REUTLINGEN. Zu elf Jahren und sechs Monaten Haft verurteilte jetzt das Tübinger Landgericht einen 37-Jährigen aus dem Raum Görlitz. Der Angeklagte hatte zwischen 2020 und 2023 über zwanzig, meist minderjährige Mädchen sexuell missbraucht. Über die Messenger-Dienste Snapchat und WhatsApp hatte er Kontakt zu den Kindern aufgenommen und sie dann dazu gebracht, mit ihm Nacktbilder und Videos mit sexuellen Inhalten auszutauschen. Es kam auch zu einigen Treffen mit sexuellen Handlungen. Die meisten Opfer stammen aus Ostdeutschland.
Die Ermittlungen gegen den 37-Jährigen brachte aber erst ein Fall in Reutlingen ins Rollen. Der Angeklagte hatte die Zwölfjährige über Snapchat kennengelernt. Zuerst war es »nur« um Nacktbilder gegangen, doch dann hatte der Mann das Mädchen zu einem Treffen überredet. Der 37-Jährige reiste nach Reutlingen, traf sich heimlich mit dem Mädchen und überredete es zu sexuellen Handlungen bis hin zum Geschlechtsverkehr.
Fotos der missbrauchten Mädchen in digitalen Ordnern
Die Eltern der Zwölfjährigen fanden zufällig Hinweise auf ihrem Handy, die auf ein sexuelles Verhältnis zwischen ihrer minderjährigen Tochter und einem erwachsenen Mann hindeuteten. Sie gingen zur Polizei und erstatteten Ende Januar 2024 Anzeige. Die Ermittlungen begannen. Die Liste der mutmaßlichen Opfer wurde dabei immer länger.
Im März 2024 tauchte dann die Polizei bei dem 37-Jährigen in Sachsen auf und durchsuchte seine Wohnung. Auf seinem Computer stieß sie auf unzählige kinder- und jugendpornografische Fotos und Videos. Sie waren, fein säuberlich nach Namen sortiert und in digitalen Ordnern abgelegt. Viele dieser Ordner trugen die Namen der missbrauchten Mädchen, was der Polizei die Suche nach den mutmaßlichen Opfern erleichterte. Der 37-Jährige kam hinter Gitter.
Im Laufe der Monate trug die Staatsanwaltschaft über 400 Fälle zusammen. Sie reichen von Vergewaltigung, schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern bis hin zu Erstellung und Besitz von hunderten von kinder- und jugendpornografischen Fotos und Videos. Das Alter der Opfer reicht von sechs bis 16 Jahren.
Verständigung kam nicht zustande
Wegen des Reutlinger Falles wurde die umfangreiche Missbrauchsgeschichte vor der 3. Großen Jugendkammer des Tübinger Landgerichts verhandelt. Der Prozess begann am 24. Februar 2025. Das Gericht hatte, wegen der Vielzahl der Fälle und auch weil der Angeklagte nicht geständig war, 30 Verhandlungstage angesetzt. Allein die Verlesung der Anklageschrift dauerte rund eine Stunde.
Gleich danach suchte die Jugendkammer nach einer Verständigung zwischen den Prozessbeteiligten, um den Prozess abzukürzen. Der Vorsitzende Richter Dirk Hornikel hatte dem Angeklagten nahegelegt, ein Geständnis abzulegen, um eine mildere Strafe zu erhalten. Diese könnte dann »im oberen einstelligen Bereich« liegen. Ohne Geständnis müsse er mit einer Strafe von über zehn Jahren rechnen.
Die Verständigung kam allerdings nicht zustande. Die Staatsanwaltschaft hielt sie für problematisch, weil in dem Verfahren auch eine Sicherungsverwahrung für den Angeklagten in Betracht käme. Daraufhin ließ auch der Angeklagte verlauten, dass er weder zur Person noch zur Sache etwas sagen werde.
Sicherungsverwahrung vorbehalten
So zog sich der Prozess nun über Monate hinweg bis in den Oktober. Am Ende stand ein Urteil, das den Angeklagten für viele Jahre ins Gefängnis bringt. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer eine Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren sowie die Sicherungsverwahrung für den Angeklagten gefordert. Die Verteidigung hatte dagegen auf eine Strafe von unter zehn Jahren (ohne Sicherungsverwahrung) plädiert. Weil Teile des Prozesses nicht öffentlich waren, wurde auch bei den Plädoyers die Öffentlichkeit ausgeschlossen.
Im Gerichtssaal
Gericht: Dirk Hornikel (Vorsitzender Richter), Kim Posselt, Stefan Pfaff. Schöffen: Melanie Böhm, Michael Maurer. Staatsanwaltschaft: Rotraud Hölscher, Edith Zug. Verteidigung: Sebastian Gauss, Önsel Ipek. Nebenklage: Sandra Ebert, Michael Krausche. (vit)
Das Urteil war dann aber öffentlich. Die Jugendkammer verhängte für den 37-Jährigen eine Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten, unter anderem wegen 24 Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und fünf Fällen der Vergewaltigung. Außerdem ordnete die Jugendkammer den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung an. Bei einem solchen Vorbehalt der Anordnung der Sicherungsverwahrung wird die Gefährlichkeit eines Täters am Ende seiner Haftzeit in einer weiteren Hauptverhandlung geprüft. Erst dann wird entschieden, ob er in Freiheit kommt oder nicht. (GEA)

