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Cannabis-Legalisierung: Junge Reutlinger erzählen, warum sie kiffen

Die Ampel-Koalition könnte den Verkauf und Besitz von Cannabis legalisieren. Junge Menschen begrüßen die Überlegungen. Für viele der Jugendlichen und jungen Erwachsenen gehört Kiffen zum Alltag. Dem GEA haben Kiffer aus der Region ihre Meinung zur Legalisierung gesagt.

In die Debatte um die Legalisierung von Cannabis ist Bewegung gekommen.
In die Debatte um die Legalisierung von Cannabis ist Bewegung gekommen. Foto: Bodo Marks/Archiv
In die Debatte um die Legalisierung von Cannabis ist Bewegung gekommen.
Foto: Bodo Marks/Archiv

REUTLINGEN. Tim Hoffer (Name geändert) hat sich ein Hanfblatt auf den Körper tätowieren lassen. In den Sozialen Netzwerken präsentiert sich der 21-Jährige auf Bildern am liebsten mit riesigen Joints in der Hand. Bis zu zwei davon raucht der Elektroniker am Abend. Für ihn gehört Cannabis zum Alltag dazu.

Der 21-Jährige ist für die Legalisierung von Cannabis. Auf Partys ist Hoffer als »der Chillige« bekannt, als der, der gerne oft einen durchzieht. In der Öffentlichkeit muss sich Hoffer mit seinem Cannabis-Konsum verstecken. Der Besitz von Cannabis ist strafbar. Weil Hoffer ständig Gras besitzt, will er seinen echten Namen der Redaktion lieber nicht nennen.

So wie Hoffer geht es vielen jungen Menschen aus der Region. Auch die anderen dreißig Jugendlichen, die sich auf einen GEA-Aufruf melden, wollen anonym bleiben. Sie alle rauchen Gras, fast alle täglich. Sie alle sind für die Legalisierung. Sie alle kiffen, seit sie jung sind.

Konsum-Regeln aufgestellt

Auch Hoffer hat früh mit dem Konsumieren begonnen: »Ich war 16. Es war Ende der Schulzeit und mit Kumpels wollten wir mal etwas ausprobieren.« Als sich Hoffer seinen ersten Joint anzündete, strahlte die Sonne vom Himmel. »Es war entspannt, euphorisch, alle lachten.« Ein weiterer Sommermittag mit Cannabis folgte. »Seitdem betreibe ich das weiter.«

Hoffer nennt sich Dauerkonsument. Er weiß, dass Cannabis das Gehirn junger Menschen beeinträchtigt. Er weiß, dass manche Kiffer über den Rausch ihr Leben vergessen. Der 21-Jährige hat Regeln aufgestellt, mit denen er sich sicher fühlt: »Ich mische keinen Tabak in den Joint, um nicht vom Nikotin abhängig zu werden. Ich fahre nicht, wenn ich geraucht habe.«

Das Wichtigste für Hoffer: Würde Cannabis legalisiert, werde der Schwarzmarkt verdrängt, sagt er. Damit verschwinde auch der unreine Stoff, den es an allen Ecken zu kaufen gebe. Der 21-Jährige berichtet von gestreckter Ware: »Da ist viel gepanscht. Im Cannabis von der Straße ist Haarspray, da sind Späne drin oder synthetisch gezüchtete Cannabioide, genannt Spice.« Die Zusatzstoffe seien gefährlich. »Eine Legalisierung würde das Cannabis rein machen.«

Hoffer glaubt, dass Kinder durch die Legalisierung den Zugang zum Cannabis verlieren würden. »Der Schwarzmarkt gibt Stoff an Kinder ab, die Apotheken nicht.« Der 21-Jährige hat sich bereits im Deutschen Hanfverband für die Legalisierung von Cannabis engagiert. Kiffen, sagt er, sei für ihn Spaß, Chillen, Lifestyle.

Cannabis als Friedenspfeife

Leila Bonaz (Name geändert) glaubt, dass Cannabis sogar gegen Krankheiten helfe. Sie ist Influencerin für Fitness- und Beautyprodukte auf Instagram. Auf den Profilen der jungen Frau spielt Hanf aber keine Rolle. Bonaz ist sehr für die Legalisierung. »Ich sehe nur Vorteile, denn den Konsum gibt es so oder so, das wissen wir alle«. Cannabis könne entspannt, ausgeglichen und schmerzfrei machen, behauptet sie. »Die Menge macht das Gift. Manchmal wird man vergesslich oder träge.« Manchmal werde man sehr kreativ.

