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Aktuell Pandemie

Corona-Impfpflicht: Was Bundestagskandidaten aus Reutlingen davon halten

Der GEA-Kandidaten-Check zur Bundestagswahl: Die sechs Kandidaten der aussichtsreichsten Parteien in den Wahlkreisen Reutlingen und Tübingen beantworten im Wechsel Fragen zu relevanten Themen. Es geht um die Finanzierung der Pflege, das Aus für Verbrennermotoren, um erneuerbare Energien und mehr Kompetenzen für den Katastrophenschutz. Das heutige Thema: Wie stellen sich die Kandidaten zu einer verpflichtenden Corona-Impfung?

So großer Andrang ist in den Impfzentren nicht mehr oft – die meisten werden in absehbarer Zeit schließen. Auch in Reutlingen si
So großer Andrang ist in den Impfzentren nicht mehr oft – die meisten werden in absehbarer Zeit schließen. Auch in Reutlingen sind die Impfquoten zurückgegangen. FOTO: CHARISIUS/DPA
So großer Andrang ist in den Impfzentren nicht mehr oft – die meisten werden in absehbarer Zeit schließen. Auch in Reutlingen sind die Impfquoten zurückgegangen. FOTO: CHARISIUS/DPA

KREIS REUTLINGEN. Irgendwann zwischen Ende Juni und Anfang Juli kippte die Lage: Aus dem Impfstoffmangel wurde ein Impfstoffüberschuss, auch im Landkreis Reutlingen, in dem am 22. Januar das Kreisimpfzentrum im Kreuzeichestadion den Betrieb aufgenommen hatte, anfangs noch mit mageren dreißig Impfterminen pro Tag.

Das steigerte sich langsam, und zu den Hoch-Zeiten der Impfkampagne sind im Reutlinger Kreisimpfzentrum wöchentlich rund 6 200 Menschen gegen das Corona-Virus immunisiert worden. Ende Juli meldete das Zentrum die 100 000. Impfung. Die anfangs noch so begehrten Dosen sind allerdings immer schwerer an den Mann, die Frau oder den Jugendlichen zu bringen. Bereits Anfang Juli wurden im Reutlinger Kreisimpfzentrum freie Impftermine gemeldet – die Zeiten, in denen Impfwillige die Nächte vor dem Computer verbrachten, um für sich oder für ihre Angehörigen irgendwo in der Nähe einen Termin zu ergattern, waren damit definitiv vorbei. »Impfen ohne Termin« – das ist seit einiger Zeit allerorten möglich, und auch das Kreisimpfzentrum ist weiterhin Montag bis Samstag von 7.30 bis 19 Uhr dafür da.

Rund 57 Prozent der Deutschen sind vollständig immunisiert. Die Zahl der Erstgeimpften nimmt seit Mitte Juni immer langsamer zu. Und die Politik ebenso wie die Fachwelt diskutieren erbittert darüber, wie es gelingen könnte, das Virus zurückzudrängen und die Herdenimmunität zu erreichen. Reicht es, Anreize zu bieten? Beim Termin des Mobilen Impfteams in Pliezhausen wurde eine Ballonfahrt verlost, 88 Impfwillige kamen – mehr als bei vergleichbaren Aktionen auf dem Reutlinger Marktplatz. Andernorts wird vor Fast-Food-Filialen oder Supermärkten geimpft, gibt es Bratwürste oder andere Lockmittel als Dreingabe. Ist es der richtige Weg, Ungeimpften die Teilnahme am öffentlichen Leben durch verbindliche Selbstzahler-Tests zu erschweren? Ist es in Ordnung, die Impfung für bestimmte Berufsgruppen – Altenpflegerinnen, Erzieher, Mitarbeitende in kommunalen Bürgerbüros – vorzuschreiben?

In den vergangenen zwei Wochen sind im Kreis Reutlingen insgesamt rund 6 300 Menschen geimpft worden, wie die Pressestelle des Landkreises mitteilte – halb so viele wie Anfang Juni. Das Mobile Impfteam ist in dieser Zahl mit 1 080 Impfungen enthalten.

Anders als in manchen anderen Landkreisen, in denen Impfdosen übriggeblieben sind und zurückgegeben werden mussten, sind im Kreis Reutlingen bislang aber alle Dosen verimpft worden, so das Landratsamt.

Der CDU-Abgeordneter Michael Donth
Der CDU-Abgeordnete Michael Donth. Foto: Pedersen/dpa
Der CDU-Abgeordnete Michael Donth.
Foto: Pedersen/dpa

Michael Donth (CDU)

Eine allgemeine Impfpflicht wird es mit der CDU nicht geben, und ich halte auch nichts davon. Dies wäre ein Eingriff in die Freiheitsrechte und müsste verfassungsrechtlich begründet werden. Die Impfung war, ist und muss freiwillig bleiben. Nichtsdestotrotz mache ich mir derzeit Sorgen und mir fehlt ehrlich gesagt auch das Verständnis dafür, dass die Impfbereitschaft mit den Lockerungen so nachgelassen hat. Ich habe den Eindruck, dass manche den Eindruck haben, Corona wäre vorbei.

