immer auf Spenden angewiesen. Wer unterstützen möchte, kann dies tun und zwar auf das Konto bei der Kreissparkasse Reutlingen mit der IBAN: DE80 6405 0000 0000 0329 99.

Das Projekt der Lotsenfunktion ist auf drei Jahre angelegt. Fachkräfte sollen gefunden werden, damit sie auf Honorarbasis die Menschen im S-Haus beraten, sie vermitteln, weiterleiten. »Wir wollen Teilhabe, Inklusion und Integration für die Zielgruppe der Geringverdiener, für Familien, Alleinerziehende, Migranten, Senioren und Menschen in prekären Lebensverhältnissen ermöglichen«, so Leichsenring. Aber: »Wir wollen auf keinen Fall in Konkurrenz zu bereits bestehenden Hilfsangeboten treten«, betonten Leichsenring, Kuhn und Scherzinger. »Wenn ein Gast zu uns zum Essen kommt und erzählt, dass er keine Ahnung hat, wie und wo er das mit der Energiekostenpauschale beantragen kann, dann wollen wir ihm sagen, wo er hingehen muss«, so Kuhn. Ein anderes Beispiel: »Es war ein älterer Mann hier, der ist nach Reutlingen zugezogen, hatte keine sozialen Kontakte, wir haben ihn zur Freiwilligenagentur hier im Haus geschickt, jetzt engagiert er sich, hat eine Tagesstruktur«, berichtet Scherzinger.

Über das leibliche Wohl hinaus

»Bei uns steht ja in der Satzung, dass das S-Haus sich nicht nur um das leibliche Wohl kümmern will«, betont Kuhn. Mit dem neuen Lotsenangebot soll das ein Stück weit verwirklicht werden. »Wir glauben, dass das mit den Honorarkräften klappen kann – bei unserem IT-Projekt funktioniert das ja gut«, so der Finanzvorstand.

»Internet für alle« spricht Menschen an, die sich mit PC, Tablet oder Smartphone nicht auskennen. »Dabei geht es darum, die Grundzüge im Umgang mit einem Computer zu lernen, Datenschutz oder auch über das Internet Termine zu vereinbaren«, so Leichsenring. In einigen Behörden sei jetzt eine Terminvereinbarung nur noch online möglich. Was sollen da Menschen tun, die sich mit Smartphone und Co. nicht auskennen?

Öfter selbst gekocht

Ansonsten gibt es wie gewohnt an Werktagen fünfmal die Woche im S-Haus das verbilligte Mittagessen für Geringverdiener und die immer noch günstige Mahlzeit für Solidaresser. »Wir proben im Moment, fünf Mal die Woche selbst zu kochen«, sagt Wolfgang Kuhn. In den vergangenen Monaten haben Ehrenamtliche schon dreimal die Woche selbst gekocht, zweimal lieferte ein Caterer. Nun der neue Versuch. »Wenn wir immer selbst kochen, hat das den Vorteil, dass wir die Kosten drücken können.« Der Nachteil sei der, dass mehr ehrenamtliches Personal da sein muss. Und wie sich die drastisch steigenden Energiekosten auf das S-Haus auswirken – das sei im Moment noch nicht abschätzbar. (GEA)