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Aktuell Ausgrabung

Tübinger Forscher dokumentieren Spuren von Steinzeitmenschen

So könnte es ausgesehen haben vor 300 000 Jahren am Seeufer.  ZEICHNUNG: BENOîT CLARYS
So könnte es ausgesehen haben vor 300 000 Jahren am Seeufer. Foto: BENOîT CLARYS
So könnte es ausgesehen haben vor 300 000 Jahren am Seeufer.
Foto: BENOîT CLARYS

TÜBINGEN. Im niedersächsischen Schöningen tummelten sich vor 300 000 Jahren Elefanten. Aus der altsteinzeitlichen Grabungsstelle wurden in den vergangenen Jahren Fossilien von mindestens zehn Tieren geborgen. Nun haben Archäologen vom Senckenberg-Zentrum für menschliche Evolution und Paläoumwelt der Uni Tübingen in Kooperation mit dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege erstmals ein nahezu vollständiges Skelett eines eurasischen Waldelefanten (Palaeoloxodon antiquus) freigelegt. Das Tier starb am damaligen Seeufer. Was genau geschah und wie die Umgebung vor 300 000 Jahren beschaffen war, rekonstruiert das Team nun durch Analysen und weitere Grabungen.

»Die Kooperation mit Senckenberg und der Uni Tübingen trägt reiche Früchte. Vor wenigen Wochen erregte eine Studie zu einem in Schöningen entdeckten 300 000 Jahre alten Wurfstock international Aufmerksamkeit. Nun folgt eine weitere Sensation: Der Fund des fast vollständig erhaltenen Skeletts eines Waldelefanten zusammen mit den Spuren hier lebender und jagender Frühmenschen. Dies unterstreicht einmal mehr, um welch einen spannenden und wissenschaftlich bedeutenden Fundort es sich handelt«, sagt Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler. »Der ehemalige Tagebau Schöningen ist ein Klimaarchiv ersten Ranges, das uns in einzigartiger Weise vorführt, wie sich Klimaschwankungen auswirken. Ein Ort, an dem nachverfolgt werden kann, wie der Menschen vom Naturbegleiter zum Kulturgestalter wurde.«

2,3 Meter lange Stoßzähne

Das Elefantenskelett sei, wie die meisten Funde in Schöningen, außerordentlich gut erhalten, erklärt Ausgrabungsleiter Jordi Serangeli. »Wir haben die 2,3 Meter langen Stoßzähne, den Unterkiefer, zahlreiche Wirbel und Rippen sowie Knochen von drei Beinen und sogar alle fünf Zungenbeine.« Das Skelett sei an einer Stelle geborgen worden, an der sich damals das Seeufer befunden habe.

Ausgräber Martin Kursch legt einen Fuß des Elefanten frei. FOTO: SERANGELI
Ausgräber Martin Kursch legt einen Fuß des Elefanten frei. FOTO: SERANGELI
Ausgräber Martin Kursch legt einen Fuß des Elefanten frei. FOTO: SERANGELI

Dass am Schöninger See zahlreiche Artgenossen des Elefanten unterwegs waren, beweisen Fußabdrücke, die rund 100 Meter von der Grabungsstelle entfernt dokumentiert werden konnten. Ein bisher einmaliger Fund in Deutschland, wie Flavio Altamura von der Universitá Sapienza in Rom erläutert, der die Spuren analysierte. »An dieser Stelle muss eine kleine Herde, Erwachsene und jüngere Tiere, durchgelaufen sein. Die schweren Tiere liefen auf nassen Seesedimenten, parallel zum Seeufer. Ihre Füße hinterließen im Schlamm kreisförmige Abdrücke mit einem maximalen Durchmesser von 60 Zentimetern.«

Wie heute in Afrika

Aus der Fundstelle Schöningen im Landkreis Helmstedt konnten bereits viele Erkenntnisse über Flora, Fauna und das Leben der Menschen vor 300 000 Jahren während der Reinsdorf-Warmzeit gewonnen werden. Das damalige Klima war vergleichbar mit dem heutigen, die Landschaft jedoch viel reicher an Wildtieren. Rund 20 Großsäuger lebten damals im Umfeld des Schöninger Sees, darunter nicht nur Elefanten, sondern auch Löwen, Bären, Säbelzahnkatzen, Nashörner, Wildpferde und weitere Huftiere. »Der Reichtum an Wildtieren ähnelte dem des heutigen Afrika«, sagt Serangeli.

Unter anderem wurden in Schöningen einige der ältesten Funde eines Auerochsen in Europa, ein Wasserbüffel und drei Säbelzahnkatzen ausgegraben. Dank sehr guter Erhaltungsbedingungen in wassergesättigten Seeufersedimenten konnten zudem die weltweit ältesten vollständigen Jagdwaffen geborgen werden: zehn hölzerne Speere sowie mindestens ein Wurfstock. Bearbeitete Stein- und Knochenwerkzeuge runden das Gesamtbild zu den damaligen Lebensumständen ab. »Die Seeufersedimente von Schöningen bieten einmalige Erhaltungsbedingungen und geben uns stets wichtige und sehr detaillierte Einblicke in das kulturelle Verhalten des Homo heidelbergensis«, sagt der Tübinger Professor Nicholas Conard, der das Forschungsprojekt leitet. (upm)