Das ist auch nicht solidarisch im Hinblick auf die ganze Gesellschaft. Für die Herdenimmunität müssen mindestens 80 Prozent der Erwachsenen geimpft sein. Im Moment sind wir bei einer vollständigen Impfquote von unter 60 Prozent.

Deshalb müssen sich mehr Menschen impfen lassen. Das Land Baden-Württemberg wird ab Mitte September eine neue Corona-Verordnung erlassen. Nach dieser sind keine Einschränkungen mehr für Geimpfte geplant im Gegensatz zu Nichtgeimpften. Auch manche Urlaubsländer verlangen eine Impfung, damit man einreisen darf. Ich denke, das ist letztlich leider der einzige erfolgsversprechende Weg, um die Gesamtbevölkerung besser schützen zu können.

Dr. Ulrich Bausch, fotografiert im Garten des Heimatmuseums.
Dr. Ulrich Bausch. Foto: Markus Niethammer
Dr. Ulrich Bausch.
Foto: Markus Niethammer

Dr. Ulrich Bausch (SPD)

Bis 1975 hatten wir die Pflichtimpfung gegen Pocken. Nur durch diese gelang es, diese extrem gefährliche Krankheit in Europa auszurotten. Auch damals gab es Impfgegner und Pockenleugner. Höchstrichterlich wurde daher 1959 entschieden, dass der Schutz der Allgemeinheit schwerer wiegt als individuelle Bedenken und die Pflichtimpfung mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

Aktuell besteht Impfpflicht gegen Masern bei Kindern und bei Erwachsenen, die in Gemeinschafts- oder medizinischen Einrichtungen tätig sind. Da Masern sehr gefährlich und extrem ansteckend sind, hat das Bundesverfassungsgericht im Mai letzten Jahres die Verfassungsmäßigkeit der Masernpfichtimpfung bestätigt.

Die Coronapandemie hat in Deutschland knapp 100 000 Menschen das Leben gekostet und weltweit 4,5 Millionen Menschen getötet. Wer, wie die AfD, immer noch behauptet, es handle sich um eine Art Grippe, betreibt gefährliche, systematische Desinformation.

Wer sich nicht impfen lässt, gefährdet andere und kann nur deswegen in einer halbwegs intakten Gesellschaft leben, weil andere sich haben impfen lassen. Ich hoffe, dass uns eine Impfpflicht erspart bleibt, halte es aber für möglich, dass wir sie brauchen.

Bundestagskandidatin Beate Müller-Gemmeke
Bundestagskandidatin Beate Müller-Gemmeke. Foto: Frank Pieth
Bundestagskandidatin Beate Müller-Gemmeke.
Foto: Frank Pieth

Beate Müller-Gemmeke (Bündnis 90/Grüne)

Eine allgemeine Corona-Impfpflicht lehne ich ab und sie ist aus meiner Sicht auch nicht zielführend. Ich meine aber auch, dass eine hohe Impfquote für uns als Gesellschaft wichtig ist, um wieder zu einem normalen Leben zurückkehren zu können. Insofern gibt es eine Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft.

Wir schützen mit jeder Impfung vulnerable Gruppen, denn nicht alle Menschen können sich impfen lassen oder erwerben einen ausreichenden Impfschutz. Gleichzeitig gibt es für die Kinder unter zwölf Jahren noch keine Impfstoffzulassung und für die unter 18-Jährigen noch keine generelle Impfempfehlung.

Und doch ist klar, Impfungen müssen freiwillig bleiben. Aufklärung und stetige Überzeugungsarbeit sind da besser als Zwang. Wer skeptisch ist und sich nicht impfen lassen möchte, kann nur mit guten Argumenten überzeugt werden. Und Kern einer solchen Debatte muss der Schutz vor Corona sein. Dabei sehe ich alle in der Verantwortung – Politik, Ärzte, Beratungsstellen, Medien, Unternehmen, Gewerkschaften, Kirchen etc. – wir alle müssen informieren und für eine COVID-19-Impfung werben, aber dabei auch die Sorgen und Vorbehalte der Menschen ernst nehmen.