Marius Kern (Name geändert) sieht im Cannabis sogar eine »Friedenssubstanz«. Der 25-Jährige arbeitet in der Pflege und sagt, dass das Gras sein Leben verändere. »Ich habe durch die Bewusstseinsveränderung das Leben zu schätzen gelernt.« Kern sagt, er habe weniger Angst vor 20 Menschen, die einen Joint herumreichten, als vor fünf betrunkenen Menschen. »Der Joint ist wie ’ne Friedenspfeife.«

Umfrage (beendet)

Sollte Cannabis legalisiert werden?

Mit einer Ampel-Koalition könnte auch eine Legalisierung von Cannabis einhergehen. FDP und Grüne sind für einen »Verkauf in lizenzierten Fachgeschäften«. Die SPD befürwortet eine »regulierte Abgabe« an Erwachsene zunächst in Modellprojekten.

55%
41%
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Der 25-Jährige beteuert, sein Leben trotz des Konsums im Griff zu haben. »Ich habe ein ganz normales, balanciertes Leben.« Am Tag raucht Kern zwischen ein und zwei Joints. »Das ist von der Wirkung ein bisschen so wie zwei Gläser Wein.«

Kern ist für die Legalisierung: Für ihn ist Cannabis kein Schmerzmittel und keine Partydroge. Für Kern gehört der Joint zum Feierabend, wie für andere das Bier: »Wenn ich mein Soll des Tages absolviert habe, belohne ich mich am Abend dafür.«

Auch Kern hat sich Regeln für den Konsum aufgestellt: »Ich kiffe natürlich nicht vor der Arbeit.« Bekifft fahre er niemals Auto. »Ich habe trotzdem Angst, meinen Führerschein zu verlieren.« In Deutschland kann das auch Fahrern passieren, die Tage vor der Fahrt einen Joint geraucht haben.

MPU wegen Cannabis-Konsum

Ludwig Riedler (Name geändert) hat deshalb aufgehört, zu rauchen. Der 19-Jährige wurde im März von der Polizei beim Autofahren überprüft. Riedler rauchte zu dem Zeitpunkt regelmäßig Cannabis. An dem Tag selbst hatte er nichts geraucht. Die Polizei entzog ihm dennoch den Führerschein.

Der 19-Jährige muss jetzt bei der Medizinisch-Psychologischen-Untersuchung (MPU) seine Fahrtauglichkeit neu beweisen. Drogenkontrollen stehen an. Riedler darf nicht mehr rauchen. Dass das so gekommen ist, macht Riedler sauer.

Der 19-Jährige macht eine Ausbildung in der Finanzbranche. Er lebt ein geordnetes Leben. »Mit ein bisschen Promille darf ich noch Autofahren. Tage nachdem ich gekifft habe, darf ich es nicht.«

Riedler hat bereits mit 14 seinen ersten Joint geraucht. In der Corona-Zeit habe er immer mehr gekifft. Die ersten Monate ohne das Cannabis fielen ihm nicht leicht. »Wenn sich die Gesetze ändern, will ich wieder anfangen.« 

Der 19-Jährige ist für die Legalisierung. Was er nicht weiß, ist, wie genau er die Legalisierung ausgestalten würde, wäre er Politiker. Andere junge Menschen, die dem GEA schreiben, haben konkrete Ideen.

Goldgrube Hanf?

Fast alle sind für eine Altersgrenze, ab der Cannabis frei verkäuflich sein könnte. Ein junger Mann schlägt vor, die Grenze an die Wirkstoff-Stärke des Stoffes zu koppeln. Hohe Steuern, mehr Präventionsprogramme, ein Informationsgespräch vor dem Kauf würden junge Menschen befürworten. Würden sie ihren Kindern denn erlauben, zu kiffen, wenn sie welche haben?

Tim Hoffer jedenfalls hat beschlossen, mit dem Rauchen aufzuhören, sobald er Kinder hat. »Ich will nüchtern sein, wenn ich mit meinen Kindern hantiere.« Wenn er seinen Kindern ansehe, dass sie gekifft hätten, würde er sicher mit ihnen reden. »Ich könnte ihnen den Rat geben, nicht zu übertreiben. Ich wäre da, wenn sie Probleme haben.«

Bis Hoffer Kinder bekommt, dauert es noch. Bis dahin hofft der 21-Jährige, viel rauchen zu können. Macht die Ampel ernst, werden er und die anderen jungen Menschen in kurzer Zeit von Kriminellen zu potenten Käufern werden. Für junge Menschen verspricht das Gras Entspannung und Freiheit. Für Apotheken könnte es eine Goldgrube sein. (GEA)