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Aktuell Ausstand

Gelbwesten legten den ÖPNV lahm

Busfahrer des privaten Personentransportgewerbes protestieren für mehr Lohn und gegen Zwei-Klassen-Tarif

Marsch der Gelbwesten: Fahrer des privaten Omnibusgewerbes fordern mehr Lohn und eine Angleichung der Arbeitsbedingungen an die
Marsch der Gelbwesten: Fahrer des privaten Omnibusgewerbes fordern mehr Lohn und eine Angleichung der Arbeitsbedingungen an die ihrer kommunalen Kollegen. FOTO: NIETHAMMER
Marsch der Gelbwesten: Fahrer des privaten Omnibusgewerbes fordern mehr Lohn und eine Angleichung der Arbeitsbedingungen an die ihrer kommunalen Kollegen. FOTO: NIETHAMMER

REUTLINGEN. Es ist die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Morgens um 7 Uhr liegt der Reutlinger ZOB in tiefem Schlummer. Hier, wo um diese Zeit normalerweise reges Rollen, Kommen und Gehen herrscht, tut sich nichts. Rein gar nichts. Der Grund: Reutlingens Busfahrer – allesamt Beschäftigte des privaten Personentransportgewerbes – befinden sich erneut im Warnstreik.

Die Fahrzeuge haben sie in den Depots gelassen. Ebenso wie dies Kollegen aus anderen baden-württembergischen Städten getan haben. Dem Aufruf der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sind gestern nämlich auch Berufskraftfahrer aus Tübingen, Böblingen, Karlsruhe, Göppingen und Geislingen gefolgt. Einige von ihnen haben Delegationen an die Echaz geschickt, um dem zunächst im Kulturzentrum franz.K, später auch auf der Straße und dem ZOB abgehaltenen Arbeitskampf massemäßig mehr Gewicht zu verleihen.

Leerer ZOB.
Der ZOB in Reutlingen. Foto: Stephan Zenke
Der ZOB in Reutlingen.
Foto: Stephan Zenke

Stillstand allenthalben

Ein 24-stündiger Stillstand des Nahverkehrs soll erreicht werden, weil, wie zu hören, auch am Verhandlungstisch Stillstand herrscht. »Wir lassen uns nicht verschaukeln«, meint einer der Aktivisten an die Adresse des Verbands Baden-Württembergischer Omnibusunternehmer (WBO). Letzterer teilt per Presserundschreiben mit, dass er »eine Einigung erzielen möchte« und deshalb »alles daran setzt«, beim nächsten Verhandlungsgespräch – es soll am Montag, 18. Februar, über die Bühne gehen – »einen Abschluss zu erreichen«.

An einen solchen glaubt im franz.K freilich niemand; jedenfalls nicht an einen, der die Forderungen von Verdi erfüllt: 5,8 Prozent mehr Lohn bei zwölfmonatiger Laufzeit – der WBO besteht auf 36 Monate – und eine Angleichung der Arbeitsbedingungen an die des kommunalen Nahverkehrs. »Drunter machen wir’s nicht. Schluss mit der Zwei-Klassen-Gesellschaft!«

Nach Worten von Verdi-Verhandlungsführer Andreas Schackert verdienen Fahrer im privaten Omnibusgewerbe derzeit zehn Prozent weniger als ihre kommunalen Kollegen. Für 17 Euro die Stunde – zuzüglich Wochenend- und Feiertagszuschläge – seien sie unterwegs; bei Arbeitsbedingungen, die happiger würden.

Zunehmend Überstunden

Damit der ÖPNV tatsächlich an 365 Tagen im Jahr und fast rund um die Uhr verlässlich für seine Kunden da sein kann, müssten die Chauffeure zunehmend Überstunden schieben. Was ursächlich damit zusammenhängt, dass es der Branche an (Nachwuchs-)Kräften fehlt. Baden-württembergweit, erklärt Schackert, komme auf elf Fahrer derzeit eine unbesetzte Stelle. »800 Busfahrer fehlen im privaten Gewerbe.« Ein Missverhältnis, das aus Sicht der Warnstreikenden und ihrer Interessenvertretung einer zu dürftigen Entlohnung geschuldet ist. Und einer bisweilen halbseidenen Einstellungspraxis.

Leerer ZOB (oben), volles franz. K (unten): Reutlinger und Tübinger Busfahrer haben gestern die Arbeit niedergelegt. FOTOS: ZENK
Volles franz. K: Reutlinger und Tübinger Busfahrer haben gestern die Arbeit niedergelegt. Foto: Stephan Zenke
Volles franz. K: Reutlinger und Tübinger Busfahrer haben gestern die Arbeit niedergelegt.
Foto: Stephan Zenke

Während sich der Arbeitskampf vom franz.K allmählich auf die Straße verlagert, plaudern Tübinger und Reutlinger Aktivisten aus dem Nähkästchen. Ihrer Beobachtung nach ist mancher private Busunternehmer nur allzu gerne bereit, die Agentur für Arbeit zu schröpfen. »Sie finanziert den Führerschein, der kostet immerhin stolze 11 000 Euro, und übernimmt 50 Prozent der Lohnkosten für die Dauer der Probezeit – kein Wunder also, dass mancher Kollege da nicht übernommen wird. Für schwarze Schafe in der Branche ist es ja lukrativer, stattdessen jemand Neuen vom Arbeitsamt zu holen und sich den hälftig bezahlen zu lassen. «

Entschlossenheit liegt in der Luft. Es ist 11.30 Uhr und ein knapp 250-köpfiger Tross solidarisch-vereinter Gelbwesten setzt sich in Bewegung, kreuzt die Karl-straße, schiebt sich durch die Fußgängerzone Richtung Marktplatz, verharrt dortselbst für eine kleine Weile und marschiert dann weiter gen Haltestelle Stadtmitte. Fahnen werden geschwenkt, Trillerpfeifen traktiert und kämpferische Parolen skandiert: »Wir können mehr, wir können länger, wir halten durch!« Schlag 12 Uhr, erreicht der Protestzug den ZOB. Hier hat sich’s nun mit der Ruhe, denn jetzt bricht der Sturm los. Forderungen werden präzisiert und pointiert, Pläne geschmiedet. Als nächsten Joker im Verhandlungspoker halten die protestierenden Fahrer einen unangekündigten Ausstand in der Hinterhand. Ausgespielt wird er natürlich nur, wenn am kommenden Montag keine Einigung mit dem WBO erzielt werden kann. Und für den Fall, dass das Tauziehen am runden Tisch deutlich länger dauert? … deutet vieles auf einen unbefristeten Streik hin. (GEA)