Bundestagsabgeordneter Pascal Kober
Der Bundestagsabgeordnete der FDP Pascal Kober beim Gespräch in der GEA-Redaktion. Foto: Frank Pieth
Der Bundestagsabgeordnete der FDP Pascal Kober beim Gespräch in der GEA-Redaktion.
Foto: Frank Pieth

Pascal Kober (FDP)

Eine allgemeine Impfpflicht halten wir für den falschen Weg. Es steht mittlerweile ausreichend Impfstoff zur Verfügung, sodass jeder und jedem ein Impfangebot gemacht werden kann. Trotzdem ist Deutschland noch weit von der Herdenimmunität entfernt. Dabei ist die Impfung die wichtigste Maßnahme, um das Coronavirus zu bekämpfen, und damit unsere Chance auf Freiheit.

Um die Impfquote zu erhöhen ist jetzt entscheidend, dass wir niedrigschwellige Impfangebote und Impfanreize schaffen. Der Impfstoff muss so leicht wie möglich zu den Menschen kommen. Zusätzlich sollten wir weiterhin auf Testungen, Hygienekonzepte und Luftreiniger setzen. Der Inzidenzwert darf nicht das alleinige Kriterium zur Beurteilung der Lage und zur Entscheidung über Hygienemaßnahmen bleiben: Die Auslastung der Intensivkapazitäten, die Zahl der geimpften Personen, die regionale Verteilung des Infektionsgeschehens und die Positivenquote der Testungen müssen ebenso berücksichtigt werden.

Das soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben hat in den vergangenen eineinhalb Jahren erheblich gelitten, die Folgen der Pandemie sind verheerend. Ein weiterer Lockdown darf nur das allerletzte Mittel sein.

Hansjörg Schrade, AfD-Fraktionssprecher und Bundestagskandidat
Hansjörg Schrade, AfD-Fraktionssprecher und Bundestagskandidat. Foto: Stephan Zenke
Hansjörg Schrade, AfD-Fraktionssprecher und Bundestagskandidat.
Foto: Stephan Zenke

Hansjörg Schrade (AfD)

Gar nichts! Es ist weniger als ein Jahr her, dass mit Impfen begonnen wurde. Die BioNTech-Aktie verlor am 12. August von 397 Euro auf unter 300 Euro nach einer Mitteilung der EMA, dass sie prüfe, ob »allergische Hautreaktionen und Nierenleiden in kleinen Personengruppen« als Nebenwirkung eingestuft würden. Der Impfstoff von Astra-Zeneca wird von der Stiko nur noch für Personen ab 60 Jahren empfohlen. Berichtet wird unter anderem über Blutgerinnsel in Kopf und Bauch, vor allem bei Frauen unter 60 Jahren.

Israel hat früh und viel mit dem BioNTech-Impfstoff geimpft. Nun wird berichtet (seriöse Medien wie FAZ), dass die Wirkung der Impfung nachlässt, circa 90 Prozent der Hospitalisierten doppelt geimpft sind und Israel trotz hoher Impfquote keine Herdenimmunität hat, im Gegenteil, die 7-Tages-Inzidenz lag Ende Juli bei über 80!

Vor allem lehne ich auch jede indirekte Impfpflicht ab. Es verstößt gegen das Grundgesetz, wenn gesunden unbescholtenen Bürgern die Freiheit genommen wird. Wir werden deshalb im Herbst große gesellschaftliche Verwerfungen sehen, die von Merkel und den Ministerpräsidenten beschlossenen Testpflichten auf eigene Rechnung sind der Einstieg in die Impf-Apartheid.

Die Abgeordnete Jessica Tatti
Die Abgeordnete Jessica Tatti will weiter im Bundestag wirken. Foto: Frank Pieth
Die Abgeordnete Jessica Tatti will weiter im Bundestag wirken.
Foto: Frank Pieth

Jessica Tatti (Linke)

Eine allgemeine Corona-Impfpflicht lehne ich ab. Was zu einer höheren Impfquote führt – die uns allen mehr Sicherheit und Freiheiten bringt – ist nicht Zwang, sondern sind mehr Angebote und eine bessere Aufklärung, um Menschen von einer Impfung zu überzeugen.

Bund und Länder müssen jetzt eine Impfkampagne starten – gemeinsam mit den Kommunen, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften und Verbänden. Es braucht mehr mobile Teams, die in die Stadtteile, Dörfer und Regionen gehen, wo die Impfquoten noch niedrig sind. Dorthin, wo die hausärztliche Versorgung schlechter ist und wo Menschen leben, die ihren beruflichen Alltag nicht lange im Voraus nach einem Impftermin ausrichten können.

Es braucht mehr Gelegenheiten, sich unkompliziert und ohne Voranmeldung impfen zu lassen: vor Supermärkten, auf Marktplätzen, im Stadion und in Kirchen. Es braucht individuelle Beratungsangebote, damit Bedenken und Sorgen bezüglich der Impfung ausgeräumt werden können.

Die erfolgreiche Praxis aus Bremen zeigt, dass die Impfquote so deutlich erhöht werden kann. Keinesfalls dürfen jetzt Testangebote zurückgefahren oder kostenpflichtig werden. (GEA)