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Aktuell Paragraf 219a

Anstiftung zur Abtreibung?

Pro Familia fordert Inforecht für Gynäkologen im Internet zum Besten schwangerer Frauen in Not

Pro Familia wünscht sich, dass Fachärzte im Internet über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen, ohne für dieses Aufklärun
Pro Familia wünscht sich, dass Fachärzte im Internet über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen, ohne für dieses Aufklärungsangebot kriminalisiert zu werden. FOTO: DPA
Pro Familia wünscht sich, dass Fachärzte im Internet über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen, ohne für dieses Aufklärungsangebot kriminalisiert zu werden. FOTO: DPA

REUTLINGEN. Ein Paragraf  macht derzeit von sich Reden – auf dem großen politischen Parkett ebenso wie an den regionalen Stammtischen. Er trägt die Nummer 219a, ist im Strafgesetzbuch verankert und verbietet das Bewerben von Schwangerschaftsabbrüchen.

»Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist (…) wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft«, heißt es darin. »Was an sich in Ordnung ist«, wie Grit Heideker findet. Damit meint sie das Reklameverbot als solches. Gleichwohl ist die Beraterin von Pro Familia Reutlingen-Tübingen mit dem jüngst von der schwarz-roten Regierungskoalition getroffenen Kompromissvorschlag unzufrieden. Denn der, sagt sie, »bietet keine wirkliche Lösung, vor allem aber keine Rechtssicherheit für Gynäkologen.«

Starke Verunsicherung

Doch genau Letztere fordert Pro Familia schon seit geraumer Zeit. Zunächst eher leise, seit dem Fall der Gießener Frauenärztin Kristina Hänel jedoch zunehmend offensiver und lauter. Verurteilt wurde die 62-jährige Medizinerin im November 2017, weil sie nach Auffassung des Gerichts gegen Paragraf 219a verstoßen haben soll. Hänel hatte auf ihrer Praxis-Website medizinische Informationen über Schwangerschaftsabbrüche publik gemacht. Ein Angebot, das Justitia auf den Plan rief: weil – laut Urteilsbegründung – »Schwangerschaftsabbrüche nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden sollten, als seien sie eine ganz normale Sache.« Und das ist der Knackpunkt, der zielgerichtet zur Frage führt, wo Werbung eigentlich anfängt und nüchterne Information aufhört.

Nach Beobachtung von Pro Familia hat die Causa Hänel zu starker Verunsicherung gerade innerhalb der Ärzteschaft geführt. »Und der jetzt vorliegende Änderungsvorschlag macht es nicht besser«, so Heideker. De facto unterbinde er nämlich nach wie vor das öffentliche Verbreiten von Sachinformationen. Zumal Gynäkologen ja für ihre medizinischen Leistungen honoriert werden. Ein Dilemma, das landauf landab zu einer Verschlechterung der Versorgungslage für Frauen in Schwangerschaftskonfliktsituationen führe.

Deshalb, so Grit Heideker, sei es dringend geboten, Medizinern das gesetzlich verbriefte Recht einzuräumen, im Internet aufzuklären. »Wir fordern von der Politik eine entsprechende Lösung. Der Staat muss Sicherheit schaffen, die Kriminalisierung von Ärzten aufhören.« Umso mehr, als im World-Wide-Web aktuell mehr ideologisch verbrämte Desinformationen zu finden sind als seriöse Fakten. Außerdem sei es »schon bezeichnend, um nicht zu sagen völlig absurd, dass eine der wenigen derzeit im Netz verfügbaren Listen von Praxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, bei Abtreibungsgegnern zu finden ist« – sozusagen in Form eines digitalen Prangers.

Noch ist in puncto Paragraf 219a-Kompromiss zwar nichts ausgehandelt, aber schon jetzt hat sich die Lage für Betroffene verschlechtert. Das, sagt Heidekers Kollege Roland Riedl, mache sich auch in Reutlingen bemerkbar. »Zu uns kommen zunehmend Frauen aus anderen Regionen.« Es hat sich offenbar herumgesprochen, dass die Pro-Familia-Dependance in der Schillerstraße 16 über ein engmaschiges Netzwerk verfügt, das werdende Mütter in höchster Not auffängt.

Realitätsfremd, diskriminierend

Hier gibt es Faktenwissen zum Thema. Hier gibt es Adressen von niedergelassenen und Klinik-Ärzten. Hier gibt es Hilfsangebote, die jene Schwangeren stützen, die sich nach Abwägung aller Pro- und Kontraargumente letztlich doch dazu entschließen, ihr Kind auf die Welt zu bringen. »Das sind übrigens nicht wenige.«

Abgesehen davon ist Sexual-Experte Roland Riedl während seiner Jahrzehnte langen Beratungstätigkeit noch kein einziger Fall untergekommen, der via Werbung zu einem Schwangerschaftsabbruch »verführt« worden wäre. »Derartige Befürchtungen entbehren jeglicher Grundlage, sie sind einfach nur wirklichkeitsfremd und diskriminierend«, ärgert er sich über Strafanzeigen gegen Gynäkologen, deren Internet-Infos als Reklame missverstanden werden.

»Diese Ärzte klären solide und ehrlich auf«, rückt Riedl die Realität zurecht. Sie transportieren wichtige Informationen dorthin, wo diese kaum oder gar nicht zu kriegen sind: in strukturschwache oder ländliche Gebiete mit fachärztlicher Unterversorgung und ohne Anlaufstellen. Wobei sich mittlerweile auch in Städten immer weniger Mediziner finden, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen oder profunde Beratung anbieten können – weil sich mehr und mehr erfahrene Vertreter der Zunft in den Ruhestand verabschieden.

»Hier entstehen Versorgungslücken«, die sich nicht ohne Weiteres schließen lassen. Heideker nennt den Grund: »Schwangerschaftsabbrüche werden im Studium und bei der Facharztausbildung bislang nicht behandelt. Daher fehlt diese Kompetenz komplett.« Doch wohin sollen sich ungewollte Schwangere wenden? Wo sich informieren? Zumal in Zwangslagen, die keinen zeitlichen Aufschub dulden. In Notsituationen, die viele Namen tragen: Armut, fehlender Wohnraum, sexuelle Gewalt in der Partnerschaft, gesundheitliche Beeinträchtigung ... ärztliche Anstiftung zur Abtreibung gehört definitiv nicht dazu. (GEA)